Von Claudia Wagner

Allensbach – Michaela Müsch ist einigermaßen aufgebracht. Außerdem hat sie wenig Zeit, ihre Gäste warten. Die Inhaberin des Burghofs in Wallhausen hat ein hartes Jahr hinter sich – und das hängt eng zusammen mit den Ereignissen am 6. Mai 2015. An diesem Tag hatten sich etwa 100 Tonnen Geröll in der Marienschlucht gelöst und stürzten einen 35 Meter steilen Abhang hinunter. Zwei Wanderer wurden von den Geröllmassen erfasst, die Frau starb, ihr Begleiter konnte sich aus dem Geröll befreien und überlebte leicht verletzt. Seither ist die Schlucht gesperrt und nicht mehr zugänglich. Auch der Premiumwanderweg Seegang, der durch die Marienschlucht führte, ist umgeleitet worden.

Für Michaela Müsch kamen die Folgen des Erdrutsches einer Katastrophe gleich. „Drei Monate lang waren wir hier fast ohne Umsatz, abgeschnitten von der Außenwelt.“ Sogar der Wanderparkplatz, von dem aus der Burghof bequem zu erreichen ist, sei wochenlang abgesperrt gewesen. Gäste kamen in dieser Zeit nicht mehr zum Burghof. „Es war wie ein Spuk“, sagt Michaela Müsch, die schätzt, dass der Verlust etwa die Hälfte des Jahresumsatzes beträgt. Inzwischen läuft das Geschäft wieder – obwohl die Marienschlucht als Hauptattraktion fehlt.

Etliche Gäste, die über Ostern die Waldwirtschaft besuchten, hätten gefragt, wann die Marienschlucht wieder geöffnet werde. Müsch geht die Geduld aus: „Ich habe mir überlegt, eine Bürgerinitiative zu gründen. Sonst passiert ja nichts. Da muss öffentlicher Druck her“, glaubt die Gastronomin. Unterstützung bekäme sie von vielen Menschen, Einheimischen, Gästen. Den Behörden traut sie in dieser Frage nicht mehr.

Michaela Müsch ist nicht die einzige, deren wirtschaftliches Wohl auch von der Marienschlucht abhängt. Der Betreiber der CMS-Schifffahrt, Clemens Mauch, äußerte gegenüber dem SÜDKURIER, die Gästezahlen seien 2015 um 25 Prozent eingebrochen. Das Ziel Marienschlucht steuert er nicht mehr an.

Einer der Verantwortlichen ist Johannes von Bodman. Dem gräflichen Haus von Bodman gehört die Marienschlucht, sie ist an die Gemeinden Bodman-Ludwigshafen und Allensbach verpachtet. Deshalb sind die Gemeinden für die Wartung der Wege und die Sicherheit in der Schlucht zuständig. „Die Marienschlucht ist ein wichtiges Ausflugsziel“, sagt Johannes von Bodman. Alle hätten ein Interesse daran, sie wieder zu eröffnen. Allerdings müsse man das Gutachten des geologischen Landesamts abwarten. Johannes von Bodman verweist auf das Alleinstellungsmerkmal der Schlucht und ihrer Umgebung: „Der Weg Bodman-Wallhausen ist die längste unbebaute Strecke am Bodensee“ – für Wanderer eine große Attraktion.

Allensbachs Bürgermeister Stefan Friedrich ist nicht glücklich über die Situation, spürt den Druck der Bevölkerung, der die Marienschlucht am Herzen liegt und die auf ihre Wiedereröffnung drängt. Dennoch: Hoffnungen kann Stefan Friedrich nicht machen. Es gebe drei Bereiche, die für eine mögliche Sanierung der Marienschlucht abgeklärt werden müssten: die geologische Seite, den rechtlichen Aspekt und die Kosten. „Im Prinzip bräuchten wir für alle drei Bereiche grünes Licht.

