In zwei Stunden von München nach Schwerzen – die Brieftauben des Brieftaubenzuchtvereins Wutöschingen sind, wenn der Wind gut steht, schneller als jedes Postauto. Doch längst geht es bei der Taubenzucht nicht mehr darum, Nachrichten zu übermitteln. Wolfgang Lampert und Gerth Schreiter züchten in ihrem Verein Tauben auf Schnelligkeit und Orientierungssinn. Am 26. April öffnet der Verein seine Türen für Interessierte, um das Hobby und den Taubennachwuchs kennenzulernen.

Ein Hobby mit Suchtpotenzial

„Es ist wie eine kleine Droge. Wenn man einmal angefangen hat, hört man nicht mehr auf“, meint Gerth Schreiter, stellvertretender Vorsitzender des Brieftaubenzuchtvereins Wutöschingen, scherzhaft. Er und der Vorsitzende Wolfgang Lampert sind seit ihrer Kindheit begeistert von den Brieftauben. „Es hat mich wahnsinnig interessiert, wie die Tauben immer wieder heimkommen“, erinnert sich Wolfgang Lampert. Und so kommt es, dass die beiden seit Jahrzehnten begeistert Brieftauben züchten und fliegen lassen.

Fast frisch aus dem Ei – das kleine Brieftaubenküken ist erst zwei Tage alt und schon so groß wie eine halbe Handbreite.
Fast frisch aus dem Ei – das kleine Brieftaubenküken ist erst zwei Tage alt und schon so groß wie eine halbe Handbreite. | Bild: Leonie Werne

Mit ihrer Faszination sind die beiden nicht allein. Der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter hatte im Jahr 2023 laut eigenen Angaben rund 30.000 Mitglieder. Zur Hochzeit in den 1960er-Jahren waren es sogar 102.000 Mitglieder. Seit 1961 gibt es auch den Brieftaubenzuchtverein Wutöschingen.

Schnelligkeit zählt

Seit 2022 gilt das Brieftaubenwesen sogar als immaterielles Weltkulturerbe. Doch Briefe und Nachrichten überbringen die Tauben nur noch selten. Im Zeitalter der digitalen Kommunikation geht es bei der Brieftaubenzucht darum, die Tauben auf Schnelligkeit zu züchten und ihren Orientierungssinn zu trainieren.

Beide Fähigkeiten werden anschließend auf Distanzflügen bei Wettbewerben unter Beweis gestellt.

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Dafür werden die Brieftauben bis zu mehrere Hundert Kilometer von ihrem Heimatort entfernt fliegen gelassen. Anschließend kehren die Vögel binnen wenigen Stunden in ihren heimischen Schlag zurück. Ein kleiner elektronischer Ring am Fuß der Taube erfasst auf die Sekunde genau, wann die Taube die Schwelle zum Stall übertritt. Die schnellste Taube gewinnt.

Der zweite Vorsitzende Gerth Schreiter zeigt das hochmoderne Transportfahrzeug für die Brieftauben. Damit werden die Tauben zum Startort ...
Der zweite Vorsitzende Gerth Schreiter zeigt das hochmoderne Transportfahrzeug für die Brieftauben. Damit werden die Tauben zum Startort gebracht, von dem sie anschließend nachhause fliegen. | Bild: Leonie Werne

Das Training

Damit diese Leistung der Tiere gelingt, brauche es eine gute Zucht, gut umsorgte Tiere und regelmäßiges Training ab Anfang März, wenn die Saison beginnt, erklärt Wolfgang Lampert. Im Winter müssten die Tauben in den Volieren der Ställe bleiben, da die Gefahr von Greifvögeln einfach zu groß sei.

Beim Training würden die Tauben stückweise immer weiter vom Stall entfernt fliegen gelassen werden, erklärt Wolfgang Lampert weiter. Distanzflüge von mehr als 100 Kilometern würden die Tauben aber nur etwa zwölfmal in der Saison fliegen. Jungtauben fliegen gut sechsmal. Bei Windstille erreichten die Tauben eine Geschwindigkeit von bis zu 75 Kilometern pro Stunde, erklärt Wolfgang Lampert.

