Die Corona-Krise führt zu absolut wichtigen Einschränkungen des alltäglichen Lebens. Darüber gibt es keine Diskussion. Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts und die von staatlichen Stellen daraus gezogenen Schlüsse und Maßnahmen sind eindeutig. Zum Schutz gefährdeter Mitbürgerinnen und Mitbürger, aber auch zum eigenen Schutz, müssen sich alle derzeit sehr einschränken – doch es kommen sicher wieder andere Zeiten! Das Leben scheint still zu stehen – aber trotzdem geht es, wenn auch langsam, weiter.

Als Regionalhistoriker habe ich mit vielen älteren Menschen zu tun. Das liegt in der Natur der Sache. Sie erinnern sich an das, was früher war. Und sie erinnern sich gern und teilen ihre Erinnerungen ebenso gern mit. Sie wollen denen, die nach ihnen kommen, ihr Wissen hinterlassen. Wertvolles Wissen! Und das ist trotz Corona möglich.
Eine der ältesten Bürgerinnen Wehrs ist die am 16.7.1923 geborene Luzia Fricker, verheiratete Linsin. Ihr Vater war stadtbekannter Portier der MBB und in vielen Vereinen aktiv. Ein begnadeter Bienenzüchter und begeisterter Sänger.
Seine Tochter Luzia hat trotz ihrer bald 97 Jahre ein messerscharfes Erinnerungsvermögen. Sie ist für mich eine lebendige Geschichtsquelle, tausendmal wertvoller als manch verstaubte Akte. Und damit sie noch lange und vor allem ihr 100-Jähriges erlebt, habe ich mit ihr folgende Methode der Recherche verabredet: Derzeit benötige ich z.B. Informationen über den katholischen Arbeiterverein sowie über den Wehrer Schuljahrgang 1921/22. Doch wie kann ich meine Quelle „Luzia“ zum Sprudeln bringen? Luzia Linsin bewohnt nämlich ein schönes Zimmer im Wehrer Altersheim. Aber das darf ich seit Corona nicht mehr betreten – und ich will es auch nicht. Zu ihrem und zu meinem Schutz.
Also greife ich zum guten alten Telefon und treffe mit der rüstigen Seniorin folgendes Arrangement: Sie erhält von mir die Ausdrucke der Fotografien, zu denen ich Informationen suche. Die Personen habe ich am Computer nummeriert. Luzia Linsin schaut sich die Fotos an und macht sich Notizen zu den Personen. Am nächsten Tag erfolgt mein Anruf, den ich mit einem digitalen Aufnahmegerät bei lautgestelltem Telefon festhalte. So einfach geht das – und zwar mit Abstand, wie das von Bundespräsident, Kanzlerin und Ministerpräsident ausgegebene Zauberwort der Krise lautet.

Ähnlich gehe ich etwa im Falle von Walburga Büche vor, die, weil viel jünger als Luzia Linsin, zu Hause in der Breitmattstraße lebt. Sie ist in der „Alten Krone“ aufgewachsen, als diese noch ein Wohnhaus der MBB war. Walburga Büche erinnert sich noch genau an die Bewohner aus der Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg. Da ich einen Beitrag über dieses geschichtsträchtige Gasthaus, wo 1848 der Revolutionär Gustav von Struve verhaftet wurde, für den Südkurier schreiben möchte, erschließe ich in ähnlicher Weise Walburga Büches Erinnerungen.“ Sie macht Notizen, beispielsweise einen Grundriss der „Alten Krone“ mit den Wohnungen und ihren Bewohnern. Ihr Sohn Konrad scannt die Skizze und sendet sie mir per Mail zu. Über Telefon zeichne ich dann die farbigen Details in einem Gespräch mit Walburga Büche mit meinem digitalen Aufnahmegerät auf.
Und wenn ich Fachliteratur benötigt? Etwa eine Dissertation über die Bamberger und Hofer Textilindustrie um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, die nämlich Parallelen zur Textilindustrie Südbadens aufweist? Dann schicke ich einfach der Buchhandlung Volk eine Mail mit den Bestellinfos. Obwohl es sich um ein Fachbuch handelte, hielt ich es drei Tage später in der Hand. Der Bestellservice wird prompt erledigt.
Sogar mein Druckerpapier, das ich als Historiker in größeren Mengen verbrauche, kann ich bei der Buchhandlung Volk bestellen. Ich muss nicht mal in die Hauptstraße gehen, weil die Buch- und Büromaterial-Bestellungen im Auto angeliefert werden und die Übergabe mit dem gebotenen Abstand stattfindet.