Eine Hundertjährige bringt wohl nichts mehr so schnell aus der Ruhe. Doch es gibt ein Thema, dass Elisabeth Klausmann-Ganahl geradezu entsetzt: die Umbenennung der Franz-Knapp-Passage in Rathauspassage. Die Passage ist eine von zwei Straßen, die am 18. März aufgrund der umstrittenen Vergangenheit ihrer Namensgeber eine neue Bezeichnung erhalten haben. Vier weitere sollten noch folgen, doch mehrere Konstanzer haben dagegen Widerspruch eingelegt und die Straßenumbenennungen so zumindest vorübergehend gestoppt.

Die hundertjährige Konstanzerin kannte den früheren Oberbürgermeister Franz Knapp noch persönlich. Sie hält die Umbenennung der Straße für falsch, weil die Begründung dahinter aus ihrer Sicht fehlt. Sie sei bereit, „jeder Rufschädigung zu widersprechen“, schreibt Klausmann-Ganahl an den SÜDKURIER.

Franz Knapp zwischen Würdigung und Kritik

Ein Blick in die Vergangenheit von Franz Knapp zeichnet ein komplexes Bild. Einerseits war der Verwaltungsjurist 1945 maßgeblich daran beteiligt, Konstanz durch Verhandlungen mit der französischen Armee vor einer Bombardierung zu bewahren.

Französische Soldaten marschieren 1945 in Konstanz ein. Auf diesem Bild ziehen sie vom Sternenplatz durch die Theodor-Heuss-Straße. ...
Französische Soldaten marschieren 1945 in Konstanz ein. Auf diesem Bild ziehen sie vom Sternenplatz durch die Theodor-Heuss-Straße. Bild: SK-Archiv | Bild: Stadtarchiv Konstanz/SK-Archiv

Nachdem er 1946 zum Oberbürgermeister von Konstanz gewählt wurde, erhielt Knapp für seine Arbeit in der Nachkriegszeit zudem viel Wertschätzung. Er habe unter anderem die Infrastruktur verbessert, den Wohnungsbau vorangetrieben und den Fremdenverkehr gestärkt, fasst Stadtarchivar Jürgen Klöckler zusammen.

Als Anerkennung für seine Verdienste bekam Franz Knapp 1957 einstimmig vom Gemeinderat die Ehrenbürgerwürde der Stadt verliehen. Doch 2019 wurde dem 1973 verstorbenen Franz Knapp die Auszeichnung wieder entzogen. Auch die Ehrung durch eine nach ihm benannte Passage neben dem Konstanzer Rathaus wurde zurückgenommen.

Am 18. März haben Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn und Michael Räder, Mitarbeiter der Technischen Betriebe Konstanz, das ...
Am 18. März haben Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn und Michael Räder, Mitarbeiter der Technischen Betriebe Konstanz, das neue Straßenschild neben dem Rathaus montiert. | Bild: Stadt Konstanz

Der Grund: Franz Knapp habe während der NS-Zeit erwiesenermaßen an der Zerschlagung der jüdischen Gemeinde in Konstanz mitgewirkt und das NS-System durch seine Mitarbeit in der Verwaltung unterstützt. Zu dem Ergebnis kam Stadtarchivar Jürgen Klöckler bei seiner Untersuchung der Vergangenheit des ehemaligen Oberbürgermeisters.

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Was hat der Stadtarchivar herausgefunden?

Bevor Knapp ab 1933 in der Stadtverwaltung mitarbeitete, war er bereits zwischen 1927 und 1933 Bürgermeister von Konstanz. Er habe sich stets korrekt und pflichtbewusst verhalten, bis er 1933 sein Amt erzwungenermaßen niederlegen musste, ordnet Klöckler ein. Der neue NS-Oberbürgermeister habe Knapp daraufhin eine Stelle als städtischen Rechtsrat angeboten.