Wolfgang Lampert zeigt die technische Messstation, mit der auf die Sekunde genau erfasst werden kann, wann die Tauben in ihren Schlag ...
Wolfgang Lampert zeigt die technische Messstation, mit der auf die Sekunde genau erfasst werden kann, wann die Tauben in ihren Schlag zurückkehren. | Bild: Leonie Werne

Gefahr durch Greifvögel

„Wir versorgen die Tiere mit Leidenschaft. Sie bekommen alles und sind versorgt wie Leistungssportler. Die Strecken von hunderten Kilometern können die Tauben ohne Problem bewältigen“, sagt Wolfgang Lampert. Wenn ein Tier verletzt oder gar nicht zurückkomme, sei das auf einen Angriff eines Greifvogels zurückzuführen. Dieser würde bei Angriffen den Taubenschwarm in Panik versetzen, sodass diese bis zur Erschöpfung fliegen, mit Ästen kollidieren oder von ihrem Weg abkommen, erklärt Wolfgang Lampert weiter.

Die dunklen Streifen, die sich quer über den Taubenrücken ziehen, werden „Binden“ genannt. Je dunkler die Binden, desto fitter die ...
Die dunklen Streifen, die sich quer über den Taubenrücken ziehen, werden „Binden“ genannt. Je dunkler die Binden, desto fitter die Taube, erklärt Wolfgang Lampert. | Bild: Leonie Werne

Taube ist nicht gleich Taube

Den beiden Vorsitzenden ist es wichtig, zu betonen, dass es wesentliche Unterschiede zwischen den bekannten Stadttauben und den Brieftauben gebe. „Der Orientierungssinn der Stadttauben geht im Vergleich gegen null“, sagt Gerth Schreiter. Während sie sich in einem Umkreis von zehn bis zwölf Kilometern zurechtfinden, würden Brieftauben über Hunderte Kilometer ihren Schlag wiederfinden, erklärt Wolfgang Lampert. Der Rekord für die weiteste Strecke einer Brieftaube liege derzeit bei rund 3200 Kilometern.

„Das Problem ist, dass manche nicht zwischen Brieftauben und Wildtauben unterscheiden“, sagt Wolfgang Lampert. Dadurch würde viel Unmut und Kritik, der eigentlich der Stadttaube gilt, auch auf die gezüchteten Brieftauben zurückfallen.

So beispielsweise die Kritik, dass Hochzeitstauben nach dem Fliegenlassen nicht zurückfinden würden. Ist das der Fall, dann habe ein unseriöser Züchter weiße Stadttauben ohne guten Orientierungssinn vermietet. Für weiße Brieftauben hingegen sei die Heimkehr keine Herausforderung, meint Wolfgang Lampert.

Die beiden Küken der weißen Brieftaubenmutter sind ungefähr zehn Tage alt.
Die beiden Küken der weißen Brieftaubenmutter sind ungefähr zehn Tage alt. | Bild: Leonie Werne

Darüber hinaus würden die Zuchttauben im Gegensatz zu den Stadttauben eine Rundum-Pflege bekommen, erläutert Gerth Schreiter. Abgestimmtes Körnerfutter, Impfungen, Tierarztbesuche und eine kontrollierte Vermehrung seien alles Maßnahmen, um die Gesundheit der Tiere zu sicherzustellen. Die Sorge, dass Brieftauben die Umgebung verschmutzen würden oder durch ihren Kot Krankheiten übertragen, sei laut den Beiden deswegen vollkommen unbegründet.

Mit Klischees aufräumen

Am 26. April 2025 öffnet die Familie Schreiter, die Teil des Briefzuchtvereins Wutöschingen ist, im Rahmen einer Aktion der Dorffreunde Eggingen die Türen zu ihren Taubenställen. Interessierte können hier das Hobby Brieftaubenzucht kennenlernen und den Nachwuchs bestaunen.

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