„Ich habe das Gefühl, ich laufe durch eine Geisterstadt“, sagt Heidi Maier. Die stadtbekannte und in Vereinen sehr aktive Bewohnerin Tiengens ist in Sorge um das Städtle, um seine Geschäfte und Lokale. Die Angst vor dem Coronavirus und die gesetzlich verordneten Maßnahmen, um seine Verbreitung zu verlangsamen, haben das öffentliche Leben in der Tiengener Fußgängerzone weitgehend zum Erliegen gebracht.
Heidi Maier trifft kaum auf Menschen. Sie selbst ist nur deshalb unterwegs, weil sie Briefe mit Absagen von Veranstaltungen des Frauenvereins Tiengen verteilt. In „Normalzeiten“ wäre sie bei schönem Wetter an größtenteils voll besetzten Stühlen und Tischen vor den zahlreichen Tiengener Cafés, Lokalen und Eisdielen vorbeigekommen und hätte sicher das ein oder andere „Schwätzchen“ gehalten.
Erinnerungen an Nachkriegszeit
Per Gesetz geschlossen sind die Eisdielen. Das städtische Ordnungsamt hat nach Aussage eines Eisdielenbetreibers die Schließungen kontrolliert. In Heidi Maier werden bei ihrem Gang durch die Fußgängerzone Erinnerungen an die Nachkriegszeit wach, als die Menschen wieder bei null anfangen mussten.

Dass die aktuelle Situation die Existenz vieler Betriebe bedroht, steht auch für Alexander Heftrichs vom Café-Restaurant „Heftrichs“ in der Bahnhofstraße außer Frage. „Seit Anfang der Woche sind meine Umsätze eingebrochen“, sagt er.
Für ihn ist die Politik gefordert. Schnell muss sie nach seiner Ansicht handeln und Hilfspakete für Gastronomiebetriebe schnüren, damit Anfang April fällige Löhne, Mieten und Pachten bezahlt werden könnten. Er geht davon aus, dass die ersten Lokale schließen müssen, wenn sich bis Endes des Monats nichts tut. Heftrichs ist froh, dass er sich für sein Lokal einen kleinen Puffer schaffen konnte: „Mit Mühe und viel Kraft könnte ich rund sechs Wochen ohne Unterstützung durchhalten.“
Fehlende Kunden, aber auch die Gesundheit des Personals und der Kunden spielen dabei eine Rolle. Meist informieren eher unscheinbare, kleinere Blätter an den Türen oder in den Schaukästen mit den Speisekarten über die Schließungen aufgrund der Corona-Krise. Sofort ins Auge fällt hingegen das große, den ganzen Eingangsbereich versperrende Banner des geschlossenen Steakhouses „El Milagro“ in der unteren Hauptstraße. Seine Größe und das Wort Ausnahmesituation darauf macht verstärkt bewusst, dass seit dem Coronavirus nichts mehr ist, wie es war.

Der Blick in die Geschäfte in Tiengens Innenstadt, die nach den gesetzlichen Vorgaben noch geöffnet haben dürfen – dazu gehören Drogerien, Apotheken und Lebensmittelgeschäfte – ist ebenfalls ernüchternd: Keine oder nur wenige Kunden sind zu sehen. Geschäfte, die auch online unterwegs sind, haben in Corona-Zeiten einen Vorteil.

Dazu gehört „Der Weinladen“ in der Fußgängerzone. „Wir versuchen, jeden Euro zu machen, der möglich ist und überlegen, was wir zeitnah übers Internet umsetzen können“, sagt Alex Wagner. So wurde die Idee für eine kommende Livestream-Weinprobe über YouTube geboren. Mehr als 20 Menschen haben sich nach Aussage Wagners bereits angemeldet und die hierfür benötigten Weine bestellt.
Für alle Online- oder telefonischen Bestellungen hat „Der Weinladen“ einen firmeneigenen Zustellservice. „Wer da wo es möglich ist, telefonisch oder per E-Mail bestellt, unterstützt regionale Händler“, so Alex Wagner. Zu den Geschäften, die schließen mussten und zudem noch kurzlebige Waren verkaufen, gehört das Blumengeschäft „Pusteblume“. Die noch vorhanden Blumen stehen jetzt als „Blumen to go“ vor dem Geschäft. „Bitte ehrlich sein, nur bezahlte Blumen bringen Freude“ steht auf dem Plakat neben der Gelddose.