Die Sonne scheint auf die Terrasse in der Otto-Raggenbass-Straße 5a. Bei Erdbeertiramisu und Kaffee sitzen mehrere Anwohner der Straße zusammen – doch über der gemütlichen Runde schwebt ein Thema, das sie alle beschäftigt: Ihre Straße soll einen neuen Namen bekommen. Die Stadtverwaltung plant die Otto-Raggenbass-Straße in Emma-Herwegh-Straße umzubenennen. Damit kommt sie einem Beschluss des Gemeinderates von 2023 nach.

Mit dem neuen Straßennamen wollen sich die Anwohner allerdings nicht abfinden. Der Grund: Emma Herwegh habe keinen besonderen Bezug zu Konstanz. Der neue Name verstoße damit gegen die Konstanzer Richtlinien zur Straßenumbenennung. Sie haben fristgerecht Widerspruch gegen die Umbenennung eingereicht, 44 Anwohner der rund 150 Meter langen Straße haben dafür unterschrieben.

Kritik an Namensgeber sei nachvollziehbar

Am liebsten wäre es den Anwohnern, wenn der Straßenname erhalten bliebe und mit einem Zusatzschild auf die umstrittene Vergangenheit von Otto Raggenbass hingewiesen würde. „Das Zusatzschild muss schon sein“, sagt Vera Thiemann. Die 65-jährige Konstanzerin wohnt in der Hausnummer 5a, ihre Eltern haben das Haus 1965 gekauft. „Die Kritik an Otto Raggenbass ist nachvollziehbar“, findet die Konstanzerin.

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Bei einer Prüfung hat Stadtarchivar Jürgen Klöckler herausgefunden, dass sechs Namensgeber von Konstanzer Straßen historisch umstritten sind. Darunter Otto Raggenbass, der 1968 noch mit der Umbenennung der Schwedenstraße in die Otto-Raggenbass-Straße geehrt wurde und inzwischen unter anderem in der Kritik steht, weil er jüdische Kinder aus Konstanz vom Schulbesuch in Kreuzlingen ausschloss und 1944 einen flüchtenden Juden ans Deutsche Reich ausgeliefert hatte. Die betroffenen sechs Straßen sollen deswegen umbenannt werden.

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Aufwand und Kosten für die Anwohner

„Es gibt in Konstanz Wichtigeres zu tun, als Straßen umzubenennen“, kritisiert Edgar Krank aus der Otto-Raggenbass-Straße 13. Als er vor 30 Jahren von der Hindenburgstraße – die nun ebenfalls umbenannt werden soll – in die Otto-Raggenbass-Straße gezogen ist, habe er sich erst an den neuen Namen gewöhnen müssen.

„Das kostet nicht nur die Stadt Geld, sondern auch die Bürger Geld und Zeit“, so der 74-Jährige. Beispielsweise müssten Versicherungen informiert oder Autos umgemeldet werden. „Wie bei jeder Straßenumbenennung entstehen auch in diesem Fall Kosten“, bestätigt die Konstanzer Pressesprecherin Anja Fuchs.

Die Straße wurde bereits umbenannt: Die frühere „Franz-Knapp-Passage“ heißt nun „Rathauspassage“. Am 18. März haben Baubürgermeister ...
Die Straße wurde bereits umbenannt: Die frühere „Franz-Knapp-Passage“ heißt nun „Rathauspassage“. Am 18. März haben Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn und Michael Räder, Mitarbeiter der Technischen Betriebe Konstanz, das neue Straßenschild montiert. | Bild: Stadt Konstanz

Die seien für die Stadt, im Verhältnis zum Gesamtaufwand der Verwaltung, jedoch überschaubar. „Für die Anwohner entstehen – neben einem gewissen zeitlichen Aufwand – in der Regel geringe Kosten, etwa für die Änderung des Fahrzeugscheins“, sagt Fuchs. Die betrage aktuell rund 12 Euro.

Wie eng war Emma Herwegh mit Konstanz verbunden?

Wenn die Straße schon umbenannt werden soll, dann wenigstens mit einem passenden Namen, findet Oskar Molitor. Der 82-Jährige wohnt in der Nummer 7. „Mit uns hat die Emma Herwegh nichts zu tun“, sagt Molitor auch im Namen der anderen Anwohner. Laut den Richtlinien der Stadt, die der Gemeinderat 2014 beschlossen hat, ist die Benennung nach Personen der Zeitgeschichte nur zulässig, wenn diese einen besonderen Bezug zu Konstanz oder der Region haben.

