Herr Schuster, Sie waren Wirtschaftsprofessor in Heidelberg, haben für Weltkonzerne gearbeitet. Seit 1. September leiten Sie die Fachhochschule des Mittelstands (FHM) in Waldshut und Bad Säckingen. Wie kam es dazu?

Ich bin ein echter Tiengener. In meinen 37 Jahren in Heidelberg habe ich die Verbindung zur Heimat nie verloren. Die ganzen Jahre hatte ich sogar den SÜDKURIER abonniert, um auf dem Laufenden zu bleiben. Eines Tages habe ich gelesen, dass der Landkreis nun eine Fachhochschule hat und wusste: Da will ich hin und die Zukunft meiner Heimat mitgestalten!

Also sind Sie zurückgezogen?

Wie der Zufall so will, haben meine Frau (ebenfalls Tiengenerin) und ich im vergangenen Jahr ein Haus im Städtle neben der Synagoge gebaut. Eigentlich war es als Ferien- und Wochenendhaus gedacht. Jetzt ist es andersherum: Ich bin jetzt unter der Woche hier und an den Wochenenden oft in Heidelberg bei meiner Familie, denn meine Frau ist fest verwurzelt in Heidelberg, hat dort ebenfalls eine Professur für Wirtschaftsinformatik und ist Stadträtin.

Der Campus der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) befindet sich in Waldshut an der Bismarckstraße zwischen Sparkasse und ...
Der Campus der Fachhochschule des Mittelstands (FHM) befindet sich in Waldshut an der Bismarckstraße zwischen Sparkasse und Justizvollzugsanstalt. (Aufnahme vom 20.03.2023) | Bild: Schlichter, Juliane

Ihr Leben hat sich also total verändert?

Ja, aber ich hatte in all den Jahren eine große Heimatsehnsucht. Eigentlich witzig: Ich wohne in Heidelberg, habe aber mein Herz immer noch in Waldshut-Tiengen verloren. Und dabei zu helfen, dass sich Menschen am Hochrhein jetzt den Traum erfüllen können, in der Region zu bleiben und trotzdem studieren zu können, ist für mich Motivation pur. Ich freue mich riesig auf die kommenden Jahre.

Was hat die Fachhochschule des Mittelstands aktuell zu bieten?

Im Mai wurde der erste Campus im Landkreis in der Bismarckstraße 15 in Waldshut eröffnet. Wir haben einen kleinen Vorlesungssaal, Seminarräume und eine Lounge. Aktuell sind rund 200 Studierende in sechs dualen, also berufsbegleitenden, Bachelorstudiengängen bei uns eingeschrieben.

Und der Unterricht findet in Kooperation mit ansässigen Schulen statt?

Genau. In Kooperation mit der Justus-von-Liebig-Schule in Waldshut kann man Sozialpädagogik und Management studieren, an der Kaufmännischen Schule Waldshut gibt es den Studiengang Betriebswirtschaftslehre, in Zusammenarbeit mit dem Studienzentrum Bad Säckingen bilden wir studierte Physio- und Ergotherapeuten aus. Und bei uns auf dem Campus an der Bismarckstraße haben die Studiengänge Pflege und Management sowie Soziale Arbeit und Management gestartet. Aber das Angebot an Studiengängen soll in den nächsten Jahren kräftig wachsen. Das Gute: Weil die FHM mit Hauptsitz in Bielefeld bereits eine deutschlandweit etablierte Hochschule ist, die über 50 Studiengänge im Angebot hat, können wir neue Fachrichtungen relativ unbürokratisch auch am Hochrhein ins Repertoire aufnehmen.

Die Studi-Lounge.
Die Studi-Lounge. | Bild: FHM Waldshut

Welche Studiengänge sollen in den kommenden Jahren folgen?

Wichtig ist uns, genau die Studiengänge anzubieten, die unsere Region braucht. Fachkräftemangel ist eines der größten Probleme unserer Zeit.

Und wie finden Sie heraus, was der Hochrhein braucht?

Gemeinsam mit „New Work uffm Land“ planen wir zeitnah einen Workshop mit Oberstufen-Schülern, um herauszufinden, für welche Fachbereiche sich die Studierenden von morgen interessieren und wie sie sich eine Hochschule der Zukunft wünschen. Außerdem ist der Austausch mit ansässigen Firmen extrem wichtig: Welche Stellen sind schwierig zu besetzen? Welche Fachbereiche sind besonders gefragt? In welchen Bereichen können wir gemeinsam ein Studienangebot realisieren, dass den Unternehmen der Region langfristig gute Mitarbeitende sichert?

