Wenn es stimmen sollte, wäre es eine Sensation – gerade in Deutschland, dem Land des Reinheitsgebots und der Bierliebhaber: Das älteste Bier Mitteleuropas kommt womöglich vom Bodensee. Schon vor einigen Jahren fanden Wissenschaftler von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), das Landesamt für Denkmalpflege (LAD) Baden-Württemberg und die Universität Hohenheim Hinweise darauf, dass schon in der Jungsteinzeit in Siedlungen am Bodensee Bier getrunken wurde.

Konkret konnte anhand von Funden aus den Pfahlbauten-Siedlungen in Horn und Sipplingen nachgewiesen werden, dass dort gemälztes Getreide Bestand der Nahrungszubereitung war. Und in der prähistorischen Siedlung Hornstaad-Hörnle in Horn wurde schon vor etwa 6000 Jahren Malz sogar zerkleinert und in Flüssigkeit eingelegt – das wäre eine Voraussetzung für eine anschließende Fermentation.

War es Bier oder alkoholfrei?

Doch ein letzter Beweis fehlte: Eine alkoholische Gärung konnte nicht nachgewiesen werden, die Funde könnten daher auch auf ein alkoholfreies Malzgetränk hinweisen. Das könnte sich aber ändern. Denn seit Anfang dieses Jahres läuft ein neues Forschungsprojekt des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg. Das Team um Elena Marinova, Leiterin des Labors für Archäobotanik in Hemmenhofen, will dabei noch einmal möglichem jungsteinzeitlichen Bier vom Bodensee auf den Grund gehen – und auch weitere Erkenntnisse über damalige Nahrungszubereitung gewinnen.

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Untersucht werden sollen dazu Nahrungskrusten aus den jungsteinzeitlichen Siedlungen in Horn, Sipplingen und Wangen – in einer größeren Zahl als bei den Untersuchungen der ÖAW, erklärt Elena Marinova, und auch aus einem breiteren Zeitraum als bei den früheren österreichischen Forschungen.

In den Krusten befinden sich zerkleinerte Getreidekörner. Wie Elena Marinova berichtet, wollen die Forscher nun erst einmal die Krustenbestandteile identifizieren und dann deren Entstehung erforschen. „Die äußeren Schichten der Getreidekörner sind für uns sehr interessant“, erklärt Marinova. Denn die Zellwände, die den Mehlkörper von der äußeren Schale trennen, bauen sich durch das Keimen nach und nach ab. Sie werden also immer dünner. Der durch das Keimen freigesetzte Zucker dient als Voraussetzung für das Mälzen, das bei der Bierherstellung wichtig ist.

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Und noch etwas können die Wissenschaftler beim Blick durch das Mikroskop erkennen, erklärt Elena Marinova – nämlich, ob die Nahrungskruste einst flüssig war. „Das sieht man, weil die Stärke dann sehr glasig war.“

In München zeigt sich, ob fermentiert wurde

Die Proben, die auf eine Bierherstellung hinweisen, sollen schlussendlich in Zusammenarbeit mit Forschern der Technischen Universität München untersucht werden. Diese könnten die Proben auf biochemische Stoffe untersuchen, die durch alkoholproduzierende Mikroorganismen – also Hefebakterien – entstehen. „Das ist der letzte Schritt, um zu sagen, ob wirkliche Fermentation stattgefunden hat“, sagt Elena Marinova. Oder anders gesagt: Ob wirklich Bier hergestellt wurde. Allerdings könnten gemälzte Produkte, die lange stehen gelassen werden, auch einfach so zu gären beginnen.

Dadurch, dass Proben aus verschiedenen prähistorischen Perioden analysiert werden, solle auch untersucht werden, wann unter Umständen mit dem Bierbrauen begonnen wurde. Außerdem sollen nicht nur Getreidereste, sondern auch Äpfel aus der mittleren Jungsteinzeit untersucht werden, „bei denen es auch sein könnte, dass sie fermentiert wurden“, so Marinova.

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Forscher stellen damalige Bedingungen nach

Um die historischen Funde auch richtig deuten und Strukturen vergleichen zu können, stellen die Wissenschaftler in Gaienhofen mit historischen Methoden die Fermentierung von Äpfeln und Getreide nach. „Und wir müssen das dann auch experimentell verkohlen – denn das, was wir finden, ist verkohlt“, erklärt Elena Marinova.Ein möglicher Grund sei, dass Siedlungen abbrannten, ein anderer, dass Essensreste mit anderem Abfall, darunter Asche und Glut, entsorgt wurden.

Für die Wissenschaftler sei das ein Glücksfall: „Das verkohlte Material wird chemisch konserviert“, sagt Elena Marinova. Und auch der Feuchtboden am Bodenseeufer habe die Funde erhalten.

Das sind Nahrungsproben, die die Forscher in Hemmenhofen untersuchen – in diesem Fall handelt es sich um Apfelstücke, die ...
Das sind Nahrungsproben, die die Forscher in Hemmenhofen untersuchen – in diesem Fall handelt es sich um Apfelstücke, die womöglich auch fermentiert wurden. | Bild: Marinovic, Laura

Elena Marinova zeigt sich zuversichtlich, dass durch die derzeit laufenden Untersuchungen wirklich eine mögliche Bierproduktion am Bodensee nachgewiesen werden kann. „Und wir werden sicher viele weitere Informationen über die Lebensmitteltechnologie damals gewinnen.“ Dabei schließt sie nicht aus, dass sich die Untersuchungen auch noch ausweiten. So könnten alkoholproduzierende Mikroorganismen mit Kooperationspartnern womöglich auch per Genuntersuchung nachgewiesen werden.

Auch anderswo wird zu Bier geforscht

Aber was ist, wenn die Forscher tatsächlich Hefebakterien und damit einen eindeutigeren Hinweis auf eine Bierherstellung in den jungsteinzeitlichen Siedlungen finden? Stammt das älteste Bier Mitteleuropas dann wirklich vom Bodensee?

Das könnte zumindest gut sein – solange nicht anderswo noch ältere Funde entdeckt werden. Denn: „Es gibt auch andere Verdächtige“, sagt Elena Marinova. So gebe es Arbeitsgruppen in Ländern wie Griechenland, Mazedonien, Bulgarien und Rumänien, die ältere Nahrungskrusten analysieren wollen. Auf diesem Forschungsgebiet seien noch weitere spannende Erkenntnisse zu erwarten.“