Reinhard Valenta

Als Carl und Sophie Denk am 1. September 1953 ihre goldene Hochzeit feierten, ging es in der Öflinger Poststelle turbulent zu. Hunderte Briefe, Telegramme und Geschenkpakete trafen aus aller Welt ein. Carl Denk genoss diesen Höhepunkt seiner langen Unternehmer-Laufbahn.

Zwei Jahre zuvor war er zum Öflinger Ehrenbürger ernannt worden. Eine Auszeichnung, die er sich redlich verdient hatte. Über 50 Jahre lang hatte er die Geschicke der MBB durch alle Krisen des schlimmsten halben Jahrhunderts der deutschen Geschichte gelenkt.

Unternehmer zeigt menschliche Größe

Und doch hätte Carl Denk auch aus einem anderen Grund diese Ehrung verdient. Er war nicht nur der Inbegriff des „ehrbaren Kaufmanns“, sondern weit darüber hinaus ein echter Menschenfreund, der während der brutalen Hitler-Diktatur menschliche Größe gezeigt hatte.

Sophie und Carl Denk am 1. September 1953 im Kreis ihrer Enkelkinder.
Sophie und Carl Denk am 1. September 1953 im Kreis ihrer Enkelkinder. | Bild: Reinhard Valenta

Eine der Gratulationskarten kam aus England. Absender: Marie-Louise Ash, Cotham/Sussex. 20 Jahre zuvor hatte sie Geschäftsbriefe der MBB noch mit Asch unterzeichnet. Doch hatte sie bei ihrer Einbürgerung in England auf das S verzichtet. Von diesem Buchstaben war seit 1933 in Verbindung mit NS, SA und SS so viel Unheil ausgegangen.

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Marie-Luise Asch war Fremdsprachenkorrespondentin und Jüdin. Sie sprach fließend Englisch und hatte ihre Stelle in Düsseldorf wegen der Wirtschaftskrise verloren. Doch sie hatte Glück: Carl Denk stellte sie im Juli 1933 ein. Mit ihrer Hilfe wollte er den englischen Markt für die modischen Buntgewebe der Brennet erschließen.

Voller Hoffnung begann die junge Jüdin ihre Arbeit. Für die Denks spielte ihr Glauben keine Rolle. Bereits Firmengründer Anton Denk hatte freundschaftliche Kontakt zu jüdischen Geschäftsleuten vom kleinen Ladenbesitzer bis zum Fabrikanten aufgebaut. Auch sein Sohn Carl pflegte Umgang mit Juden aller sozialen Schichten. Die Putzfrau seines Büros, Elise Engländer, war eine arme Jüdin.

Firmenchef schützt jüdische Mitarbeiterin

Der Textil-Vertreter Wilhelm Prager aus Leipzig verdiente bei der MBB ein Spitzengehalt und der Bankier Sigismund Frank zählte zur Spitze der Gesellschaft Stuttgarts. Dort hatte die MBB bis 1932 ihren Hauptsitz. Die „Nichtarierin Asch“ stellte jedoch für Teile der MBB-Belegschaft ein Problem dar. Hitler war an der Macht und die NS-Betriebsorganisation in der Firma aktiv. Der Antisemitismus griff um sich. Als bekannt wurde, dass die neue Kollegin eine Jüdin war, wurde sie brutal gemobbt. Doch Carl Denk und seine Söhne stellten sich vor sie.

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Schließlich schaltete sich der Kreisleiter der NSDAP ein und sorgte dafür, dass der MBB Aufträge entzogen wurden. Carl Denk ließ sich trotzdem nicht einschüchtern und seine Söhne Robert und Albrecht engagierten sich monatelang für Marie-Luise Asch – vergeblich. Die junge Frau kündigte schließlich im September 1934. Sie wollte nicht, dass die Firma ihretwegen Aufträge verlor.

Die Urkunde zur 1951 verliehenen Ehrenbürgerschaft von Öflingen aus dem Brennet-Texilmuseum.
Die Urkunde zur 1951 verliehenen Ehrenbürgerschaft von Öflingen aus dem Brennet-Texilmuseum. | Bild: Reinhard Valenta

Marie-Luise Asch entging dem Holocaust. Sie entkam nach England und wurde Marie-Louise Ash. Ähnlich erging es Lina Frank, der Witwe des jüdischen Bankiers Sigismund Frank aus Stuttgart. Mit deren Sohn hatte Robert Denk die Schulbank gedrückt.

Vor ihrer Ausreise in die Schweiz wohnte Lina 1936 wochenlang bei Carl und Sophie Denk. Mit ihrer Stuttgarter Freundin Martha Funk hatte Sophie Denk sogar in Carls Auto Wert- und Schmucksachen emigrierter jüdischer Freunde, die nichts hatten mitnehmen dürfen, in die Schweiz geschmuggelt. Riskante Fahrten, auf die damals Zuchthaus stand.

SPD-Genosse vor dem KZ gerettet

Carl Denk half auch von Nazis verfolgten Mitarbeitern. Als der SPD-Mann Gustav Fribolin ins KZ Strutthof kam und dann ins KZ Dachau verlegt wurde, setzte sein Chef alle Hebel in Bewegung, um ihn freizubekommen. Auch den Öflinger Kommunisten Hans Keser schützte er, als die Nazis ihn aus der MBB entfernen und ins KZ stecken wollten. Beiden rettete Carl Denk vermutlich das Leben.

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Obwohl die Nazis den Katholiken Carl Denk als „schwarzen Gesellen“ und „Jesuiter“ beschimpften, musste er 1936 Mitglied der NSDAP werden. Dem Unternehmer war, um Aufträge zu sichern, nichts anderes übrig geblieben. Doch als nach dem Krieg die Entnazifizierung begann, setzten sich alle, denen er geholfen hatte, nun für ihn ein. Sogar der „Kommunist“ Keser sprach für den „Kapitalisten“ Carl Denk, der schließlich entlastet wurde.

Carl Denk starb 1954. Er hatte Mut, Anstand und Menschlichkeit in einer Zeit bewiesen, als Hass, Ausgrenzung und Antisemitismus Staatsdoktrin wurden. Carl Denk – ehrbarer Kaufmann, Ehrenbürger und immer noch ein Vorbild für uns heute.