Das Sprichwort „Gut Ding will Weile haben“, klingt mit, wenn Ortsvorsteher Claudio Helling die Verkehrssituation in Gurtweil schildert. Dass der Lärmaktionsplan und die damit verbundene Hoffnung auf Tempo 30 ein weiteres halbes Jahr auf sich warten lässt, kommentiert er mit den Worten „sechs Monate sind für uns ein Flügelschlag“. Denn Lärm beschäftigt Gurtweil seit 1992, sagt Helling – und damit seit über 30 Jahren.
Über 6000 Fahrzeuge fahren täglich durch Gurtweil
„Morgens staut sich alles. Egal, ob über den Berg oder durchs Gewerbegebiet. Die Verkehrsbelastung hier ist Wahnsinn“, skizziert der Ortsvorsteher die Verkehrssituation. Über 6000 Fahrzeuge schlängeln sich laut Sitzungsvorlage des Gemeinderates Waldshut-Tiengen täglich durch den Ortsteil. Hauptsächlich betroffen sind die Rathaus-, die Schlüchttal- und die Tiengener Straße. Über die Hauptverkehrsadern des Ortes kreuzt der Umfahrungs- und Ableitungsverkehr Gurtweil, wenn auf den Bundesstraßen 34 und 500 Stau ist, oder um zwischen B34 und B500 abzukürzen, schildert Helling. Seine pointierte Zusammenfassung: „Gurtweil wird regelmäßig als Bypass missbraucht.“

Entscheidungen auf höherer Ebene Grund für den Verkehr
Dass es überhaupt soweit kam, liegt nach Ansicht des Ortsvorstehers an der Verlagerung der Zollanlage Waldshut in die Georg-Wittig-Straße sowie am Ausbau des Waldshuter Wohngebiets Aarberg. Der Lastwagen-Rückstau habe so ortskundige wie ungeduldige Autofahrer dazu gebracht, ihren Weg über Gurtweil fortzusetzen. Die Folgen des erhöhten Verkehrsaufkommens sind Staus, Lärm und Abgas.

Von Unfallgefahr zu Lärmbelastung
Um das abzumildern, will Helling Tempo 30 auf der Rathaus und der Schlüchttalstraße. In einem Abschnitt der Rathausstraße gilt das bereits. Allerdings nicht bei den Serpentinen am Ortseingang von Waldshut kommend. Ein Blick in Hellings Unterlagen verrät: In den Jahren 1997 bis Juni 2012 verzeichnete die Ortschaft etwa 30 Unfälle in den Kurven der Rathausstraße. Die Gemeinde schätzte den Bereich deshalb als Gefahrenlage ein und veranlasste eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Stundenkilometer. Die Unfälle wurden weniger, doch 2016 kam es zu einem folgenreichen Zwischenfall:
Serpentinen mit Tempo 50 statt 30
Das Tempolimit wurde nicht nur ausgeschildert, es kam hin und wieder sogar zu Geschwindigkeitsmessungen, berichtet Helling. Wer schneller als 30 fuhr, bekam einen Bußgeldbescheid. Doch ein Empfänger legte Widerspruch ein. Sein Einwand: Die Voraussetzungen, also die entsprechende Gefahrenlage, für Tempo 30 liege gar nicht vor. Als zuständige Rechtsaufsicht schaltete sich das Regierungspräsidium ein.

Der vermeintliche Temposünder bekam Recht und die Schilder zur Geschwindigkeitsbegrenzung mussten abgebaut werden. Seitdem fährt der Verkehr wieder mit 50 die Serpentinen von Waldshut nach Gurtweil hinunter – und die Unfälle wurde wieder mehr. Allein im ersten Jahr bis August 2017 waren es laut Ortsverwaltung zehn. Für Ralph Albrecht, Leiter des Ordnungsamts Waldshut-Tiengen, besteht aktuell allerdings kein Handlungsbedarf. „Eine Neubewertung drängt sich daher nicht auf“, sagt Albrecht. Im Gesamtgebiet Gurtweil kam es nach Polizeiangaben in den vergangen beiden Jahren zu 23 Unfällen, zwei davon mit Schwerverletzten. Im Bereich der Serpentinen gab es seit 2012 laut Polizei elf Verkehrsunfälle.
Wo und wann messen?
Nachdem die Unfälle den städtischen Behörden nicht ausreichten, um Tempo 30 einzuführen, könnte es nun der Lärm richten. Die Lärm-Grenzwerte liegen in Wohngebieten laut Landesanstalt für Umwelt bei 59 Dezibel tagsüber und bei 49 Dezibel nachts. Sind die Werte darüber, liegt eine Lärmbelastung vor. Deshalb hängt viel von den Ergebnissen der Firma Fichtner ab, die die akustischen Berechnungen für den Lärmaktionsplan umsetzt. Laut Albrecht klärt die Fortschreibung des Lärmaktionsplans, ob die Bevölkerung einer Gefahr durch Verkehrslärm ausgesetzt ist oder welche Kompensationsmaßnahmen umgesetzt werden müssten. Helling betont indes, dass die Ergebnisse stark schwanken könnten, je nachdem, wo und wann gemessen wird.
Der Lärm könnte gehen, aber der Verkehr bleibt
Denn die Serpentinen ziehen sommers Motorradfahrer und ganzjährig immer mal wieder Poser an, schildert der Ortsvorsteher. Aufgrund der kurvenreichen Verkehrsführung und der Höhenunterschiede „fahren die Autos quasi mehrfach um die Häuser“, so Helling. Der Verkehr über die weitere geplante Rheinbrücke zwischen Waldshut-Tiengen und Koblenz werde voraussichtlich auch Gurtweil weiter belasten, wenn an der B34 Stau ist. Und selbst, wenn die A98 irgendwann fertiggestellt wird, würde Sie den Verkehr in Gurtweil kaum entlasten, prognostiziert Helling. Der Lärmaktionsplan könnte sich also auf den Verkehrslärm auswirken. Der Verkehr selbst bleibt der Gemeinde wohl oder übel dennoch erhalten.
Hinweis: In einer früheren Fassung des Textes nannten wir als Verkehrszahlen Schätzungen des Ortsvorstehers. Hier werden nun offizielle Zahlen der Stadt genannt. Außerdem war von einer „Blitzeranlage“ die Rede. Das konnte den Anschein erwecken, dass es sich um ein fest installiertes Gerät handelt. Vielmehr handelte es sich um Geschwindigkeitsmessungen. Zudem konnte der Eindruck entstehen, die Gemeinde Gurtweil wollte aufgrund der Unfallhäufung die Einrichtung von Tempo 30 bei der Stadtverwaltung durchsetzen. Das war nicht der Fall. Die Unklarheiten bitten wir zu entschuldigen.