Radolfzell hat die Busticket-Preise auf einen Euro pro Ticket reduziert. In der nordrhein-westfälischen Stadt Monheim am Rhein soll ab 2020 sogar ein kostenloser Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) eingeführt werden. Wäre das nicht auch etwas für Konstanz?
Der SÜDKURIER hat mit drei Konstanzern gesprochen, die sich schon länger mit dem Thema befassen: BUND-Geschäftsführerin Antje Boll, SPD-Fraktionsvorsitzender Jürgen Ruff und Stadtwerke-Geschäftsführer Norbert Reuter.

Wir haben sie gefragt, was für und gegen den Gratis-ÖPNV spricht. Wie sie sich die Finanzierung von Zügen und Bussen in Zukunft vorstellen und von wem Konstanz lernen kann.
Braucht Konstanz den kostenlosen ÖPNV?
Eindeutig ja, sagt Antje Boll. Der Geschäftsführerin des BUND Konstanz geht es vor allem darum, CO2 einzusparen. „Die Stadt hat den Klimanotstand ausgerufen. Jetzt müssen alle Sektoren auf den Prüfstand gestellt werden. Es kann nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleiben.“ Das Ziel einer autofreien Innenstadt führt für sie über einen kostenlosen Nahverkehr. „Das muss die Richtung sein“, betont Antje Boll. „Ansonsten würde die Stadt ihre Proklamation als Marketing-Gag ad absurdum führen.“
Norbert Reuter sieht das anders. Ihn störe es, dass man derzeit überall versuche, die Welt neu zu erfinden, sagt der Geschäftsführer der Stadtwerke. „Wir tun gerade so, als wäre ein kostenloser ÖPNV eine Erfindung eines tollen Start-ups. Es gibt doch bereits Städte, die das vor 20 Jahren eingeführt und wieder abgeschafft haben.“ Aus seiner Sicht hat ein Gratis-ÖPNV wenig Nutzen, koste aber an anderer Stelle viel Geld. „Stattdessen müssen wir uns fragen: Wie kommen wir an mehr Fahrgäste? Und wie können wir mit unserer Busflotte geringstmögliche Emissionen ausstoßen?“ Seine Antwort: mit überdurchschnittlichen Angeboten zu unterdurchschnittlichen Kosten – „aber nicht mit einem Nulltarif!“
Jürgen Ruff schlägt in eine ähnliche Kerbe: „Wir als Partei sind nicht der Meinung, dass es möglich ist, eine Busfahrt für den Kunden kostenlos anzubieten“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende. Aus Umweltgründen möchte zwar auch er möglichst viele Konstanzer dazu bringen, vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen, erreichen will er das aber mit einer verbesserten Haltestellendichte und Bustaktung. „Von der Bequemlichkeit her muss der ÖPNV irgendwann an das Auto heranreichen.“ Pünktlichkeit und Fahrplantreue seien für Kunden jedoch erheblich wichtiger als der Preis, glaubt Ruff.
Wer soll das bezahlen?
„Die Gesamtkosten des Bussystems liegen bei 15 bis 20 Millionen im Jahr“, sagt Jürgen Ruff weiter. „Wenn die Busse kostenlos fahren sollen, muss man sich überlegen: Wer zahlt das?“ Eine mögliche Konsequenz des Gratis-ÖPNV: Dass die Kunden der Stadtwerke, die Strom- und Wasserbezieher, die Zeche zahlen. „Das würde wiederum die Ärmsten treffen“, betont er. Eine andere Möglichkeit: Die Stadt zahlt. „15 zusätzliche Millionen aus dem Stadtsäckel? Diese Haushaltsberatung will ich nicht erleben.“ Selbst, wenn das Geld für den kostenlosen ÖPNV von Land oder Bund kommen sollte, stelle sich die Frage, welche Förderungsmaßnahmen im Gegenzug gestrichen werden, gibt Ruff zu bedenken.
Norbert Reuter sagt, dass der Kostendeckungsgrad des Stadtbusangebots derzeit bei 80 Prozent liegt. Die noch zu tragenden Kosten von 20 Prozent würden jährlich 4,5 Millionen Euro betragen. „In der Diskussion um den Gratis-ÖPNV fehlt mir die Verantwortung für öffentliche Gelder“, meint er, angesprochen auf diese Zahlen. „Wir können nicht einfach sagen: Wir probieren den Nulltarif, um danach erst festzustellen, wie teuer uns das zu stehen kommt.“
Antje Boll hingegen ist überzeugt davon, dass sich der kostenlose Personentransport finanzieren lässt. „Der Gratis-ÖPNV müsste über eine Nahverkehrsabgabe gegenfinanziert werden“, erklärt sie. „Auch unsere Straßen sind ja steuerfinanziert.“ So wie sich der Nutzer durch Steuerabgaben an den Kosten für Straßen beteiligt, müsse auch der ÖPNV-Nutzer seinen Beitrag leisten. Ihr Wunsch ist dabei, dass der Nahverkehr nicht nur in der Stadt Konstanz, sondern im kompletten Einzugsgebiet des Verkehrsverbunds Hegau-Bodensee kostenfrei wird.
