1938, 1976, 1983, 1993, 1999, 2005 und nun seit 2015 – die Marienschlucht war im Lauf der Zeit immer wieder verschüttet. Auch Unfälle oder tödliche Unglücke ziehen sich durch die 121 Jahre seit ihrer Eröffnung. Diese waren oft im Bereich um die Schlucht, aber nicht in ihr selbst. Egal was war – die Schlucht wurde wieder geöffnet.
Doch dieses Mal ist alles anders. Ein Erdrutsch mitten in der Schlucht, bei dem Anfang Mai 2015 eine Frau ums Leben kann, zeigte, wie unberechenbar Natur und Geologie dort sein können. Lange war nicht klar, ob aus Gründen der Sicherheit oder Machbarkeit eines Tages wieder Besucher dort laufen können.
Gemeinden wollen Marienschlucht nicht aufgeben
Die Gemeinden Allensbach, Bodman-Ludwigshafen und Konstanz wollen die Marienschlucht, die Bodman-Ludwigshafen vom Gräflichen Haus gepachtet hat, und den Uferweg aber nicht aufgeben. Die Planungen laufen.

Eine Frage steht bei der Diskussion um Schlucht und Uferweg im Mittelpunkt: Warum ist es dieses Mal so kompliziert? Bei anderen Schluchten gehe es oder früher ging es doch auch immer, kommt teilweise als Argument auf.
Rechtsanwalt Mathias Preussner von der Projektgruppe Marienschlucht hat die Antwort: Im Gebirge zum Beispiel seien Gefahren sehr offensichtlich und leichter einschätzbar, doch in einem waldigen Bereich wie der Marienschlucht werde es für den Laien schwierig. Dies erklärte er in einer gemeinsamen Sitzung und Infoveranstaltung aller Gemeinden, auf deren Gemarkung die Schlucht liegt.
Gefährlicher denn je
Das Gesetz sei eigentlich nicht so viel anders, aber die Interpretation habe sich verschärft. Konkrete Urteile (Richterrecht) gäben den Kurs vor und der Begriff Verkehrssicherungspflicht stehe ganz oben. Das weiß auch Johannes von Bodman und sagt klar, dass es momentan gefährlicher denn je ist, da die Besucher kreuz und quer laufen, weil die Wege gesperrt sind.
Eine bessere Absperrung als jetzt sei kaum möglich. Es sei "irre, dass die Gemeinde trotzdem haftbar ist", falls etwas passiert. Er findet, dass es nötig wäre, einen Mittelweg zu finden, der die Selbstverantwortung jedes Besuchers einbezieht. Er bedauert, dass es rechtlich nicht ausreicht, Schilder aufzustellen, die auf die Lebensgefahr im Bereich der Schlucht hinweisen.

Dem Allensbacher Bürgermeister Stefan Friedrich ist klar, dass die Antwort immer unbefriedigend sei, aber er betont den Ernst der Lage. "Wenn die Natur früher etwas kaputt gemacht hat, wurden die Wege wieder gerichtet. Das geht jetzt nicht mehr, nachdem ein Mensch zu Schaden gekommen ist."
Johannes von Bodman: "Früher hat man den Menschen mehr zugetraut"
Ein solches Unglück sei auch nicht absehbar gewesen. Das geologische Landesamt hatte zuvor noch Untersuchungen gemacht, aber keine akute Gefahr festgestellt. Es habe sich herausgestellt, dass alles völlig neu betrachtet werden müsse und immer etwas ohne vorherige Anzeichen geschehen könne.

"Früher hat man den Menschen mehr zugetraut zu sehen, wo die Gefahr ist", sagt Johannes von Bodman in Hinblick auf die hohen Sicherheitsanforderungen, denen die Gemeinden derzeit gegenüberstehen. In den 1950er- und 60er-Jahren zum Beispiel hätten noch Holzbohlen in den Flussbereichen gelegen, und die Besucher liefen darüber.
Erst später entstanden Treppenkonstruktionen mit Geländern und andere Sicherungen. Bodman glaubt, dass die Verkehrssicherungspflicht insofern eine Entwicklung zum Schlechten sei, als dass man den Besuchern damit nicht zutraue, selbst Verantwortung zu übernehmen. Dies bedinge, dass die Leute als Folge automatisch weniger Verantwortung übernehmen und ein Kreislauf entstehe. "Das ist das Beeindruckende und Unverständliche an der Diskussion."
"Unfälle im Bereich der Schlucht ziehen sich durch die Zeit durch. Es gab auch immer wieder Rutsche. Aber es gab vor 2015 lange keinen Todesfall mehr", sagt Bodman. Das Gestein der Marienschlucht sei ein Molassefels (Sandstein) mit einer Humusschicht. "Wenn es stark regnet, gelangt Wasser hinter die Humusschicht und die Erde rutscht ab", erklärt er.
Tödliche Unfälle
Als Sicherungsmaßnahmen gebe es etwa alle 20 Jahre Baumfällungen in den Hängen, um diese auszudünnen und Erdlawinen zu verhindern. Der SÜDKURIER berichtete zum Beispiel vor der jüngsten Wiedereröffnung der Schlucht im Jahr 2008 über verschiedene Aktionen.
Nach einem Unfall, bei dem zwei Jungen im September 1976 wegen nassem Laub vom Weg abgerutscht waren, fasste am 22. September 1976 ein SÜDKURIER-Artikel zusammen: "Tragischer endeten in den vergangenen 20 Jahren dagegen die Ausrutscher von etwa zehn Wanderern, die vom Wege abkamen: Sie fielen in die Tiefe und fanden den Tod."
Noch im selben Jahr fanden Arbeiten in der Marienschlucht statt, um mit einem Ausbau eine erhöhte Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Es gab eine Ergänzung oder Ersetzung von Holz durch Beton und Eisen.
Ein späterer tödlicher Unfall war Anfang Mai 1988. An einer Felswand nahe der Schlucht stürzten zwei Jungen im Alter von 13 und 15 Jahren ab und fielen 20 Meter tief. Der 15-Jährige trug lebensgefährliche Verletzungen davon und starb später im Krankenhaus. Die Jungen hatte eine Abkürzung genommen, nicht den offiziellen Weg. 2008 stürzte ein Mann am Höhenweg bei der Schlucht ab und wurde schwer verletzt.

