Ein beinahe leer geerntetes Tulpenfeld in der Hochsaison? Dass das bei einem Feld im Engener Stadtteil Anselfingen nicht an der gesteigerten Nachfrage nach Schnittblumen lag, wurde jetzt bei einer Verhandlung vor dem Singener Amtsgericht deutlich. Denn da war ein Mann wegen Diebstahls angeklagt. Es ging um Tulpen im Wert von 500 Euro und die Strafe, die ein Mann ohne finanzielle Mittel für seine Tat zahlen muss.

Nach einem Hinweis durch aufmerksame Anwohner ertappte die Polizei den Tulpendieb und seinen Helfer direkt am Feld mit mehreren Eimern voller Blumen. Der Angeklagte und sein Freund, beide aus Überlingen, kamen innerhalb weniger Tage viermal an das Selbstpflücker-Feld und schnitten Tulpen im Wert von insgesamt rund 500 Euro, fasste Richter Bastian Hoenig zusammen. Für den Diebstahl sei im August ein Strafbefehl mit 75 Tagessätzen von 10 Euro ergangen, gegen den der Anwalt des Angeklagten, Markus Schnell, Einspruch erhob. Die Höhe des Tagessatzes sei zu hoch. Deswegen landete der Fall jetzt vor dem Gericht.

Richter will mehr über Umstände erfahren

Um über einen eventuell niedrigeren Tagessatz entscheiden zu können, wollte Richter Hoenig vom Angeklagten genauere Informationen zu seinen Lebensumständen und seiner finanziellen Situation hören. Er habe als Kind mehrere Tumore gehabt, sei mehrfach operiert worden und leide seitdem an Gleichgewichtsstörungen und weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Eine Arbeit dauerhaft auszuüben, sei ihm deswegen nicht möglich, erklärte der 42-Jährige.

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Er wohne derzeit mietfrei bei seinem Freund, nachdem er wegen Querelen mit dem Lebenspartner bei seiner Mutter ausziehen musste. Derzeit verfüge er gerade einmal über 150 Euro monatlich, die ihm seine Mutter, die bis in jüngster Vergangenheit auch seine gesetzliche Betreuerin war, zukommen lasse. Früher habe er Unterhalt von seinem Vater bezogen, der sei aber mittlerweile verstorben. Der Versuch, Bürgergeld zu beziehen, sei gescheitert, so der Angeklagte.

Tulpen sollten neues Fahrrad finanzieren

Die Tulpen wollte der Angeklagte, der schon früher als Blumenhändler aktiv war und wegen nicht bezahlter Blumenlieferungen noch immer Schulden in Höhe von 20.000 Euro hat, nach eigenen Angaben auf dem Schaffhauser Wochenmarkt verkaufen. Das Geld benötige er, um sich ein behindertengerechtes Fahrrad zu kaufen, nachdem sein altes defekt sei. Das Rad sei seine einzige Möglichkeit, mobil zu sein.

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„Ich habe nicht gestohlen“, gab der Mann gegenüber dem Richter und der Staatsanwaltschaft zu verstehen. Denn nachdem die Polizei vor Ort gewesen sei, habe er Geld seines Freundes in die Kasse geworfen. „Für Vergangenes zu bezahlen, ändert nichts am Diebstahl“, gab Richter Hoenig die Rechtsauffassung zu verstehen.

Für Landwirt Dieter Bär, der unter anderem das Blumenfeld in Anselfingen bewirtschaftet, ist ein solcher Diebstahl in doppelter Hinsicht ärgerlich, wie er nach der Gerichtsverhandlung schilderte. Zum einen fehlten die Einnahmen für die geschnittenen Blumen. Und zum anderen seien nur noch wenige blühende Tulpen für zahlende Kunden auf dem Feld übrig geblieben. Als Blumenfeld-Betreiber rechne er immer mit einem gewissen Anteil an Blumen, die nicht bezahlt würden, aber eben nicht in dieser Größenordnung und auch noch mehrfach.

Noch liegt das Blumenfeld in Engen-Anselfingen brach. Wo jetzt noch eine Folie Schutz spendet, werden schon bald tausende Tulpen blühen. ...
Noch liegt das Blumenfeld in Engen-Anselfingen brach. Wo jetzt noch eine Folie Schutz spendet, werden schon bald tausende Tulpen blühen. Um mehrfachen Blumen-Diebstahl in größerem Umfang von diesem Feld ging es jüngst in einer Gerichtsverhandlung vor dem Singener Amtsgericht. | Bild: Kerle, Helene

Da der Angeklagte die Taten dann doch grundsätzlich einräumte, verzichtete Richter Hoenig auf die Aussagen der geladenen Zeugen – bis auf die des Freundes. Der bestätigte die prekären Lebensumstände des Angeklagten und gab an, seinem Bekannten nicht nur Unterschlupf zu gewähren, sondern ihn zeitweise auch gepflegt zu haben.

Verteidiger will geringere Geldstrafe

Ziel von Verteidiger Markus Schnell war es, den festgelegten Tagessatz von 10 auf 5 Euro zu reduzieren. Nachdem der Angeklagte und sein Freund gehört wurden, schlug die Staatsanwaltschaft einen Tagessatz von 8 Euro vor. Dabei seien das Geständnis und die Notlage des Angeklagten trotz zwei bestehender Vorstrafen mildernd berücksichtigt worden. Richter Bastian Hoenig zeigte viel Verständnis für die missliche Lage des Angeklagten und riet dringend zur Unterstützung durch einen neuen Betreuer.

Der Angeklagte wurde daraufhin zu 75 Tagessätzen von 7 Euro verurteilt, die er in monatlichen Raten von 20 Euro innerhalb von zwei Jahren abbezahlen kann. „Ich verstehe die Motivation dahinter. Aber das, was war, darf nicht sein“, so Richter Hoenig in seiner Urteilsbegründung.