Mit Harald Raddatz wird eine Unterhaltung schnell zum Vergnügen. Er arbeitet stundenweise am Kiosk an der Laube, für den Rentner ist es ein 450-Euro-Job. Das macht Raddatz gern, er kann gut mit Menschen und weiß das auch.

Am Samstag wäre er eigentlich gar nicht am Kiosk gewesen, er hatte keinen Dienst. Er habe gegen 14.30 Uhr nur kurz vorbeischauen wollen, berichtet Raddatz, seine Enkelin wartet im Auto. „An der Tür geben wir auch große Pakete an Kunden heraus“, erläutert der Kioskmitarbeiter, die Verkaufsgeschäfte laufen sonst über das Kioskfenster. Raddatz nimmt also von einem Ehepaar ein großes Paket entgegen, schließt hinter sich die Tür, verriegelt sie aber nicht.

Während der 79-Jährige erzählt, kommt ein Stammkunde. Er möchte Tabak kaufen. „Geht‘s dir gut?“ ruft Raddatz ihm zu. Man kennt sich hier an der Laube. Nachdenklich fragt sich der Verkäufer, warum an diesem Samstag niemand den Überfall von außen beobachtet habe.

Harald Raddatz ist Menschen sehr zugewandt. Am Samstag machte er bei einem Raubversuch eine Erfahrung, die seine Unbefangenheit ...
Harald Raddatz ist Menschen sehr zugewandt. Am Samstag machte er bei einem Raubversuch eine Erfahrung, die seine Unbefangenheit gegenüber Kunden trüben könnte. | Bild: Wagner, Claudia

Auf dem Zettel steht: „Dies ist ein Überfall“

Kurz darauf geht die Tür wieder auf und ein Mann kommt herein: 1,85 Meter groß, etwa 25 Jahre alt – so beschreibt er den Unbekannten. Er trägt einen schwarzen Schal und eine Mütze – und einen Mundschutz wie im OP. „Ich sage noch zu ihm: hier ist nur fürs Personal, aber drüben werden Sie bedient“, berichtet der 79-Jährige. In dem Moment schiebt der Unbekannte ihm einen Zettel hin, auf dem steht: „Dies ist ein Überfall“. „Als ich den Zettel lese, steht er auch schon mit einem etwa 15 Zentimeter langen Messer vor mir“, sagt Raddatz.

Ein kurzer, aber heftiger Dialog

Er ist kein ängstlicher Mensch, hat in vielen Großstädten gearbeitet und gelebt, Konstanz ist die provinziellste seiner Wahlheimaten. In diesem Moment handelt er, ohne bewusst nachzudenken. Der Täter ruft „Geld raus!“. Darauf antwortet der Kioskmitarbeiter laut und deutlich: „Messer weg!“. „Das war auch schon unser Dialog“, fasst Raddatz nüchtern zusammen. In einer Ecke steht währenddessen ein jugendlicher Mitarbeiter des Kiosks, der alles mitbekommt und den Täter vermutlich zuvor beobachtet hat.

Eine Kundin kommt und fragt nach ihrem Paket. Zuhause sei es nicht angekommen, nun wolle sie hier nachforschen. Harald Raddatz sieht sich gleich um, kann aber keins finden. Der Kiosk an der Laube ist vieles: Paketshop, Gesprächsanlass, Anlaufstelle für Raucher, Einsame und für Menschen, die dringend etwas Süßes brauchen. Freundliche Worte gibt‘s gratis dazu.

Der Täter wird nervös

In diesem Moment verändert sich das Verhalten des Unbekannten. Er sei hektischer geworden und auf die Kasse losgegangen. Raddatz hat nicht vor, ihm dabei zu helfen, hält den Täter aber auch nicht ab, der Respekt vor dem Messer ist groß. Der Tatverdächtige schlägt wild auf die Kasse ein, die sich nicht öffnet, währenddessen sieht Raddatz eine Frau beim Kiosk stehen und ruft laut: „Hilfe, Überfall, Polizei!“

Der Kollege ruft die Polizei

In diesem Moment sei der Unbekannte endgültig zu nervös geworden, um sein Ziel zu erreichen. Er steckt das Messer in die Hose, sieht zu Raddatz und flüchtet Richtung Lutherkirche. „Ich bin ihm noch hinterher, vielleicht war das falsch“, sagt der Kioskmitarbeiter. Sein junger Kollege habe per Handy die Polizei informiert.

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Wie fühlt man sich nach einem versuchten Raubüberfall?

Harald Raddatz leugnet nicht, dass er Angst hatte. In der Abfolge der Ereignisse habe er diese aber kaum gespürt, der Überfall habe sicher nicht länger als drei Minuten gedauert. Ein wenig Trotz spürt er aber auch: „Ich hätte mich schon gewehrt, freiwillig abstechen lasse ich mich nicht“, sagt der 79-Jährige. Erst als die Polizei da ist, realisiert er, wie brenzlig die Situation war.

Der Wunsch nach Aufklärung

Er habe so etwas noch nie erlebt, sagt Raddatz und man glaubt ihm gern, dass er keine Wiederholung wünscht. Kioskbetreiber Bernfried Hainke ist wütend. Er hofft auf eine schnelle Aufklärung durch die Polizei und, dass der Täter gefasst wird. Ob dies gelingt, ist bisher unklar. Die Kriminalpolizei werte Spuren aus und nehme Zeugenhinweise entgegen, sagt Polizeisprecherin Sandra Kratzer. Ergebnisse lägen wenige Tage nach dem Überfall aber noch keine vor.

Die Freude an der Arbeit wird sich Harald Raddatz so schnell aber nicht nehmen lassen. „Hier musst du freundlich sein, ehrlich und schnell“, erklärt er. Ihm mache das Spaß. Sagt‘s, zählt Wechselgeld ab und gibt dem Kunden die gewünschte Zeitung.