Wie fühlt sich ein Stadtrat, wenn er nach dreistündiger Diskussion über den Wert des Bodenseeforums die Argumente seiner Kollegen zum vielleicht fünften Mal hört?
Das ist eines der Themen, das Anselm Venedey seinen Kollegen ins kollektive Gedächtnis schreibt. Er, der den Gemeinderat nach 14 Jahren verlässt, nimmt sich das Recht zur politischen Mahnung und empfindet dies als seine demokratische Pflicht.
Das ist Anselm Venedey – und das sein Erbe
Anselm Venedey oder bürgerlich Anselm Martin Eugen Octavius Venedey ist nicht irgendwer. Er stammt aus einer hochpolitischen Familie, deren Mitglieder das Geradestehen für die Demokratie als selbstverständlich erachteten. So weigerte sich Anselms Vater Hermann 1933, auf dem Schulhof des damaligen Konstanzer Gymnasiums, an dem er als Lehramtsassessor tätig war, die Hakenkreuzflagge zu hissen. Er verlor deswegen den Beamtenstatus.
Einem Menschen wie Anselm Venedey hört man zu.
Anselm Venedeys Kritik
14 Jahre lang hat er Politik in der Fraktion der Freien Wähler für Konstanz gemacht, hat sich durch zentimeterdicke Sitzungsvorlagen gearbeitet und miterlebt, wie sich manch Ratskollege „aus dem Labyrinth seines angefangenen Satzes“ nicht mehr zu befreien wusste. Das ist ein Teil der Kritik, die er seinen Kollegen mitgibt: Sie seien zu selbstverliebt – „Vieles dient der Selbstbeweihräucherung“ – die älteren, erfahrenen Männer nähmen sich zu wenig zurück.
Wer hat die größte Kompetenz in Sachfragen?
Damit meint Venedey die vielen Male, wenn seine Kollegen sich in die Detailplanung eines Verwaltungsmitarbeiters einmischten und sich dabei aus seiner Sicht zu wenig fragten, ob sie dafür kompetent seien.
Er gibt wünscht seinen Kollegen eine effektivere Sitzungsgestaltung und den Mut, eine als falsch erkannte Entscheidung wieder rückgängig zu machen.
Warum Demokratie die Kultur braucht
Venedey gibt dem Gremium mehr mit als einen pragmatischen Leitfaden für die Gestaltung kommunaler Demokratie. Um letztere ist er besorgt und nimmt dafür die Kultur als Beispiel. Nicht umsonst seien es Ungarn und Polen als Staaten, in denen Theater geschlossen und Kulturschaffende mundtot gemacht würden. Die Kultur sei mit ihrem machtkritischen Ansatz auf eine Atmosphäre der Freiheit angewiesen.
Sein Appell: Wehret den rechten Tendenzen
Es wäre nicht Anselm Venedey, wenn sich sein letzter Appell an den Rat nicht mit dem Thema befasste, das seine Familie die längste Zeit umtreibt: „Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Sexismus, faschistoides Gedankengut haben in dieser Stadt nichts zu suchen“, sagt er. „Noch sind wir in Konstanz eine Insel der Glückseligen, aber die Einschläge kommen näher“, ergänzt er und spielt auf den Hof in Wallhausen an, der durch die Umtriebe einer Gruppe Rechtsextremer in den Blick geriet.
Große Wertschätzung der Kollegen
Die Reden, die dem Kollegen, der sich verabschiedet, als Laudatio dienen, sprechen eine beredte Sprache der Wertschätzung. Sie stammen zum einen von Venedeys Fraktionskollege Ewald Weisschedel, der einräumt: „Wir waren uns nicht immer einig, begegneten uns aber mit hohem Respekt.“ Zum anderen spricht Holger Reile (Linke Liste), der in Anselm Venedey den politischen Bruder „in der falschen Fraktion“ erkennt und bekennt, dass er ihm fehlen werde: beim „Widerstand gegen den braunen Geist“.
Vom Wert des Gebens
Auch die Abschiedsfeier bewegt sich jenseits der südbadischen Tradition. Mit „Trachten und Bürgertröpfle“ könne er wenig anfangen. Daher lädt Venedey Räte und Verwaltungsspitze zu sich ins Wessenberg ein – es ist eine wohlwollende Form das vorzuleben, was er fordert: nicht zu sehr nach sich selbst zu sehen, sondern immer erst nach den anderen.