Käufer machen mitunter die Erfahrung, dass nicht drin ist, was drauf steht. Das gilt auch für Firmen. Beispielsweise für die Baumgartnersche Buntweberei in Wehr, die 1888 von der MBB erworben wurde. Wie genau – das lag bisher im Dunkeln. Dank eines alten Kopiebuchs kann diese Lücke geschlossen werden.
Wer Fridolin Jehles Ausführungen dazu in seiner Wehrer Chronik liest, gewinnt den Eindruck, Franz Anton Baumgartner aus Mörschwil/Kanton St. Gallen sei einer jener Schweizer Unternehmer gewesen, die ihr Geld in Südbaden investiert haben, um günstig zu produzieren. Weit gefehlt. Die „Mechanische Buntweberei F.A. Baumgartner & Cie.“ trägt zwar seinen Namen, aber wichtiger ist das „Cie.“ – der Hinweis auf die Gesellschafter. Schade, dass Jehle das nicht berücksichtigt hat. Zumal Dr. Anton Denk bereits in Klärs „Geschichte des Vorderen Wehratals“ die Namen genannt hatte: „C.W. Grether, C. Majer jg., Ernst Majer, Alfred Majer, Marie, verh. Krafft und Ernestine Gottschalk“.
Das waren reiche Textilfabrikanten aus Schopfheim. Dieser Clan kontrollierte vier Spinnereien in Schopfheim, Hausen, Atzenbach und St. Blasien. Sie hatten beispielweise den gewaltigen Betrag von 600.000 Gulden in die Spinnerei Atzenbach gesteckt. Und Baumgartner? Der war zwar Schweizer, aber keinesfalls reich. Vermutlich war er zunächst Meister in Grethers Spinnerei gewesen. Schopfheims Chronist Eberlin bezeichnete ihn 1878 als „einfachen Fabrikarbeiter“, der die Buntweberei lediglich im alten Wehrer Eisenwerk eingerichtet hat. Das Geld für den Kauf stammte jedoch von den genannten Fabrikanten.
Schlechte Arbeitsverhältnisse
Natürlich war es sinnvoll, dass Spinnereibesitzer in eine Buntweberei investierten. Diese verwebte ja ihre Garne. An sich ein sicheres Geschäft. Aber Baumgartner hatte den Laden nicht im Griff. Die Arbeitsverhältnisse waren so schlecht, dass 1882 sogar gestreikt wurde. Vor allem ließ die Qualität der Webware zu wünschen übrig.
Weil Baumgartner am 20. Dezember 1886 starb, waren die Gesellschafter gezwungen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Das war Aufgabe Carl Kraffts. Er hatte 1886 die Leitung der Schopfheimer Spinnerei (mit Atzenbach) übernommen, betrieb selbst eine Kammgarnspinnerei in Hausen und engagierte sich politisch für die Liberaldemokraten – ein vielbeschäftigter Mann. Nun sollte er als Spinnereiexperte auch noch eine Buntweberei führen. Ein echtes Problem!
Ein aktives Vertreterteam
Aber er hatte eine Lösung. Welche, ist einem vergilbten, kaum zu entziffernden Kopiebuch der MBB zu entnehmen. Im März 1887 suchte er Carl August Hipp in Brennet auf und bot ihm die Dienste der Baumgartnerschen Buntweberei als Lohnweberei an. Die MBB hatte, was ihm fehlte: Ein aktives, von Anton Denk geleitetes Vertreterteam, das Jahr für Jahr den Absatz steigerte. Hipp, der das schlechte Image der Ware aus Wehr jedoch kannte, winkte ab. Der Slogan der MBB lautete immerhin: „Vom Guten das Beste!“.
Eine geniale Idee
Doch im Herbst 1887 gab es Lieferengpässe. Die MBB geriet unter Druck. Daher schrieb Hipp am 7. Oktober diskret an Krafft: „Wir wären demnächst in der Lage, in mehreren Artikeln (...) Engagements einzugehen“. Es handelte sich um Schürzen- und Bettzeug sowie um Hemdenflanell. Aber die Sache musste geheim bleiben und die Stoffe streng nach Vorschrift der MBB gewebt werden. Das Ergebnis war wohl nicht berauschend. Hipp kam jedoch auf eine geniale Idee. Wieso nicht gemeinsame Sache mit den Schopfheimern machen, die Wehrer Weberei übernehmen, sie auf Vordermann bringen und aus dem Ganzen eine Aktiengesellschaft formen? So kam es. Anfang 1888 wurde hart verhandelt.
Ergebnis: Kauf der Wehrer Weberei für 350.000 Mark und Gründung einer AG mit 1,2 Mio. Mark Kapital. 1/6 davon in Schopfheimer Hand, 5/6 in der Hand von Hipp, Denk, Schenz und Stehle. Chef des Vorstands mit den Genannten wurde Carl August Hipp, Chef des Aufsichtsrates Carl Krafft. Der Kauf erfolgte am 1. Juli 1888. Joseph Raphael Schenz brachte als Technikvorstand den Laden auf Vordermann. Es wurde auf „pünktliche und genaue Webart“ geachtet. Neues Gerät wurde aufgestellt, Räume renoviert, elektrische Lampen montiert, Sanitäranlagen gebaut. Die Produktivität stieg, der Verdienst auch und schließlich die Motivation. Nach einem Jahr war aus einer Klitsche eine produktive Weberei mit gutem Image geworden. Ein wesentlicher Faktor auf dem Weg Wehrs zum Industriedorf und zur Stadt.