St. Blasien – Das besonders Überraschende seiner Berufung zum Leiter der in den Fachkreisen wirklich berühmten und über weite Grenzen hinaus bekannten Benediktinerabtei St.¦Blasien war der Umstand, dass Pater Martin Gerbert bereits einen Tag nach dem Tod seines Vorgängers von seinen Mitbrüdern zum Fürstabt Martin II. gewählt wird.
Der 15 Jahre herrschende Fürstabt Meinrad Troger (1749 bis 1764) hatte alle Voraussetzungen geschaffen, den Bibliothekar, Gelehrten, Wissenschaftler, Buchautor und Klosterlehrer Martin Gerbert aus Horb am Neckar gleichsam zu seinem Nachfolger aufzubauen. Der Konvent, also die stimmberechtigte Gemeinschaft der Mönche, scheint diesen Wink verstanden zu haben. Die Schnelligkeit der Nachfolgewahl ist trotzdem verblüffend – vielleicht neben anderen Gründen ein Zeichen der ununterbrochenen Regierbarkeit des Klosters, der geistig-politischen Kontinuität und der besonderen Hochachtung für den neuen Abt. Der am 14.¦Oktober 1764 verstorbene Meinrad Troger gerät bis heute leicht in Gefahr, im Schatten des übermächtigen Nachfolgers zu stehen. Seiner eigentlichen Bestimmung und Ausbildung und auch seiner Korrespondenz nach war er trotzdem theologischer Gelehrter und Wissenschaftler, wenn auch nicht vom Rang Martin Gerberts. Zudem wurde Fürstabt Meinrad rasch zur Aufgabe gedrängt, das Klosterareal auszubauen und zu ergänzen. Er ließ beispielsweise das inzwischen abgerissene Erholungsschlösschen über dem Tuskulum-Wasserfall, die Mühle (heute Mädchenpensionat des Jesuitenkollegs), den Bau des Architekten Bagnato (das jetzige Patreshaus) und das in der Vollendung von ihm nicht mehr erlebte große Torgebäude (Rathaus und Klosterhof) errichten.
Martin Gerbert gewährte er alle Freiheiten des Studierens und Großzügigkeiten an Reisen, um aus diesem eine leistungs- und charakterstarke, persönlich einnehmende und die kirchliche und wissenschaftliche Welt beeindruckende Persönlichkeit reifen zu lassen. Für diese Erinnerungszeilen an seine Wahl zum 46.¦Abt und vierten Fürstabt von St.¦Blasien muss der Versuchung widerstanden werden, auch nur stichwortartig seine Leistungsbilanz als Abteiherr, Wissenschaftler, Theologe, Baumeister und Regierungschef des Klosterstaates anklingen zu lassen.
Eine Anekdote darf den Jahrestag seiner Wahl bereichern. Eine Besuchergruppe wird nach dem ersten Eindruck des Blasiusdoms befragt. Man habe, so die Antwort der Gäste, bei der ersten Sicht der Kuppel während der Anfahrt von Häusern herab zunächst an ein Kernkraftwerk gedacht. Kurzes überraschtes Schweigen auf allen Seiten. Dann löst sich das Nachdenken in Zustimmung auf, denn die Kuppelkirche ist in der Tat für die mit ihr und der religiösen Botschaft Verbundenen eine Art Kraftwerk für Herz und Seele. Schon kurze Zeit nach seiner Blitzwahl vor 260 Jahren ließ das Schicksal Fürstabt Martin II. zum Bauherrn des Kernkraftwerks werden.