Von wem kann Konstanz lernen?
Norbert Reuter blickt gespannt nach Reutlingen. Als eine von fünf Modellstädten in Deutschland erhält Reutlingen derzeit Zuschüsse in Millionenhöhe, die in einen deutlich preisreduzierten ÖPNV investiert werden sollen. Noch diesen Sommer würden erste Erkenntnisse bekannt gegeben. „Reutlingen ist für uns interessant, da die Stadtbusleistungen dort sehr ähnlich sind“, erklärt Reuter. Ein 365-Euro Jahresticket, wie es im Moment in der schwäbischen Stadt ausprobiert wird, hätte Charme, gibt der Stadtwerke-Geschäftsführer zu. Ihn interessiere aber auch, ob es in der Modellstadt zu ungewollten Effekten gekommen ist. „Zum Beispiel, dass statt Autofahrern Fußgänger und Radfahrer auf den ÖPNV umgestiegen sind.“
Antje Boll muss gar nicht so weit in die Ferne blicken. „Auch in Radolfzell gibt es bereits ein Jahresticket zum Preis von 365 Euro, das sehr gut angenommen wird“, sagt die BUND-Geschäftsführerin. Gerade dadurch, dass man gleichzeitig die Parkgebühren drastisch erhöht hat und die Parkplätze in der Innenstadt reduziert hat, habe man die Kundenzahlen deutlich erhöhen können. Ein ähnliches Konzept sei auch für Konstanz sinnvoll. „Ideal wäre, wenn nur noch die Menschen mit dem Auto in die Innenstadt fahren, die etwas zu transportieren haben.“
Jürgen Ruff wiederum interessiert sich für Modellversuche, bei denen emissionsfreie Busse zum Einsatz kommen. „Wenn wir als Gesellschaft in den ÖPNV investieren möchten, wäre es mir lieber, wenn wir das Geld statt in kostenlose Tickets, in Brennstoffzellen- und Batterietechnik stecken“, sagt der SPD-Politiker.
Hat Konstanz ein Kopfproblem?
Jürgen Ruff hat zwar nichts gegen Tarifjustierungen, besonders wichtig ist ihm beim Thema ÖPNV allerdings ein grundsätzliches Umdenken. „Mein erster Gedanke morgens sollte nicht sein: ‚Wo sind meine Autoschlüssel?‘“ Ideal wäre, wenn man stattdessen morgens zum Fenster geht und dann je nach Wetterlage entscheidet, ob man das Rad oder öffentliche Verkehrsmittel nutzt. „Dieser Switch muss stattfinden“, betont er.
Für Norbert Reuter ist es wichtig, dass man sich nicht in kleinteiligen Lösungen verliert. „Wir sollten bei der Energiewende nicht versuchen, das Rad neu zu erfinden.“ Der Stadtwerke-Geschäftsführer möchte von anderen Städten in einer ähnlichen Größenordnung lernen und dann sinnvolle Schritte umsetzen. Zum Beispiel könne er sich vorstellen, dass man den Preis für Jahreskarten verringert und gleichzeitig Gelegenheitsfahrten teurer macht, um langfristig CO2 einzusparen. „Aber nur etwas für das Schaufenster zu machen, nach dem Motto ‚schaut mal, was wir Konstanzer machen‘: Davon halte ich nichts.“
„Ich glaube, es ist bei uns allen noch nicht angekommen, welche Konsequenzen das für das tägliche Leben hat“, sagt Antje Boll angesprochen auf die Herausforderungen des Klimawandels. „Wir müssen uns massiv einschränken.“ Umgekehrt fordert sie aber auch ein Umdenken bei den Verantwortungsträgern. „Das Angebot muss da sein, dann wird es auch genutzt.“ Zum Beispiel, wenn es darum geht, die Dörfer der Umgebung besser anzubinden. Antje Boll setzt sich deshalb für eine bessere Taktung des ÖPNV ein. „Es muss aber auch mehr auf die Schiene kommen. Langfristig muss die Konstanzer Innenstadt zweigleisig angefahren werden. Und: der bahnparallele Busverkehr intensiviert werden.“