Vielleicht kenne ich ja auch die falschen Leute.
Irgendwo in Konstanz sind bestimmt Eltern und Gymnasiasten, die finden, das Abi mit G8 sei eine super Sache. Möglicherweise sind das Eltern, die mir auch Leserbriefe schreiben (über Zuschriften freut sich eine Kolumnistin immer, auch wenn die Leser nicht ihrer Meinung sind!). Und wenn das G8 dafür gut ist, dass Sie mir schreiben, dann ist das ja immerhin schon mal etwas.
So sarkastisch wollen Sie aber vielleicht gar nicht in den Tag starten, hm? Im Internet, wo ich mich oft aufhalte, sagen wir an dieser Stelle gerne „Moment, ich komme nochmal rein“.
Also: Diese Kolumne könnte auch beginnen mit „333, bei Issos Keilerei“
Das war kürzlich eine Quizfrage im Fernsehen, und ich konnte im Familienkreis mit meinem Schulwissen brillieren. Ich wusste nämlich, was um 333 vor Christus losgewesen war, anders als meine Kinder.
Gleichzeitig aber wurde mir klar, wie wenig von all dem Stoff, den ich in meinen 9 Jahren bis zum Abi gepaukt hatte, bei mir hängengeblieben ist: Herzlich wenig, querbeet durch alle Fächer bis auf die Sprachen.
Es ist im Grunde erschütternd, wie viel Zeit man damit verbringt, Dinge zu lernen, die man im Leben spätestens nach 10 Jahren komplett vergessen hat.
Die Abiturienten von heute lernen das, was sie nie wieder brauchen werden, sogar in noch kürzerer Zeit unter höherem Druck. Viele haben Stundenpläne, die denen von voll berufstätigen Erwachsenen gleichen, und nebenbei sollen sie noch ihre Pubertät durchleben und Hobbys haben.
Und dann wundern wir uns, dass die jungen Leute, die eigentlich nach dem Abi vor Lebenslust nur so strotzen sollten, anstatt Lust auf Neues zu haben erst einmal sagen: „Ich bin so durch, ich brauche eine Pause.“ Das ist, was ich von fast allen Freunden meiner ältesten Tochter mitbekomme, und ich finde das sehr bedenklich.
Hier läuft etwas falsch
Wir reden hier von jungen Erwachsenen, die jetzt durchstarten könnten. Aber stattdessen jobben sie erst mal ein bisschen stundenweise oder sie machen ein FSJ, weil die Eltern das wollen und sie dann noch ein bisschen Kind bleiben.
Und damit sind wir neben dem hohen Arbeitsdruck beim Abi mit G8 beim zweiten Problem: Die Kinder sind eindeutig zu jung, wenn sie mit bestandenem Abi aus der Schule kommen. Meine Tochter hatte im vergangenen Sommer ihr Zeugnis mit 17 Jahren in der Hand, und sie ist ganz regulär mit sechs eingeschult worden. Ich selbst war mit 18 Jahren eine der jüngsten im Abijahrgang, und wenn ich mir vorstelle, ich hätte nach der 12. Klasse schon Pläne für den Rest meines Lebens machen müssen, dann bin ich sehr froh, dass ich mehr Zeit hatte, noch zu reifen.
Keiner meiner Klassenkameraden seufzte damals nach dem Bestehen: „Ich will erst mal ein paar Monate nix machen“ – im Gegenteil, wir waren voller Tatendrang!
Wenn ich die Wahl hätte, ich würde G9 morgen wieder einführen
Lust aufs Lernen und aufs Erwachsenenleben zu haben ist viel wichtiger, als in Rekordzeit für den Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen. Finden Sie nicht auch?