Vor 31 Jahren, genauer gesagt am 25. August 1988, schrieb ich einen Hausaufsatz über den Chilbibock. Auf etwas mehr als zwei DIN-A5-Schulheftseiten erzählte ich die Sage nach um die Belagerung Waldshuts durch die Schweizer, die meine damalige Klassenlehrerin an der Heinrich-Hansjakob-Schule zuvor im Unterricht mit uns Schülern behandelt hatte.
Damals steckte das Internet noch in seinen Kinderschuhen. Während Schüler heutzutage mit ein paar Klicks im Netz an Informationen für eine Hausaufgabe kommen, mussten meine Klassenkameraden und ich uns damals an das Gehörte während der Schulstunde erinnern, um die Nacherzählung zu Papier bringen zu können.

Wie viel Mythos und wie viel Wahrheit steckt eigentlich in der Sage vom Waldshuter Chilbibock? Diese Frage stelle ich mir heute, nachdem das alte Schulheft mir kürzlich wieder in die Hände gefallen ist. Was ist an der Geschichte erfunden, und welche Fakten lassen sich historisch belegen? Mit Hilfe einer Chronik, die die Stadt Waldshut-Tiengen 2009 in drei Bänden herausgegeben hat, möchte ich meinen 1988 geschriebenen Aufsatz mit der echten Geschichte vergleichen.
Übrigens: 1988 hieß der Bockgötti Rainer Hölzer, der damalige Bock wurde auf den Namen Rainer der Waldshuter getauft. Bockgewinner mit der Losnummer 145 war Klaus Keller. Diese vier Fakten sind durch die Chronik der Junggesellenschaft 1468 belegt und lassen sich geschwind googeln.
Der Waldshuter Krieg von 1468
Die Zeit: Der sogenannte Waldshuter Krieg oder auch Schaffhauser Krieg dauerte vom 26. Juli bis 27. August 1468 an. Schauplatz war die Stadt Waldshut, die damals zum Reich der Habsburger gehörte, die ihren Stammsitz im Kanton Aargau hatten.
Die Gegner: Kriegsteilnehmer waren auf der einen Seite die Stadt Waldshut mit ihren Verbündeten aus dem Klettgau, Sundgau, Breisgau und Hegau und auf der anderen Seite die damaligen acht Mitglieder der Eidgenossenschaft (Stadt Zürich, Stadt Bern, Stadt Luzern und die Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Zug) mit Verbündeten (Stadt Freiburg, Stadt Solothurn, Stadt Schaffhausen, Kanton Appenzell, Fürstabtei St. Gallen und Stadt St. Gallen).
Die Truppenstärken: 800 Männer in Waldshut wehrten sich gegen das 16.000 Soldaten starke Schweizer Belagerungsheer. Die Waldshuter wurden angeführt von dem Ritter Werner von Schienen (1410-1496). Nach ihm ist heute eine Straße unterhalb des Waldshuter Haspels benannt.
Der Auslöser: Der Waldshuter Krieg ist Teil einer Reihe von mehr als 200 Jahre andauernden bewaffneten Konflikten zwischen der entstehenden schweizerischen Eidgenossenschaft und den Habsburger Fürsten.
Die Belagerung von Waldshut
Die Situation: Waldshut war damals von einer Ringmauer mit fünf Türmen und einem Wallgraben umgeben. Die Stadtbefestigung wurde durch den Beschuss der Angreifer stark beschädigt.
Die Versorgung: Belegt ist, dass den Bewohnern von Waldshut während der Belagerung die Vorräte ausgingen. Anfang August 1468 versuchten die Habsburger zweimal, den Ring der Eidgenossen zu durchbrechen, um die Bürger mit Nahrung und Munition zu versorgen. Den Belagerern gelang es jedoch, die nächtlichen Angriffe abzuwehren. Daraufhin verstärkten sie ihre Armee auf der Fuller Rheinseite vorsichtshalber um 200 Männer.
Die Belagerung endet ohne Bock
Die Friedensverhandlungen: Laut Historikern gibt es mehrere Gründe, warum die Eidgenossen Waldshut im Sommer 1468 nicht eroberten. Der gemästete Bock auf der Stadtmauer, der die Angreifer täuschen sollte, findet sich jedoch nicht in den offiziellen Chroniken der Stadt. Vielmehr sollen Rivalitäten im eidgenössischen Lager die Belagerung beendet haben. In Dogern wurde ein Friedensvertrag geschlossen.
Die Nachwirkungen: An diesen Friedensschluss erinnert seit 1468 jährlich die Waldshuter Chilbi. Das sechs Tage dauernde Heimatfest wird jeweils am Wochenende nach Maria Himmelfahrt, meist am dritten Wochenende im August, von der Junggesellenschaft 1468 Waldshut und deren Ehemalige, der Schützengesellschaft 1468 Waldshut, der Vereinigung Alt Waldshut und der Stadtmusik Waldshut ausgerichtet.
Quelle: „Waldshut, die habsburgerische und vorderösterreichische Stadt bis zum Übergang an Baden“, Band 1 Geschichte der Stadt Waldshut, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg im Allgäu, 1. Auflage 2009.