Ralf Seuffert

Auf der Höhe des Supermarktes in der Rosgartenstraße laufen nicht nur Schweizer Nachbarn mit ihren Einkäufen über ein helles Messingband, das an eine Zollgrenze erinnern soll. Wie bitte? Müssen sie hier schon den Ausfuhrschein bereithalten?

Die Antwort liegt in der Geschichte

Im 19. Jahrhundert kämpften liberale Kräfte für zollfreien Handel innerhalb der vielen souveränen deutschen Staaten. Ab 1834 schuf der Deutsche Zollverein einen einheitlichen Wirtschaftsraum, was Konstanz wieder einmal an eine Außengrenze brachte. Kaufleute und Industrielle fürchteten angesichts der drohenden Randlage um den Verlust der Wirtschaftskraft.

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Nach langer Debatte im Rat unterbreitete Bürgermeister Hüetlin der Landesregierung den Vorschlag des Spediteurs Delisle: Zwischen dem gerade entstehenden Hafen und der Schweiz sollte ein Korridor in Form einer Freihandelszone in Stadelhofen und anfänglich auch im Paradies entstehen. Dort würden die Zölle der neuen Wirtschaftsgemeinschaft nicht gelten. Die Grenze zwischen Baden und der Schweiz sollten die äußeren Stadtmauern bilden.

Ralf Seuffert hat Geschichte und Theologie studiert und arbeitet im Kultur- und Fahrradtourismus am Bodensee. Er ist Autor einer ...
Ralf Seuffert hat Geschichte und Theologie studiert und arbeitet im Kultur- und Fahrradtourismus am Bodensee. Er ist Autor einer Stadtgeschichte und anderer Publikationen über Kultur und Geschichte am See. Für den SÜDKURIER schreibt er eine Kolumne über Historisches aus Konstanz. | Bild: privat

Wirtschaftlich gesehen entstehen zwei Konstanz

Mit diesem Experiment wollte man die lokale Wirtschaft ankurbeln, musste dafür aber die Stadt zweiteilen. Ab der Bodanstraße südwärts war nun wirtschaftsrechtlich gesehen Ausland, obwohl hüben und drüben Konstanzer Bürger lebten. Das musste zu Streit führen: Den Widerstand von Gewerbetreibenden übergingen die liberale Oberschicht und die Landesregierung, was beide nicht beliebter machte. Waren konnten zwar in diese Freihandelszone hinein, nach einer eventuellen Veredelung aber wegen der hohen Zölle nur schwer wieder zurück in das Gebiet des Zollvereins gebracht werden.

Ein reger Schmuggel blühte

Der Handel zwischen Kernstadt und Stadelhofen war erheblich beeinträchtigt, darüber hinaus blühte ein reger Schmuggel von Gütern aller Art über die Grenze in beide Richtungen auf. Tore und Häuser wurden zugemauert, Bäume auf dem heutigen Bodanplatz abgesägt, Gitter aufgestellt und ein Laufgang zwischen Schnetztor und See installiert, in dem Zollgardisten patrouillieren konnten.

Die Stadtregierung, vor allem Bürgermeister Karl Hüetlin, der die alten Stadtmauern gerne abgerissen hätte, setzte die behördlichen Anordnungen nur ungern oder gar nicht um. Kleinlichst wurde um Öffnungszeiten der Tore gestritten, die Zollbehörden witterten Schmuggelgut sogar in den Särgen der Leichenzüge. Als die Zollbehörde die vertraglich vereinbarte Aufstellung von Laternen von der Stadt verlangte, stritt Hüetlin zäh um deren Notwendigkeit, Anzahl und Brenneinsätze.

Das Verhältnis der Bürger zur Stadt und das der Stadtverwaltung zur Landes- und Zollbehörde war vergiftet. Kritik an der Verfahrensweise bügelte der Zoll mit dem richtigen Argument ab, dass die Freihandelszone ja von der Stadt so gewollt war. Sein Hauptziel, den Abriss der Mauern, erreichte Hüetlin erst 1848, wobei er bei den Arbeiten Taglöhner und Arbeitslose einstellte und diese damit unterstützte.

Auf Schweizer Seite erinnert bis heute ein Straßenname an diese Zeit

Der Korridor wurde mehrfach verlegt und ist heute nur noch im Namen der auf Schweizer Seite gelegenen (Zoll-)Freien Straße präsent. Endgültig zur Lachnummer geriet die Freihandelszone, als 1863 Konstanz an das badische Eisenbahnnetz angeschlossen war. Da sich die Konstanzer weigerten, das Zollausschlussgebiet aufzulösen, sahen sich die Landesbehörden gezwungen, einen hohen Zaun um den Bahnhof zu bauen. Konstanz lag jetzt ersichtlich am Ende der Welt. 1865 löste man das Zollausschlussgebiet auf, nicht zuletzt, weil die Schweiz seit 1850 eigene Einfuhrzölle erhoben hatte.