In Berlin herrscht Stillstand auf den Straßen. Hunderte Aktivisten der Klimabewegung Extinction Rebellion – übersetzt: Rebellion gegen das Aussterben – blockieren friedlich mehrere Tage wichtige Verkehrsknotenpunkte in der Hauptstadt. Unter ihnen auch 30 Mitglieder der Konstanzer Ortsgruppe. Sie unterstützen den zivilen Ungehorsam im Namen des Klimaschutzes.

In Konstanz, mehr als 750 Kilometer entfernt, blockieren bislang nur Baustellen den innerstädtischen Verkehr. Oder der Verkehr sich selbst. Doch das könnte sich schon bald ändern. Zumindest, wenn es nach Daniela Mink und Arno Jucker geht. Die beiden gehören eben jener Bewegung an, die die Hauptstadt seit Tagen immer wieder lahmlegt.

Es ist Mittwochabend. Und während Polizisten in Berlin gerade die bereits zwei Tage andauernde Blockade der Siegessäule auflösen, sitzen die zwei Aktivisten an einem Tisch im Voglhaus in der Konstanzer Innenstadt vor ihren heißen Getränken. Ungewollt untätig, wie sie es nennen. Denn teilnehmen am Protest können die beiden – er, 32, Lehrer, Beamtenstatus; sie, 25, Studentin, Masterarbeit – nicht, aus beruflichen Gründen, sagen sie.

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„Die Idee, wichtige Verkehrsknotenpunkte zu blockieren, haben wir natürlich auch hier“

Vielleicht müssen Daniela Mink und Arno Jucker für ihren Protest schon bald gar nicht mehr weit reisen. Denn nach Berlin könnte die Blockade nun auch Konstanz blühen. „Die Idee, wichtige Verkehrsknotenpunkte zu blockieren, haben wir natürlich auch hier“, sagt Daniela Mink und nimmt einen kräftigen Schluck von ihrer Chai-Latte. Arno Jucker ergänzt: „Der Drang nach Aktionen ist groß in unserer Gruppe.“ Genauer wollen die beiden Aktivisten nicht werden. Noch nicht.

Extinction Rebellion gilt als der rotzige Bruder der Fridays-for-Future-Bewegung. Mittels zivilen Ungehorsams möchten die Aktivisten die Regierungen dieser Welt zum Handeln in der Klimapolitik bewegen. Für ihre Aktionen ernten sie aus der Bevölkerung nicht nur Zuspruch. Ob sie sich selber als radikal bezeichnen würden? „Wenn radikal konsequent bedeutet“, sagt Jucker, „dann sind wir radikal.“

Aktivisten sind unzufrieden mit dem Klimapaket

Zuletzt verzeichnete die Ortsgruppe Konstanz vermehrt Zuspruch Das umstrittene Klimapaket der Bundesregierung sei ein Grund dafür, vermutet Arno Jucker. Viele Umweltaktivisten bezeichnen es als völlig unzureichend, sind unzufrieden mit dem Ergebnis, das die Politik der Öffentlichkeit Ende September präsentierte. Zulauf bekommt Extinction Rebellion deshalb in Teilen auch von Fridays for Future.

Denn die Klimabewegung, die mit Greta Thunberg begann und am 20. September in Konstanz rund 10 000 Menschen mobilisierte, befindet sich gerade an einem möglichen Wendepunkt: Weitermachen wie bisher? Oder doch radikaler werden, um den eigenen Forderungen Nachdruck zu verleihen? Intern, so ist von Aktivisten der Bewegung zu hören, wird diese Frage kontrovers diskutiert, auch in Konstanz. Eine eindeutige Positionierung gibt es noch nicht.

Studie: Auch 76 Prozent der Konstanzer Fridays-for-Future-Bewegung finden zivilen Ungehorsam legitim

Dass in der Bewegung durchaus das Potenzial steckt, sich im großen Stil der Form des Protests von Extinction Rebellion anzuschließen, verdeutlicht eine neue Studie der Universität Konstanz. Befragt wurden Teilnehmer der Konstanzer Klima-Kundgebung vom 20. September. 76 Prozent von ihnen gaben an, dass ziviler Ungehorsam als Protestform durchaus legitim sei. Die kommenden Monate und Jahre könnten so auch in Konstanz ungemütlicher werden.

Der Konstanzer Soziologe Sebastian Koos, Autor dieser Studie, erforscht Protestbewegungen. Wie wirkt sich eine Radikalisierung auf die gesellschaftliche Akzeptanz aus? Grundsätzlich, sagt er, existiere innerhalb der deutschen Bevölkerung derzeit eine große Unterstützung für die Anliegen der Klimaaktivisten. Bei 58 Prozent liegt dieser Zuspruch einer bundesweiten Umfrage zufolge.

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Fast alle sprechen sich gegen Gewalt aus

„Es gibt Untersuchungen, nach denen diese Unterstützung deutlich sinkt, sobald Proteste gewalttätig werden“, sagt Koos. „Ich sehe aber nicht, dass das passieren wird.“ Tatsächlich sprechen sich über 90 Prozent der Gefragten gegen Gewalt als Form des Protests aus. Bleibt der zivile Ungehorsam. „Ab einem gewissen Ausmaß kann natürlich auch der auf Ablehnung stoßen“, sagt Koos.

Abrücken von der Blockade möchte Arno Jucker aber nicht. „Die erfolgreichen Revolutionen waren jene, die sich den zivilen Ungehorsam zunutze gemacht haben. Gewaltfrei, versteht sich“, sagt Arno Jucker. Die Aktivisten klären die von ihren Protesten betroffene Bürger deshalb auf. „Wir erzählen, warum wir das tun müssen, und dass die Blockade nicht gegen sie persönlich gerichtet ist.“

Und wann müssen die Konstanzer mit Extinction Rebellion rechnen? „Wenn wir nach der Berlin-Blockade wieder zu Kräften gekommen sind“, sagt Daniela Mink.