Die junge Frau steht mit ihrem Baby im Arm an der Wohnungstür und kann so gut wie kein Deutsch. Ein paar Informationen aber lassen sich doch gewinnen: Die Familie, gibt die Frau zu verstehen, stammt aus Vietnam, ihr Mann ist bei der Arbeit und dann bestätigt sie noch, was in Allensbach längst die Runde macht. Die Gebäude 12 bis 18 an der Kaltbrunner Straße werden zurzeit entmietet, schon jetzt stehen sie so gut wie leer.
Als es dann wirklich schwierig wird mit der Unterhaltung, weiß sich die Frau zu helfen. Sie ruft ihren Cousin an, Herr Do – auch er ist Vietnamese, sein Deutsch ist vorzüglich. Ihm genügt der Hinweis darauf, dass da ein Journalist und ein Fotograf vom SÜDKURIER vor der Tür stehen und Näheres in Erfahrung bringen wollen über das, was mit den Wohnblocks geschieht. Das Interesse liegt auf der Hand. Wohnungen sind rar, zumal wenn sie günstig sind. Und danach sieht es aus.
Die Cousine stellt das Handy auf laut und also übersetzt Herr Do am Telefon, manchmal erzählt er von sich aus. Seit etwa vier Jahren wohne die Familie seiner Cousine in Allensbach, die fristgerechte Kündigung auf Ende des Jahres wurde am 24. Januar ausgesprochen. Reichlich Zeit für die Suche nach einer neuen Wohnung, und auch hierbei ist Herr Do behilflich. Beim Wohnort ist ist die Familie flexibel, gesucht werde vor allem in Konstanz.
Hohe Mieten trotz maroder Bausubstanz
Der Mietpreis spielt dabei selbstverständlich eine Rolle, aber sonderlich günstig sind auch die Wohnungen in den Blöcken an der Kaltbrunner Straße nicht. Für etwa 65 Quadratmeter bezahle die Familie ungefähr 700 Euro kalt, was angesichts des Zustands der Gebäude einigermaßen überrascht.
Schon von außen sehen die Wohnblöcke marode aus, die Treppenhäuser und der flüchtige Blick in die wenigen noch nicht leer stehenden Wohnungen hinterlassen ebenfalls den Eindruck der Abbruchreife.
Im Nachbarblock das gleiche Bild. Heruntergelassene Rollläden, tote Klingeln, zersprungenes Fensterglas. Ein paar Müllbehälter und nachlässig abgestellte Fahrräder deuten aber darauf hin, dass die ein oder anderen Wohnung vermutlich noch bewohnt ist.
Rentnerin lebt seit über 60 Jahren hier
Schließlich öffnet eine Rentnerin, und sie weiß einiges zu erzählen. Seit 62 Jahren wohnt sie hier, es ist ihr Zuhause. 1959 zogen sie und ihr Mann in eines der Betriebswohnungsgebäude der benachbarten Kunstblumenfabrik ein. Beide hatten in dem Unternehmen ihr Auskommen, dessen Ende 1993 kam. Die Blöcke 12 bis 18 blieben, das Zuhause auch. Im Fall der Rentnerin sind es exakt 69,8 Quadratmeter.
Zur Miete will die Frau nichts Genaues sagen, aber günstig kann sie nicht sein. Im Gegensatz zur Familie von nebenan könnte sie nach München ziehen, wo ihre beiden Kinder und fünf Enkeln leben. Sie habe ein Angebot für eine Wohnung – etwas kleiner zwar, aber günstiger und eigentlich recht schön.
Die Kündigung, erläutert die Rentnerin, ist nicht überraschend gekommen, schon lange war im Dorf davon die Rede. Doch selbst jetzt, da es in ihrem Fall nur noch wenige Wochen bis zum Kündigungstermin sind, möchte sie sich nicht damit beschäftigen. Immerhin so viel lässt sich ihr entlocken: Wenn sie schon raus muss, dann würde sie doch lieber irgendwo in Allensbach unterkommen.
Der Preis der Sesshaftigkeit ist hoch, zumal die Rentnerin kein Wohngeld bezieht. Das sagt auch Herr Do über die Familie seiner Cousine. Der ganz normale Mittelstand – so wohnt er, das zahlt er.
Nebenan werden neue Wohnungen gebaut
Stefan Friedrich kann daran nur wenig ändern. Der Bürgermeister von Allensbach sieht die Gemeinde beim Einfluss auf die Wohnungspolitik am Spielfeldrand, womit er ein wenig tiefstapelt. Dort wo früher die Kunstblumenfabrik stand, das später als Technologiezentrum diente, wird nachverdichtet.

In dem im Bau befindlichen Komplex entstehen (neben den Räumlichkeiten für einen Polizeiposten und gewerblichen Einheiten) 22 Wohnungen. Sie sind ein Gemeinschaftsprojekt der Gemeinde mit der Sparkasse und die Mieten sollen sich auf dem Niveau des Mietspiegels bewegen. Immerhin ein kleiner Beitrag zur Beeinflussung des Wohnungsmarktes.
Bürgermeister rechnet bald mit Bauantrag
So einfach wie mit Herrn Do gestaltet sich die Kommunikation mit dem Inhaber der alten Betriebswohnungen unterdessen nicht. Die Riegert Wohnungsbau GmbH mit Sitz in Konstanz beziehungsweise Tägerwilen, die die Kündigungen an die Mieter verschickt hat, reagierte auf mehrere telefonische und schriftliche Anfragen nicht.

Stefan Friedrich geht jedoch davon aus, dass in den nächsten Wochen Näheres über die Entwicklung an der Kaltbrunner Straße bekannt wird. Er rechnet mit einem Bauantrag zum Abriss der Wohnblöcke mitsamt einer Neubebauung mit Wohnungen im Rahmen des bestehenden Bebauungsplanes.