So langsam kehrt Normalität ein. Es wird zu Hause gearbeitet, gelernt und gespielt. Denn Schulen, Kitas und viele Arbeitsplätze bleiben wegen der Corona-Pandemie bis mindestens zu den Osterferien geschlossen.
Notfallbetreuung soll Eltern helfen, die das System unterstützen
Vor zwei Wochen gab das baden-württembergische Kultusministerium bekannt, sämtliche Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zu schließen. Für viele Eltern ein Schock. Betreuung gibt es nur noch für die Familien, in denen beide Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, also zum Beispiel im medizinischen und pflegerischen Bereich oder in der Lebensmittelindustrie.
Für Alleinerziehende gelten laut Verordnung die selben Regeln. Eine Bescheinigung vom Arbeitgeber reicht als Nachweis aus, dass man beruflich unabkömmlich sei.
Angestellte einer Arztpraxis wollte so einen Notfallbetreuungsplatz
Dies dachte auch eine Mutter aus Gaienhofen. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, er ist aber der Redaktion bekannt. Sie ist in einer Arztpraxis angestellt und hat in diesen Tagen alle Hände voll zu tun. Ihren Sohn hätte sie gerne weiterhin in dem Kindergarten betreut gewusst und ließ sich von ihrem Chef eine solche Bescheinigung ausstellen.
Ihr Ex-Partner soll den Jungen so lange nehmen, sagt die Gemeinde
Doch im Kindergarten wurde sie darüber informiert, dass sie keinen Anspruch auf einen Platz habe, da sich ihr getrennt lebender Partner nun kümmern müsse, der in keinem systemrelevanten Beruf tätig sei. „Ich war sehr irritiert, wieso ich keinen Notfallbetreuungsplatz bekomme, ich arbeite doch in einem medizinischen Beruf und betreue meinen Sohn größtenteils allein“, sagt sie.
Vater ist berufstätig und kann aus finanziellen Gründen nicht kürzer treten
Der Vater sehe sein Kind an einem Nachmittag in der Woche. Ein Arrangement mit dem die Mutter normalerweise gut zurechtkommt. Das Kind nun täglich zu nehmen, das habe der Vater abgelehnt, berichtet sie. Er sei in der Industrie tätig und könne aus finanziellen Gründen nicht aufhören zu arbeiten. So habe er den Sachverhalt seiner ehemaligen Partnerin erklärt.
Dafür zeigt sie Verständnis: „Er muss doch auch seine Miete bezahlen“, sagt die Frau. Von der Gemeinde sieht sie sich im Stich gelassen. Um arbeiten zu können und ihren Sohn in guten Händen zu wissen, habe sie ihn zu Freunden oder den Großeltern gegeben, wer gerade eben Zeit habe. Eigentlich nicht ideal, sagt sie. Aber in der Praxis werde sie aktuell auch dringend gebraucht.
Das Land gesteht eigentlich Alleinerziehenden einen Platz zu
Das Land Baden-Württemberg hat Kinder von der Schul- und Kitaschließung ausgenommen, „sofern beide Erziehungsberechtigte oder die oder der Alleinerziehende in Bereichen der kritischen Infrastruktur tätig und nicht abkömmlich sind“. So steht es in der Verordnung. Und weiter: „Alleinerziehenden gleichgestellt sind Erziehungsberechtigte dann, wenn die oder der weitere Erziehungsberechtigte aus schwerwiegenden Gründen an der Betreuung gehindert ist.“
Bürgermeister interpretiert Landesvorgabe anders
Der Gaienhofener Bürgermeister Uwe Eisch legt die Passage so aus, dass die Frau keineswegs alleinerziehend sei, auch wenn sie alleine mit dem Kind lebe. Schließlich gebe es noch einen Vater, der sich jetzt eben kümmern müsse. Die Gemeinde sei angehalten, das Regelwerk konsequent durchzusetzen und keine Ausnahmen zu machen, so Eisch.
Überall wurden Notfallgruppen notwendig, nur nicht in Gaienhofen
In Gaienhofen sei keine Notfallgruppe notwendig, informiert Eisch weiter. Alle Eltern hätten sich anderweitig arrangiert. Damit ist Gaienhofen die einzige Gemeinde ohne Notfallgruppe.
In Moos gibt es an der Grundschule Weiler eine Gruppe mit zwei Kindern. In Öhningen werden 15 Kinder in zwei Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten betreut. Da nicht alle Kinder jeden Tag Betreuung bräuchten, seien nie mehr als acht Kinder gleichzeitig da, sagt der Öhninger Bürgermeister Andreas Schmid.
Kinder werden flexibel betreut
In Radolfzell seien aktuell 15 Kinder in den städtischen Kindertageseinrichtungen und 17 Kinder in der Kinderzeit in Notfallgruppen untergebracht. Je nach Bedarf der Eltern ändere sich die Zahl der betreuten Kinder täglich oder wöchentlich, schreibt Nicole Stadach, Sprecherin der Radolfzeller Stadtverwaltung auf Nachfrage. Hinzu kämen die freien und kirchlichen Träger, die ihre Notfallbetreuung selbst umsetzen würden.
Die Notfallgruppen haben einen strukturierten Alltag gefunden
Die Betreuung in den Gruppen laufe problemlos, berichten die Verantwortlichen. Die Gruppen seien klein gehalten und man habe versucht, die Kinder in ihrer gewohnten Umgebung zu lassen.
Katharina Schmal, stellvertretende Schulleiterin der Ratoldus-Gemeinschaftsschule berichtet aus ihrem Alltag mit der Notfallbetreuung. „Es läuft sehr gut, wir haben für die Kinder einen strukturierten Alltag geschaffen, mit Pausen und Lehrstunden“, sagt sie.
Lehrer haben sich mit der Lage gut arrangiert
Organisatorisch sei es anfänglich eine Herausforderung gewesen, doch langsam hätten sich alle in der neuen Situation zurechtgefunden. Auch im Lehrerkollegium habe man sich die Einsätze in den Notfallgruppen sehr solidarisch aufgeteilt.
„Ältere Kollegen oder Schwangere haben wir komplett rausgenommen, die anderen haben das sehr fair aufgeteilt“, berichtet Katharina Schmal.
Anfängliche Unsicherheiten sind beseitigt
Anfänglich habe es Unsicherheiten gegeben, wer Anspruch auf eine Notfallbetreuung habe, schreibt Nicole Stadach aus der Stadtverwaltung. Doch mittlerweile habe die Landesregierung ihre Vorgaben konkretisiert, sodass es diesbezüglich keine Unklarheiten gebe.
Katharina Schmal berichtet, dass sie Eltern auch habe abweisen müssen, weil diese in keinem systemrelevanten Beruf arbeiten, aber dennoch Probleme hatten, ihr Kind zu betreuen. „Ich verstehe die Not der Eltern, aber so geht es uns allen, dass wir das jetzt irgendwie schaffen müssen“, sagt sie.