“ An erster Stelle stehe nun die Risikoneubewertung, die durch das geologische Landesamt vorgenommen werde. Das Gutachten werde aktuell vom geologischen Landesamt erstellt, im Sommer sei mit einem Ergebnis zu rechnen. Für ihn stehe allerdings die Frage im Raum, ob die Schlucht überhaupt wieder eröffnet werden könne. „Wir hoffen auf gute Nachrichten, ich bin aber nicht so optimistisch. Es ist dort ein Mensch ums Leben gekommen – und in der Marienschlucht sind ganze Schulklassen unterwegs.“ Es müsse klar sein, wer die Schuld trage, falls etwas passiere. Die beiden Gemeinden Allensbach und Bodman-Ludwigshafen planen, das Gutachten des geologischen Landesamts noch vor der Sommerpause zeitgleich in den Gemeinderäten zu diskutieren und auf dieser Grundlage zu entscheiden.

Weitere Projekte liegen auf Eis: Geplant sind eine Steganlage direkt bei der Schlucht, ein neuer Kiosk und sanitäre Anlagen. Die Gelder dafür müsse man im Haushalt einplanen, das sei aber nur sinnvoll, wenn die Schlucht begangen werden dürfe. Das Land habe seinen Zuschuss zur Anlegestelle, Toilette und Schutzhütte bis zu der Entscheidung zurückgestellt, wie Matthias Weckbach, der Bürgermeister Bodman-Ludwigshafens, mitteilt.

Unterdessen geben sich die zuständigen Gutachter wenig optimistisch. In den Alpen gibt es auch gefährliche Wegstücke und unklare Witterungsverhältnisse, auch an ausgewiesenen Wegen. Was macht den Unterschied zur Marienschlucht aus? Sicher gibt es einen gefühlten Unterschied, ob Sie in hochalpinem Gebiet unterwegs sind, bei dem man rein intuitiv eher auf Naturereignisse gefasst ist oder sich auf einem vermeintlich sicheren Wanderweg in weitgehend flachem Gelände befinden. Grundsätzlich gelte, dass der Grundstückseigentümer für die Verkehrssicherungspflicht zuständig ist. Das Landesamt für Geologie gebe lediglich eine gutachterliche Einschätzung zur Gefährdungssituation ab. Allerdings macht Clemens Ruch, Leiter des Referats für Ingenieursgeologie beim Landesamt für Geologie, sehr deutlich, dass die Ingenieursgeologen derzeit die Freigabe der Schlucht nicht verantworten könnten. Zwar wäre eine technische Sicherung der Schlucht denkbar, bedeute aber einen erheblichen Eingriff in das Gelände. Die Kosten einer solchen Operation seien voraussichtlich immens.

„Sicherung wäre erheblicher Eingriff“


Clemens Ruch, Leiter des Referats für Ingenieursgeologie beim Landesamt für Geologie, Bergbau und Rohstoffe des Regierungspräsidiums Freiburg, erläutert das Vorgehen bei der Beurteilung der Sicherheit der Marienschlucht.

In der Marienschlucht gab es einen Todesfall während eines Erdrutsches. Gibt es ähnliche Fälle im Land?

Zum Glück sind solche tragischen Unglücke wie in der Marienschlucht äußerst selten. Dazu haben auch die Umstände wie die äußerst enge topografische Situation und die plötzlich auftretende Rutschung nach intensiven Niederschlägen beigetragen. Die schlammähnliche Rutschung erfolgte überaus schnell. so dass beide Wanderer nicht mehr reagieren konnten.

Was prüft das Landesamt für Geologie, um einschätzen zu können, ob man die Schlucht sanieren kann?

Wir sehen uns die Struktur vor Ort an und geben eine Einschätzung ab, wie wir Position und Standfestigkeit von Hang und Gesteinsschicht beurteilen. Allerdings können auch wir nicht in den Untergrund des Hanges hineinblicken, sodass sich die Analyse auf einen optischen Einblick im Gelände beschränkt.

Wie hoch könnten in etwa die Kosten einer solchen Sanierung sein?

Wir haben als Ingenieurgeologen festgestellt, dass wir eine Abnahme und Freigabe der Schlucht derzeit nicht verantworten können. Eine technische Sicherung der Schlucht ist denkbar, würde aber einen erheblichen Eingriff in das Gelände notwendig machen. Dabei wären weitere Aspekte wie der Naturschutz zu berücksichtigen. Eine absolute Sicherheit kann nicht garantiert werden. Konkret kann ich die Kosten nicht beziffern.

Fragen: Claudia Wagner