Mehr als jeder dritte Waldshut-Tiengener hat bei der Landtagswahl am Sonntag grün gewählt. Damit fuhr das Bündnis 90/Die Grünen mit 35,2 Prozent in der Großen Kreisstadt ein noch besseres Ergebnis ein als auf Landesebene, wo die Partei 32,6 Prozent holte.
Die CDU büßte hingegen in Waldshut-Tiengen ihre jahrzehntelange Dominanz bei Wahlen ein. Wir haben nach der Auszählung der Stimmen mit Vertretern der Parteien aus Waldshut-Tiengen gesprochen.
Petra Thyen (Grüne)
„Herrlich“, kommentiert Petra Thyen, Grünen-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat und Kreisvorsitzende, das Wahlergebnis ihrer Partei. Im Gespräch mit dieser Zeitung zeigt sich die Kommunalpolitikerin nicht überrascht vom guten Abschneiden der Grünen auf Landesebene. Der Erfolg im Wahlkreis 59 und in der Großen Kreisstadt habe sie jedoch „überwältigt“. „Ich freue mich vor allem für Waldshut-Tiengen, denn mit einem Ergebnis von 35,1 Prozent habe ich nicht gerechnet“, erklärt sie.
Thyen freut sich besonders, dass mit Niklas Nüssle aus Wutöschingen „endlich ein grüner Abgeordneter aus dem Wahlkreis die grünen Ideen nach Stuttgart bringt“. Zudem lobte sie Nüssles Online-Wahlkampf. In Corona-Zeiten, in denen es kaum Möglichkeiten zu Präsenzterminen gab, habe der 26-Jährige „das Beste aus der Situation gemacht“. Der Wahlkampf via Videotelefonie sei für alle Parteien Neuland gewesen, räumt Thyen im Gespräch mit dieser Zeitung ein. Sie vermutet, dass die Grünen vor allem junge Wähler gewinnen konnte. „Die Friday-for-Future-Bewegung war fast ein bisschen Wahlkampfhilfe“, fügt die Sozialpädagogin hinzu.
Philipp Studinger (CDU)
Enttäuscht zeigt sich Philipp Studinger, CDU-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat und Vorsitzender des CDU-Ortsverbands Waldshut, nach der Landtagswahl. Die hohen Verluste der Christdemokraten bezeichnet er gegenüber dieser Zeitung als „Schock mit Ansage, der deshalb nicht weniger schmerzlich ist“. Der Landestrend ist laut seiner Aussage „voll im Wahlkreis angekommen“. Besonders bitter sei für ihn der große Stimmeneinbruch von fast zehn Prozentpunkten für die CDU in der Großen Kreisstadt. Ihr Direktmandat hat die Abgeordnete Sabine Hartmann-Müller verloren. „Wir zittern noch, ob sie doch noch in den Landtag kommt“, erklärt Studinger am Sonntagabend.
In der Nacht zum Montag stand dann fest, dass die 58-Jährige aus Rheinfelden über das sogenannte Zweitmandat ihren Sitz in Stuttgart behalten darf. Studinger bedauert, dass sich die Arbeit der CDU-Abgeordneten Sabine Hartmann-Müller und Felix Schreiner (Bundestag) nicht im Abstimmungsergebnis widergespiegelt habe. Als Beispiel nennt der wissenschaftliche Mitarbeiter unter anderem die Absichtserklärungen zum Bau der zweiten Rheinbrücke und eines weiteren Vorstauraums in Waldshut, die Pläne für den dreispurigen Ausbau der B 34 zwischen Tiengen und Obi-Kreisel sowie Fördermittel für die Freibadsanierung Waldshut und den Breitbandausbau.
Claudia Hecht (SPD)
Mit 9,8 Prozent, die die SPD in Waldshut-Tiengen eingefahren hat, liegt das Ergebnis „deutlich hinter unseren Erwartungen“, erklärt Claudia Hecht, SPD-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat und Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Waldshut, auf Nachfrage am Montag. „Wir sind schon sehr enttäuscht“, fügt sie hinzu. Sie hätte dem Kandidaten des Wahlkreises Waldshut, Peter Schallmayer, der in ihren Augen einen sehr engagierten Wahlkampf hinter sich hat, ein Mandat gewünscht. „Für die SPD ist es bitter, dass sie keinen eigenen Vertreter im Landtag hat“, fügt Hecht hinzu.
