Wer studiert so kurz vor dieser wichtigen Wahl keine Umfragen? Ich vermute, dass wir alle einen Blick auf die Statistiken haben. Vor einigen Tagen klingelte mein Telefon, und so wurde auch ich Teil einer „repräsentativen Stichprobe“. Es ging um verschiedene gesellschaftliche Themen mit regionalem Schwerpunkt. „Dauert nur 20 Minuten“, versprach der Interviewer, um sich nach einer Stunde für das nette Gespräch zu bedanken. Zum einen lag das an seinem kaputten Headset, das er aber rasch austauschte. Zum anderen daran, dass ich bei vielen Fragen nachhakte. Mir persönlich waren sie zu schwammig formuliert, um einfach mit Ja oder Nein zu antworten. Tatsächlich gab er mir vertiefende Informationen. „Normalerweise fragen die Interviewpartner nicht so genau nach“, meinte er. Aber wenn ich schon mal gefragt werde, möchte ich es schon genau wissen!

Er wollte wissen, welche drei Aufgabenbereiche der Politik für mich am wichtigsten seien. Ich antwortete: „Infrastruktur. Bildung. Gesundheitswesen. Reihenfolge beliebig; die sind alle gleich wichtig.“ Neben meinen persönlichen Präferenzen checkte ich gedanklich den Lokalteil des SÜDKURIER, wo es oft um genau diese Themen geht. Der Ausbau der Gäubahn oder der B 33 betrifft die Menschen im Kreis ganz direkt. Kitas als Träger frühkindlicher Bildung, offene Lehrstellen oder Wohnungsnot bei Studierenden sind genauso wichtig wie der Neubau des Krankenhauses und der Mangel an Fachärzten.

Wie der berühmte Elefant stand unausgesprochen das Wort Migration im Raum. Aber sind meine Themen nicht alle damit verbunden? Hier der Anteil ausländischer Kollegen und Kolleginnen in verschiedenen Berufssparten laut dem Mediendienst Integration, Menschen mit Migrationshintergrund und deutschem Pass kommen noch hinzu. Öffentlicher Personennahverkehr: 20 Prozent. Bauwesen: etwa 48 Prozent. Sprachschulen: 31 Prozent. Ärzte und Ärztinnen: 21 Prozent.

Aber zur Berufslandschaft am Bodensee gehört auch der Tourismus. Hotel- und Gaststättengewerbe wären ohne ausländische Arbeitskräfte am Ende. Übrigens geht es nicht nur um die viel zitierten Fachkräfte, sondern auch um Ungelernte. Zuwanderung kann nicht alle Probleme lösen und selbstverständlich schafft sie auch neue, aber ohne Migration gäbe es kein Wirtschaftswachstum in Deutschland.

Die Zahlen habe ich mir übrigens nicht ausgedacht. Sie sind öffentlich. Mal wieder habe ich zur Vorbereitung dieser Kolumne länger recherchiert, als ich zum Tippen des Textes brauchte. Aber, siehe oben: Ich frage gern mal nach. Zum Schluss fragte ich den jungen Mann am Telefon: „Wie wird man eigentlich Interviewer?“ Er seufzte und sagte, sein Weg in diesen Beruf sei lang, schwierig und gewunden gewesen. Wenn man genau hinhörte, vernahm man einen leichten Akzent.

http://singen.redaktion@suedkurier.de