Wilhelm Neflin war nicht nur Kompagnon Friedrich Rupps, sondern auch sein bester Freund. Gemeinsam hatten sie die Firma „Neflin&Rupp“ aufgebaut. Wilhelm führte die Bücher, während sich Friedrich um die Webstühle und Kraftanlage kümmerte. Als Neflin 1904 krank das Bett hüten musste, platzte die Bombe. Friedrich Rupp stellte fest, dass sein Freund ihn jahrelang betrogen hatte.
Rupp hatte sich blind auf ihn verlassen. Nun wurden ihm brutal die Augen geöffnet. Als Neflin kurz vor Ende des Jahres 1904 ins Büro zurückkehrte, kam es zum großen Knall. Neflin versuchte eine Rechtfertigung. „Bei einem allfälligen Tode“ hätte Friedrich Rupp „alles so vorgefunden (…), dass ihm die unterschlagenen Summen zurückerstattet hätten werden können“. Diese hätten sich auf 8.000 Mark belaufen. Das war glatt gelogen.
Eine zweite Rechtfertigung erfolgte schriftlich am 16. April 1904. Neflin schrieb, dass „eine Aufstellung der unterschlagenen Posten unmöglich sei“. Die Buchhaltung des Angestellten Wessinger sei „in den Jahren 1880 bis 1883 und 1886 bis Juni 1888“, als Wessinger verstarb, „miserabel“ gewesen. Deshalb könne man die abgezweigten Gelder nicht mehr ermitteln. Auch das war gelogen. Er bot Rupp nun 25.000 Mark als Ausgleich an.

Für den tief enttäuschten Friedrich Rupp war es ein Leichtes, das Lügengebäude zu Fall zu bringen. Wessinger sei, wie er in seiner Antwort vom 20. April klarstellte, „doch erst im Mai des Jahres 1888“ eingetreten. Angesichts dieser „schändlichen Weise“ des Betrugs hatte Rupp bereits mit Schreiben vom 22. März 1904 die Notbremse gezogen und Wilhelm Neflins „Unterschrift im Handelsregister“ von Schopfheim löschen lassen.
Spuren verwischt
Rupp hatte erkannt, dass Neflin die Spuren seines kriminellen Tuns durch Fälschung und Vernichtung von Akten verwischt hatte. Er schrieb: „Die geradezu ärmliche Erklärung für die Lücken, welche die Buchführung (…) zeigt, beweisen mir, dass mein so großes Vertrauen in Sie in der schändlichsten Weise missbraucht (…) und ich in der gemeinsten Weise betrogen wurde“. Da Rupp aber einen geschäftsschädigenden Skandal unbedingt vermeiden wollte, setzte er nicht den Staatsanwalt, sondern „einen vereidigten Sachverständigen“ zur Prüfung ein, „und zwar selbstverständlich zu Ihren Kosten“. Dabei konnte – trotz lückenhafter Bücher – noch ein Betrag in Höhe von 43.896 Mark ermittelt werden. Man kann sich ausmalen, dass die unterschlagene Summe viel höher war.

Die Motive für Neflins kriminellen Griff in die Kasse beschrieb Albert Rupp, Sohn des Firmengründers, folgendermaßen: „Neflin gestand meinem Vater, dass er schon seit Jahrzehnten jährlich eine bestimmte Summe für sich beiseite geschafft habe, angeblich als Ausgleich dafür, dass meinem Vater von den Vereinigten Schuhstoff-Fabriken Fulda und später den Süddeutschen Schuhstoff-Fabriken Reutlingen für seine Sonderdienste eine monatliche Vergütung bezahlt wurde.“

Diese Verbindungen war man seit den 1880er Jahren eingegangen, um auch die Produkte der 1885 um Möbelstoffe erweiterten Weberei besser zu vermarkten. Wie hoch diese Sondervergütungen waren, ist unbekannt. Rupp erhielt sie jedenfalls für besondere Leistungen. Sie allein erklären aber nicht den Betrug. Dass Neflin vom ehrbaren Kaufmann zum Kriminellen wurde, hatte sicher tiefere Gründe.
Neid tödlich für Freundschaft
Aus der Schlussbilanz von Neflins Firmenkonto, die am 30. Juni 1904 erfolgte, geht hervor, dass er 200.000 Mark Einlage hatte, während die Rupps mit 600.000 Mark beteiligt waren. Die Einlagen wurden mit 5 % verzinst. Ferner bezog Neflin ein Gehalt von 6.000 Mark im Jahr. Im Vergleich zu den 4.000 Mark des Textildesigners Mäurer geradezu mickrig! Während Rupps jährlich 30.000 Mark Zinsen kassierten, bekam Neflin nur 10.000 Mark. Es ist anzunehmen, dass Friedrich Rupp wegen seines riesigen Arbeitsfeldes auch ein höheres Gehalt bezog. Da seine Söhne Fritz und Albert in der Firma waren, landete in der Familienkasse der Rupps wesentlich mehr Geld als bei Neflin. Neid ist ein furchtbares Gift, tödlich für die beste Freundschaft.

Die Trennung erfolgte abrupt. Neflins Vertrag wurde rückwirkend zum 1. Januar 1904 aufgelöst. Die nachweislich unterschlagenen 43.896 Mark wurden von seiner Einlage abgezogen und diese in Jahresraten bis zum 10.1.1908 zurückgezahlt. Neflin zog nach Freiburg. In Wehr hatte er keinen Platz mehr, obwohl der Skandal nicht öffentlich wurde. Neflins Spuren sind verwischt. Fotos von ihm gibt es keine. Nur das Familiengrab am Eingang von St. Martin erinnert an den ehrbaren Kaufmann, der aus Neid zum Betrüger seines Freundes wurde (zweiter und letzter Teil).