Bisher gab es immer Aufräumarbeiten, wenn Erde und Bäume in die Schlucht stürzten. Ihre jüngste Wiedereröffnung war im Jahr 2008, nachdem sie rund drei Jahre wegen Erdrutschen, die Stegteile in der Schluchtmitte zerstört hatten, geschlossen war.
Wie geht es weiter mit der Marienschlucht?
Zur Sicherung vor erneuten Erdrutschen wurden 80 Leitplanken in den Felsen verankert. Während einer Sprengung von lockeren Felsteilen im August 2007 gab es erneute Rutsche. "Das wäre heute undenkbar", sagt Friedrich über diese Spreng-Maßnahme.

Und wie läuft es dieses Mal? Das tödliche Unglück ist nun drei Jahre her und es gibt erste Varianten für ein mögliches Konzept, das Schlucht, Uferweg und weitere Wege auf dem Bodanrück beinhaltet. Darin zeichnet sich ab, dass es eine Hängebrücke über den hinteren Teil der Schlucht geben könnte und der hintere Teil eher nicht mehr begehbar wird.
Dort, so Stefan Friedrich, lägen auch die größten Gefahren, die nicht in den Griff zu bekommen seien. Die künftigen Wege sollen attraktiv werden und eine sichere Besucherlenkung bieten. Aussichtsplattformen und die Brücke könnten das Schluchterlebnis von oben bieten. So werde vermutlich ein Teil der Schlucht aufgegeben werden müssen, doch es würden dann neue Höhepunkte geschaffen.
Die Lenkung sei wichtig, damit niemand abseits der offiziellen Strecken läuft und sich in Lebensgefahr begebe. "Touristen lassen sich nicht abhalten. Sie laufen, wo es gerade geht. Das ist ein Supergau für Natur und Sicherheit", sagt er.

Wann die Arbeiten beginnen und eine Wiederöffnung sein wird, kann noch keiner der Beteiligten abschätzen. Im ersten Halbjahr 2019 soll aber das Konzept stehen und auf September 2019 ist die Antragstellung für Zuschüsse anvisiert, erklärt Matthias Weckbach, Bürgermeister von Bodman-Ludwigshafen. "Wir wollen nicht gegen, sondern mit der Natur etwas machen", fasst sein Amtskollege Stefan Friedrich zusammen.
Wie der Name entstand und wann es große Sanierungen gab
- Geschichte der Schlucht: Im 19. Jahrhundert sei der Tourismus am Bodensee entdeckt worden, erzählt Johannes von Bodman. Eine arme Gegend sollte erschlossen werden und es sei versucht worden, Geld ins Land zu bringen. Wege seien als Wanderwege erschlossen worden und 1897 eröffnete die Marienschlucht. Bodmans Ur-Ur-Großvater Franz machte sie anlässlich der Verlobung seines Sohnes Othmar mit Maria von Walderdorff begehbar und die Schlucht erhielt nach ihr den Namen Maria-Schlucht. "Der Name hat sich zu Marienschlucht verschliffen." 1986 ließ Wilderich Graf von und zu Bodman ein Marienrelief am unteren Ende der Schlucht von Künstler Markus Daum aus Möggingen anfertigen und anbringen.
- Sanierungen: Der etwa zehn Kilometer lange Uferweg zwischen Bodman und Wallhausen samt Marienschlucht ist der längste naturnah belassene Abschnitt am Bodensee. Er ziehe die Menschen an und es solle wieder möglich ein, dort laufen zu können, so Johannes von Bodman. Seit 2007 hat die Gemeinde Bodman-Ludwigshafen die Schlucht vom grädlichen Haus Bodman für null Euro gepachtet. Sie hat die Verkehrssicherungspflicht übernommen und kann Geld aus Fördertöpfen erhalten. Gründliche Sanierungen der Schlucht waren von 1976 bis 1978 und 1999 bis 2001.
- Problem Mondfelsen: Ein großes naturschutzrechtliches Hindernis und eine Herausforderung in der derzeitigen Planung für die Wiederoffnung von Schlucht und Uferweg Bodman/Wallhausen ist der Mondfelsen am Uferweg. Er darf zu Untersuchungen der Gefahren durch mögliche Stürze von Felsen oder Bäumen nicht beklettert werden. Die Gemeinde Bodman-Ludwigshafen hat deshalb nun eine andere Lösung gefunden: eine Kartografierung per Drohnenaufnahmen, die Ende Juli stattgefunden hat, und eine Begutrachtung von einem Hubwagen aus, die im September folgt, wie Bürgermeister Matthias Weckbach erläutert. Wie der Mondfelsen zu seinem Namen kam, ist übrigens nicht ganz klar. Wilderich Graf von und zu Bodman erklärt es sich über die Form am Felsens, die durch Verwitterung entstanden ist.