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Die Stadt begründet die Benennung nach Emma Herwegh mit ihrer Verbindung zum Heckeraufstand 1848, der mit Friedrich Hecker seinen Ausgang in Konstanz fand. „Insbesondere auch vor dem Hintergrund ihrer aktiven Rolle in der Revolution von 1848/49 und mit besonderer Gewichtung im Sinne einer ausgewogenen Berücksichtigung von Frauen in der Erinnerungskultur“, ergänzt Fuchs.

Die Bewohner der Straße halten die Begründung jedoch für unzureichend und zu weit hergeholt. „Sie war selber nicht in Konstanz, der Bezug ist daher eher weitläufig“, sagt auch Stadtarchivar Jürgen Klöckler. Der Archivar weist darauf hin, dass Emma Herwegh eine der wenigen Revolutionärinnen aus der Zeit und damit „eine absolute Ausnahme war“. Deshalb findet er: „Man kann rechtfertigen, eine Straße nach ihr zu benennen.“ Emma Herweghs Verbindung zu Friedrich Hecker sei seines Wissens aber die einzige zur Stadt.

„Sie war selber nicht in Konstanz, der Bezug ist daher eher weitläufig“ – Stadtarchivar Jürgen Klöckler.
„Sie war selber nicht in Konstanz, der Bezug ist daher eher weitläufig“ – Stadtarchivar Jürgen Klöckler. | Bild: Scherrer, Aurelia

„Der Gemeinderat hat sich mit der Entscheidung gegen die eigene Richtlinie gewendet“, sagt Molitor. Mit dieser Begründung haben die Anwohner bei der Stadt Widerspruch eingelegt. „Wirklich viele Anwohner, denen die Stadt wichtig ist, stehen hinter dem Widerspruch“, bekräftigt Thiemann. In der Otto-Raggenbass-Straße seien es fast 100 Prozent, wie Thiemann sagt.

Bürger sollten sich mit dem Namen der Straße identifizieren können, finden die Anwohner. Deswegen hat Oskar Molitor 2020, als er über eine mögliche Umbenennung der Straße informiert wurde, alternative Namensvorschläge gemäß den Richtlinien bei der Verwaltung eingereicht.

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Personen sind vergänglich

Bewusst verzichtete Molitor dabei auf Vorschläge mit historischen Persönlichkeiten: „Auf Personen bezogene Straßen kommen und gehen wie Passanten.“ Stattdessen schlug er mehrere ortsbezogene Namen wie „Zum Schwedenstein“ vor. Der sogenannte Schwedenstein ist ein Findling an der Einmündung zur Straße, dessen Inschrift an die im Dreißigjährigen Krieg erfolgreich abgewehrte Schwedenbelagerung erinnert.

„Wir haben uns hier wirklich engagiert“, verdeutlicht der Anwohner. „Alternative Vorschläge sind also genügend da, jetzt bügeln die da einfach drüber.“ Dass der Gemeinderat trotzdem für Emma Herwegh gestimmt hat, „ist ein Schlag ins Gesicht.“

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Noch etwas macht die Anwohner wütend: Es wurden bereits touristische Stadtpläne mit den Namen Emma-Herwegh-Straße ausgelegt. „Das ist eine Missachtung der Bürger“, sagt Thiemann. „Wegen einer internen Fehlinformation wurden in Infomaterialien der Marketing und Tourismus Konstanz GmbH Straßennamen genannt, die zum damaligen Zeitpunkt zwar beschlossen, aber noch nicht bestandskräftig waren“, erklärt Fuchs. Sie betont, dass es sich nicht um amtliche Stadtpläne handle.

Notfalls bis vors Gericht

Derzeit werden die Widersprüche von der Verwaltung geprüft, was in der Regel drei Monate dauere, wie Fuchs bereits erklärte. Es seien 21 Widersprüche von Einzelpersonen bei der Stadt eingegangen. Die 44 Anwohner der Otto-Raggenbass-Straße, die den Widerspruch von Thiemann unterstützen, würden selbst nicht als Widerspruchsführer behandelt.

Am Ende der Prüfung gibt es einen Widerspruchsbescheid, gegen den Betroffene innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Verwaltungsgericht Freiburg klagen können. „Die Bereitschaft, vor Gericht zu ziehen, ist vorhanden“, kündigt Molitor bereits an.