Das Problem kennen viele Geschäftsinhaber: Kaum hat man die Tür verschlossen, kommt ein enttäuschter Kunde: „Ach, ist für heute schon zu?“ Und egal, in welche Richtung man die Öffnungszeiten ausweitet, allen recht macht man es nie. Dieses Thema hat auch Nicole Claußnitzer und ihren Mann Jan umgetrieben.

Seit 2024 betreiben sie in der Kaltbrunner Straße in Allensbach einen „Genussladen“ mit Produkten aus eigener Produktion und frischen Lebensmitteln von Bauernhöfen aus der Region. Ihr Geschäftsmodell beruht auf vier Säulen: Zu Beginn gab es den Cateringservice, der im schwierigen Pandemiejahr 2020 startet, dieser wurde durch den Genussraum ergänzt, in dem das Ehepaar Kochkurse anbietet.

Es folgt der Hofladen, dessen Raum das Ehepaar übernimmt, als der vorherige Inhaber sein Geschäft 2024 aufgibt. Die vierte Säule ist die Manufaktur, in der Nicole und Jan Claußnitzer ihre Produkte herstellen und vertreiben: selbst gemachte Marmelade zum Beispiel oder Chutneys.

Die Zettel mit den QR-Codes sind hier vor den Flaschen mit Speiseölen aufgereiht.
Die Zettel mit den QR-Codes sind hier vor den Flaschen mit Speiseölen aufgereiht. | Bild: Wagner, Claudia

Ein Hightech-Hofladen? So entstand die Idee

Schwierig genug, diese vier Standbeine des Geschäftsmodells aufrechtzuerhalten. Zusätzlich habe die Baustelle der B33 im vergangenen Jahr dazu beigetragen, dass es nicht einfach war, Kunden auf ihr Geschäft aufmerksam zu machen, berichtet Nicole Claußnitzer, gelernte Krankenschwester, die erst seit 2021 komplett auf den eigenen Betrieb als Einkommensquelle setzt. Über den Winter – mit geringem Cateringgeschäft – seien sie mit ihrem Personal gut klargekommen. Nun aber, mit wachsendem Interesse, könnten sie keinesfalls erweiterte Öffnungszeiten personell abdecken.

Ein Geschäft, das sie im Sommer in der Steiermark entdecken, bringt die beiden auf die Lösung: ein Bauernladen, der rund um die Uhr geöffnet hat, aber kein Personal vorhält. Die Kunden gelangen über eine Schiebetür, die mit einem elektronischen Türöffner verbunden ist, hinein. Genau dies soll nun auch bei der „Genussreise“ in der Kaltbrunner Straße funktionieren. Nicole Claußnitzer informiert sich bei der Firma Lokbest, die Inhabern vor allem von Bauernläden ermöglicht, ihren Laden auch jenseits der Öffnungszeiten zugänglich zu machen.

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So gelangen die Einkäufer Tag und Nacht in den Laden

So soll es künftig funktionieren: Kunden, die den 24-Stunden-Service nutzen wollen, registrieren sich mit Name, Adresse und einer Identifizierung über Foto und Ausweisdokument bei der App Lokbest. In der App können sie die Produkte, die bei der Genussreise vorrätig sind, bereits einsehen. Wenn sie sich fürs Einkaufen entscheiden, schickt ihnen die App einen Code zu und sie können die Ladentür öffnen.

Im Laden ist inzwischen jede Produktart mit einem Zettel mit QR-Code versehen. Wer ein Produkt erwirbt, scannt dieses, nimmt das Produkt und bezahlt am Schluss entweder direkt online mit dem Mobiltelefon oder über ein Kassengerät per EC-Karte, das im Laden steht.

Das Scan-Gerät an der Eingangstür und die Anleitung für die registrierten Kunden, wie sie in den Laden Genussreise kommen.
Das Scan-Gerät an der Eingangstür und die Anleitung für die registrierten Kunden, wie sie in den Laden Genussreise kommen. | Bild: Wagner, Claudia

Was sagen die ersten Kunden zum 24-Stunden-Markt?

