Da treffen zufällig zwei aufeinander, die es sicher vorgezogen hätten, sich nie mehr wiederzusehen. Aber der Hochrhein ist klein. Und so laufen sie sich über den Weg und geraten in Streit miteinander.
Jetzt sahen sie sich ein zweites Mal wieder, dieses Mal vor dem Amtsgericht Waldshut-Tiengen. Denn ihr Streit im April, der sich in einer Arztpraxis in der Waldshuter Rheinstraße abspielte, war eskaliert. Fünf Mal soll der Angeklagte auf sein Opfer mit einem Schweizer Taschenmesser eingestochen haben. Er traf ihn dabei an Schulter, Rücken und der Seite. Verletzte ihm so die Lunge.
Doch der Angegriffene war noch in der Lage, selbst vom Sitz der Arztpraxis ins Klinikum Hochrhein zu gehen, mehr als 500 Meter Distanz, und obendrein unterwegs noch die Polizei zu rufen. Im Klinikum dann das volle Programm: Schockraum, Intensivstation, Lungendrainage, fünf Tage stationäre Behandlung. Merkwürdig: Der Verletzte befand sich ja schon beim Arzt. Dennoch zog es vor, sich selbst stationär einzuliefern.
Verhandelt wurde vor dem Amtsgericht gegen den 56-jährigen Angeklagten. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft: gefährliche Körperverletzung. Das Opfer trat auch als Nebenkläger auf.
Angeklagter als „Hurensohn“ beleidigt
Viele Zeugen, die das Geschehen verfolgten, gab es wohl nicht. Lediglich eine Frau, die sich zur Tatzeit ebenfalls in der Arztpraxis als Patientin aufgehalten hat. Wobei ihrer Aussage gemäß das Opfer irgendwie auch Täter war. Provoziert bis der es „nicht mehr aushalten konnte“, über zehn bis 15 Minuten hinweg, habe er den Angeklagten. Ihn mit „Hurensohn“, „Bastard“ und „Penner“ beleidigt. Der Angeklagte habe sich „eher zurückgenommen“ und nichts erwidert, so die Frau. Das spätere Opfer habe „aufgeputscht“ auf sie gewirkt.

Aber woher kannten sich die beiden? Der Angeklagte hatte zuvor in einem Mietshaus nahe des Waldshuter Bahnhofs gewohnt, wo der mit dem Messer attackierte Mann Hausmeister war. Diesem und dem Vermieter warf der 56-Jährige vor, Dinge aus seiner Wohnung gestohlen zu haben, darunter eine für ihn sehr wertvolle Zahnprothese. Diesbezüglich hatte er auch bei der Polizei Anzeige erstattet. Das habe der Mann ihm dann beim Aufeinandertreffen in der Arztpraxis vorgehalten, sagte der Angeklagte aus.
2,1 Promille Alkohol im Blut
Berechnungen ergaben, dass der Angeklagte während der Tat 2,1 Promille Alkohol im Blut gehabt haben muss. Aber sämtliche Zeugen waren sich einig: Angemerkt habe man es ihm nicht. Was aber auch einen Grund hatte: Denn der Mann ist Alkoholiker. Immer wieder habe er versucht, davon wegzukommen, betonte er, aber letztlich vergebens. Den Messerangriff räumte er auch offen ein. In der Verhandlung bat er um Entschuldigung dafür. „Es tut mir alles sehr leid.“
Das Opfer der Attacke, eben jener Hausmeister, sagte indes aus, dass der Angeklagte zuvor schon angekündigt habe, ihn „kalt zu machen“. Wobei er die Stiche vom April zuerst teils gar nicht bemerkt haben will. Er sei nach wie vor von den Verletzungen körperlich und seelisch beeinträchtigt, so seine Aussage. „Das wird mich mein ganzes Leben lang begleiten, allein schon der Narben wegen“, unterstrich er. Und auch wenn keine konkrete Lebensgefahr bestanden habe, hätte doch jeder der Stiche tödlich sein können, führte er aus.
Bei seiner Flucht vom Tatort und seiner Selbsteinlieferung ins Waldshuter Spital soll er einer weiteren, ihm entgegenkommenden Zeugin zugerufen haben: „Ich werde abgestochen.“
Nach der Attacke war der Angeklagte in der Arztpraxis geblieben und ließ sich dort, „völlig friedlich“, wie ein als Zeuge geladener Polizist aussagte, festnehmen und später inhaftieren. Seitdem, also seit sechs Monaten, sitzt der Mann in Untersuchungshaft in der JVA Waldshut.
In Haft muss er auch jetzt wieder. Denn das Amtsgericht Waldshut-Tiengen verurteilte ihn zu zwei Jahren ohne Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung. Die Bewährung wollte ihm Richterin Maria Goj auch deswegen nicht gewähren, weil sie der Ansicht ist, dass der Mann in Freiheit sein Leben nicht in den Griff bekomme. In Haft aber könne er seine Alkoholsucht therapieren und auch beruflich wieder Fuß fassen.