Die Stelle sei vermutlich die einzige Möglichkeit für ihn gewesen, weiter in der öffentlichen Verwaltung mitzuwirken. Dennoch: Knapp sei im vollen Bewusstsein und aus freien Stücken ein Teil des Unrechtsregimes geworden, schreibt Klöckler in seiner Habilitationsschrift „Selbstbehauptung durch Selbstgleichschaltung“ über die Konstanzer Stadtverwaltung.

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Franz Knapp habe sich den neuen Verhältnissen wie viele Beamte angepasst und sich absolut loyal gegenüber dem NS-Regime verhalten. „Offene Kritik oder gar Widerstand hat er nicht gewagt, wahrscheinlich nicht mal in Erwägung gezogen“, schreibt Klöckler weiter.

Umstritten ist auch die Rolle von Franz Knapp im Zusammenhang mit der lokalen Abwicklung der Reichspogromnacht 1938. Nachdem die Synagoge in der Konstanzer Altstadt durch Brandstiftung und Sprengstoff zerstört wurde, forderte das Landratsamt die jüdische Gemeinde auf, die Kosten für die Beseitigung der Trümmer zu übernehmen. Als die nahezu handlungsunfähige Gemeinde zunächst nicht in der Lage war, den geforderten Betrag zeitnah vollständig zu zahlen, soll Franz Knapp in seiner Rolle als Rechtsrat den Druck auf sie zusätzlich erhöht haben.

Franz Knapp wurde 1880 in Griesheim bei Offenburg geboren. Er starb 1973 in Konstanz, der Stadt deren Oberbürgermeister er zwischen 1946 ...
Franz Knapp wurde 1880 in Griesheim bei Offenburg geboren. Er starb 1973 in Konstanz, der Stadt deren Oberbürgermeister er zwischen 1946 bis 1957 war. | Bild: SÜDKURIER-Archiv

Zeitzeugin: Das ist für mich unvorstellbar

Elisabeth Klausmann-Ganahl, die im Januar ihren 100. Geburtstag feierte, hegt Zweifel an den Vorwürfen gegen Franz Knapp. Sie könne sich aufgrund seiner Persönlichkeit nicht vorstellen, dass sich Knapp freiwillig in der NS-Zeit hervorgetan und etwa der jüdischen Gemeinde nach der Reichspogromnacht die finanziellen Lasten aufgebürdet haben soll.

Sie habe Franz Knapp persönlich gekannt, erzählt bei einem Treffen mit dem SÜDKURIER. Durch ihre Arbeit im Sekretariat der Sparkasse habe sie auch hin und wieder im Rathaus zu tun gehabt. Als gebürtige Konstanzerin sei ihr Knapp ohnehin ein vertrauter Name gewesen. „Damals kannte man die verantwortlichen Leute in der Stadt“, erzählt sie.

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Franz Knapp sei in Konstanz aufgrund seiner Persönlichkeit, seines Humors und seiner Bescheidenheit sehr beliebt gewesen, erinnert sich Elisabeth Klausmann-Ganahl. „Ich habe Franz Knapp persönlich sehr geschätzt, weil er ein Mann von Standpunkt war“, sagt die Konstanzerin. Für sie sei es unvorstellbar, dass Knapp als katholischer Christ und gebildeter Mensch eine bedeutende Rolle im Nationalsozialismus gespielt haben soll.

Wie geht man richtig mit der Vergangenheit um?

Straßenumbenennungen findet Elisabeth Klausmann-Ganahl grundsätzlich schwierig. „Man sollte sich diese entwürdigende Tat besser überlegen“, sagt die Hundertjährige. Damit würden schließlich alle Verdienste der jeweiligen Namensgeber außer Acht gelassen. Sie stört sich am heutigen Umgang mit der Vergangenheit: „Die Leute von heute können die Umstände von damals gar nicht rekonstruieren.“ Ihrer Meinung nach wird dafür zu schnell geurteilt.

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Immerhin: Für Franz Knapp selbst wäre die Umbenennung der Passage wahrscheinlich nicht schlimm gewesen, vermutet Klausmann-Ganahl. „Er war sehr bescheiden und hätte darauf wahrscheinlich keinen Wert gelegt“, so die Zeitzeugin.