Kunden reagieren zum großen Teil positiv auf das neue Einkaufserlebnis, das ab Freitag, 2. Mai, möglich ist. „Ich habe hier immer schon eingekauft, auch bei den Vorbesitzern“, sagt Kundin Marlies Seeck, die an diesem Vormittag geräucherten Fisch im Laden kauft. „Ich finde es toll, wenn der Laden nun dauerhaft geöffnet ist. Ich bin selbst berufstätig und organisiere meinen Einkauf gern flexibel.“

Sich auf eine App und einen teilweise digitalisierten Einkauf einzustellen, falle ihr zwar im ersten Moment schwer, „wenn man mir aber zeigt, wie es geht, ist es für mich in Ordnung.“ Kunden, die sich mit der neuen Art des Einkaufens schwertun, will Nicole Claußnitzer entgegenkommen. „Wir sind im Gespräch mit den Älteren und versuchen, an jedem Wochentag auch ein bis zwei Präsenzstunden im Laden zu schaffen, damit sie wie gewohnt einkaufen können“, sagt Claußnitzer.

Der QR-Code an der Gemüsekiste: Nicole Claußnitzer zeigt, wie sie jedes einzelne Produkt – hier Brokkoli und Blumenkohl – mit einem ...
Der QR-Code an der Gemüsekiste: Nicole Claußnitzer zeigt, wie sie jedes einzelne Produkt – hier Brokkoli und Blumenkohl – mit einem QR-Code auszeichnet. | Bild: Wagner, Claudia

360-Grad-Kamera und Daten: So wird der Laden überwacht

Und wie steht es um die Sicherheit und die Datensicherheit? Die Inhaberin verlässt sich dabei auf die Erfahrungen der Anbieterfirma ihres neuen Systems. Der Laden ist mit einer 360-Grad-Kamera videoüberwacht. Würde etwas gestohlen, so kann Lokbest innerhalb kürzester Zeit Name und Adresse der in Frage kommenden Person ermitteln und im Zweifelsfall an die Polizei weitergeben. So dürfte die Hemmschwelle für Diebstahl relativ hoch sein.

Auf der anderen Seite steht die Datensicherheit. Für die Registrierung bei der App muss jeder Neukunde Name und Wohnadresse angeben, erläutert Jasmin Sigl, Marketingmanagerin bei Lokbest. „Die Kundendatenbanken entsprechen allen EU-Standards“, versichert sie. Die Erhebung der Daten sei aber notwendig, um dem Kunden online eine Rechnung stellen zu können.

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Welche Daten müssen die Kunden dafür preisgeben?

Es geht aber noch weiter. Da der Genussreise-Laden in Allensbach auch alkoholische Getränke im Angebot hat, müssen Kunden sich zusätzlich mit eingescanntem Ausweis (Vorder- und Rückseite) und einem Selfie bei der Firma Idenfy registrieren lassen. Diese Maßnahme wiederum diene dem Jugendschutz, erläutert Sigl. „Es muss gewährleistet sein, dass die Person, die den Laden betritt, über 16 beziehungsweise 18 Jahre alt ist“, sagt sie.

Damit Jugendliche dazu nicht den Ausweis von Vater oder Mutter nutzen, sei das Selfie notwendig. Sobald die Künstliche Intelligenz den Abgleich der Fotos vorgenommen habe, erhalte der Kunde den Code zum Laden. Es sind also nicht eben wenige Daten, die der Kunde preisgeben muss für einen schnellen Einkauf zu beliebiger Uhrzeit.

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Jan und Nicole Claußnitzer sind gespannt, wie ihre Kunden das System annehmen und ob die geplante Entlastung Realität wird. Sie wissen genau, was sie mit der gewonnenen Zeit anfangen wollen: Diese wollen sie in die Manufaktur stecken und neue kulinarische Produkte entwickeln und Aufwand und Mühe ins Catering investieren. Schließlich soll sich der Familienbetrieb, der mit so vielen Anfangshürden konfrontiert war, dauerhaft tragen.