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Sie müssen also zunächst ein Netzwerk aufbauen?

Starke Partner und ein konstruktiver Austausch sind das Wichtigste, um unsere Heimat voranzubringen. Gespräche mit der IHK, den Rotariern, dem Lions Club, den Kiwanis und den größten Arbeitgebern der Region habe ich bereits angedacht, um blinde Flecken zu ermitteln. Unternehmen dürfen auch gerne auf uns zukommen. Wir sind außerdem offen für Gastdozierende, die in ihrem jeweiligen Fachbereich Unterrichtseinheiten übernehmen und freuen uns über Bewerbungen.

Unterrichten Sie auch selbst?

Aktuell haben wir leider noch keinen Informatik- oder Wirtschaftsinformatik-Studiengang – das wäre aber ein Wunsch von mir. Ich selbst unterrichte aber Betriebswirtschaftslehre samt Mathematik und Statistik. Außerdem doziere ich im Bereich „Wissenschaftliches Arbeiten“. Hier lernen die Studierenden etwa, wie man komplexe Texte liest und kritisch hinterfragt oder wie man Quellen recherchiert und prüft – quasi das Grundgerüst, um selbstständig arbeiten zu können.

Wie viel kostet der Besuch der FHM für Studierende?

Die FHM ist eine private Fachhochschule und kostet je nach Studiengang zwischen 285 und 695 Euro Studiengebühr monatlich. In den dualen Studiengängen übernehmen aber in der Regel die Unternehmen die Studiengebühren. Das ist für beide Parteien eine Win-Win-Situation: Die Studierenden werden finanziell entlastet und verpflichten sich im Gegenzug, für eine bestimmte Zeit im Unternehmen zu bleiben.

Sie stehen seit vielen Jahren auch zu Themen wie „digitale Transformation“ oder „Künstliche Intelligenz“ auf der Bühne. Sind diese Themen am Hochrhein schon ausreichend präsent?

Die Corona-Pandemie und die Veröffentlichung von ChatGPT im vergangenen Jahr haben die digitale Transformation und das Thema KI sicher präsenter gemacht. Aber gerade kleinere Unternehmen haben noch Berührungsängste oder schlicht nicht die Zeit, sich damit zu beschäftigen.

Wie können auch Einzelhandel und Handwerk in der Region diese Themen für sich nutzen?

Die Möglichkeiten KI einfach und effizient zu nutzen, sind sehr vielfältig und reichen von automatisierten Mail- und Telefonantworten über den automatisierten Rechnungsversand bis hin zum Lager- und Produktqualitätsmanagement. Fakt ist: Einmal eingeführt, kann KI deutlich Zeit und Geld sparen.

Ein Blick in den Vorlesungssaal des Instituts für Gesundheit der FHM Waldshut.
Ein Blick in den Vorlesungssaal des Instituts für Gesundheit der FHM Waldshut. | Bild: FHM Waldshut

Wie sieht für Sie eine digitalisierte Idealwelt der Zukunft aus?

Wenn alle Möglichkeiten im Einsatz wären, könnten wir uns im Job alle auf die richtig wichtigen Dinge konzentrieren, wie direkte Kundenkontakte. Weil wir uns alle weniger mit administrativen Ärgernissen beschäftigen müssten, könnten wir mit weniger Fachkräften bessere Ergebnisse erzielen. Und auch: alle kürzer arbeiten.

Wie kann die FHM dazu beitragen?

Wir planen einen offenen Campus mit Abendveranstaltungen, die unter anderem dieses Wissen vermitteln. Digitale Transformation und KI sind kein Hexenwerk, sondern erlernbar. Auch zum Thema „Generation Y und Z“ sind Vorträge gefragt: Aufgrund des Fachkräftemangels kann sich diese Generation den Job oft aussuchen. Das sind die Mitarbeitenden von heute und morgen, die es mit Werten und flexiblen Arbeitsmodellen zu gewinnen gilt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der FHM?

Dass wir eine große, lebendige Hochschule werden, die für alle Generationen da ist und alle Generationen verbindet.

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