Richtig erklären könne sie das Abschneiden ihrer Partei nicht, wie sie im Gespräch sagt. „Vielleicht liegt es an der deutlich schlechteren Wahlbeteiligung“, nennt Hecht einen möglichen Grund. Ihr Bauchgefühl sage ihr auch, dass die CDU mit ihrer Masken-Affäre Glaubwürdigkeit verspielt habe, und viele frustrierte Wähler aus Protest die AfD gewählt hätten. „Der Hauptausschlag war bei dieser Wahl, dass die Grünen so massiv zugelegt haben. Ich denke, dass wir viele Wähler an sie verloren haben“, sagt die Einzelhandelskauffrau.
Harald Ebi (FDP)
Landtagskandidat Harald Ebi sagt am Montag auf Anfrage dieser Zeitung: „Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Ich glaube, dass ich auch von bisherigen CDU-Wählern die eine oder andere Stimme bekommen habe.“ Der Liberale blickt gleichzeitig jedoch mit Sorge auf den Absturz der Christdemokraten: „Schade ist es um die CDU. Das ist ein echtes Problem, denn eigentlich soll sie die Mitte abbilden.“ Ganz klar hätten sich beim CDU-Ergebnis das schlechte Corona-Krisenmanagement und die Maskenskandale ausgewirkt: „Das schlägt durch bis in den letzten Ortsverband.“
Auch bei seiner zweiten Landtagskandidatur hat es dem 61-jährigen Handwerksmeister aus der Waldshuter Schmittenau nicht für einen Einzug ins Parlament gereicht. „Es wäre schon schön gewesen, wenn ich reingekommen wäre“, meint Ebi. „Das sind alles Kretschmann-Wähler“, kommentiert er den Triumph der Grünen, die in Waldshut-Tiengen erstmals die CDU auf den zweiten Platz verwiesen haben. „Was mich ein bisschen schockiert hat, ist die gesunkene Wahlbeteiligung“, sagt Ebi. Ob er bei der nächsten Landtagswahl noch einmal antreten möchte, ist offen: „Da habe ich noch nicht drüber nachgedacht.“ Eine Kandidatur für den Bundestag war für den FDP-Kreisvorsitzenden nie ein Thema: „Unser Ländle ist mir wichtig.“
Bernhard Boll (Afd)
Die Alternative für Deutschland, die in Waldshut-Tiengen 2016 aus dem Stand zwölf Prozent geholt hatte, kam in der Doppelstadt diesmal auf 9,7 Prozent. Zufrieden sein könne man mit dem Ergebnis für die AfD sicher nicht, sagt deren Kandidat für den Wahlkreis Waldshut (59), Bernhard Boll aus Waldshut-Tiengen, und räumt ein: „Ich hatte mir mehr erhofft und bin schwer enttäuscht.“ Die Schuld für das schlechte Abschneiden seiner Partei sieht er zum einen in der Arbeit der noch amtierenden AfD-Landtagsfraktion, die sich „nicht mit Ruhm bekleckert hat“ und in der vom Verfassungsschutz angekündigten Beobachtung seiner Partei durch den Verfassungsschutz.
Letzteres sei beschämend, „aber die Wirkung bleibt nicht aus“. Boll, früher Stadtrat in Waldshut-Tiengen und seit der Kommunalwahl 2019 Mitglied des Waldshuter Kreistags, will sich nun auf die Arbeit im Kreisparlament konzentrieren.
Freie Wähler
Mit ihrem Kandidaten Dominik Brox aus Waldshut-Tiengen haben die Freien Wähler in der Doppelstadt 91 Stimmen geholt, was einem Anteil von 2,4 Prozent entspricht. Trotz Namensgleichheit hat die Partei, für die Brox kandidiert hatte, nichts mit den Freien Wählern im Gemeinderat zu tun, die sich als Wählervereinigung verstehen.