Konstanz steckt in einer Zwickmühle. Die Stadt möchte mehr sein, als sie zu leisten im Stande ist, nämlich Umweltstadt und Einkaufstadt gleichermaßen. Dass sie dabei an ihre Grenzen stößt, ist nachvollziehbar. Denn ohne Konflikt ist diese Gratwanderung nicht möglich. Zu groß sind die Gegensätze, das hat sich seit der Erklärung des kommunalen Klimanotstands immer wieder gezeigt.

Aber muss sich die Stadt in Zukunft für eine Seite entscheiden? Oder ist es möglich, die Gegensätze zu versöhnen und miteinander zu vereinen? Das zu bewerkstelligen, dürfte zumindest die größte kommunalpolitische Aufgabe der kommenden zehn Jahre werden.

Konstanz lässt sich als Vorreiterin für das Klima feiern

Doch zunächst ein Blick in die Vergangenheit: Im Mai dieses Jahres hat die Konzilstadt den Klimanotstand ausgerufen. Ein Schachzug, der Konstanz einen Platz in den nationalen und internationalen Medien garantierte. Die feierten die Stadt am See als kommunale Klimavorreiterin, die diese Rolle bis heute gerne annimmt. Und auch die Umweltaktivisten der Fridays-for-Future-Bewegung schienen begeistert. Bedeutete diese Entscheidung doch, dass ihr Schulstreik für das Klima sich nun auf die direkte Lebenswirklichkeit der Menschen auswirken sollte.

Das könnte Sie auch interessieren

Mit etwas zeitlichem Abstand aber lässt sich nun festhalten: Konstanz hat sich dadurch in eine Zwickmühle manövriert. Die Stadt reibt sich auf zwischen dem, was sie sein möchte: eine wirkliche Vorreiterin in Sachen Klima. Und dem, was sie tatsächlich ist: eine von Verkehr überfrachtete Einkaufs- und Touristenstadt.

Einkaufs- und Urlaubstourismus hat Konstanz zu dem gemacht, was es heute ist

Dieser Titel mutet im ersten Moment abfällig an, doch er ist so nicht gemeint. Denn genau diese Lage am Bodensee und an der Grenze zur Schweiz hat Konstanz zu dem gemacht, was es heute ist: eine reiche Stadt, die von den vielen Menschen profitiert, die hierher kommen – um Urlaub zu machen oder ihre Einkaufswagen zu füllen.

Das einfach zu vergessen, wäre fahrlässig, zu viele Konstanzer Arbeitsplätze hängen daran – und damit der Reichtum der Region.

Die Zahlen bestätigen das: Mehr als eine Million Übernachtungen zählte die Stadt Konstanz im vergangenen Jahr. Die Verwaltung feiert das auf ihrer Homepage als einen „bundesweiten Top-Wert“. Auf einen Konstanzer Bürger kamen im Schnitt so 13 Übernachtungen. Zum Vergleich: In der Landeshauptstadt Stuttgart – gleichzeitig Kultur- und Sportmetropole – waren es gerade einmal sechs Übernachtungen je Einwohner. Der Urlaubstourismus kurbelt die hiesige Wirtschaft also kräftig an.

Einzelhandel macht mehr als eine halbe Milliarde Euro Umsatz – ein gewichtiger Anteil am Wohlstand

Und der Einkaufstourismus tut es ihm gleich: Das Lago zählt wieder zu den profitabelsten Einkaufszentren der Bundesrepublik. Die ertragreichen Drogeriemärkte prägen mehr denn je das Konstanzer Stadtbild. Entsprechend hoch fällt der Umsatz des hiesigen Einzelhandels aus, 2017 laut Marketing und Tourismus Konstanz (MTK) immerhin 673 Millionen Euro. Und die Eidgenossen tragen weiterhin kräftig dazu bei: Auf rund ein Drittel schätzt der Handelsverband Südbaden den Anteil der Schweizer Nachbarn. Die Folge: An den Kassen der Supermärkte stehen die Menschen Einkaufswagen an Einkaufswagen, auf den Straßen Stoßstange an Stoßstange

Denn beides, Tourismus und Handel, erzeugen mehr Verkehr in der Innenstadt: Entsprechend schnell sind die 3000 öffentlichen Parkplätze an sommerlichen Samstagen belegt. Die Belastung für Bürger und Umwelt ist groß.

Teile der Stadtverwaltung sehen Konstanz offenbar nicht als Umweltstadt

Doch einfach abschütteln kann Konstanz die Geister nicht, die sie rief. Zu groß ist inzwischen die Abhängigkeit von Einkaufs- und Urlaubstourismus. Der Klimanotstand aber hat bei Bürgern – vor allem bei Umweltaktivisten – hohe Erwartungen geweckt. Doch so schnell und so einfach lässt sich das Klima am Ende eben doch nicht retten. Denn dafür müssten alle an einem Strang ziehen.

Dass aber Teile der Verwaltung Konstanz weiterhin als reine Einkaufstadt und nicht als Umweltstadt sehen, offenbart der Streit um das Demonstrationsverbot auf dem Stephansplatz von Ende Juli. Das Bürgeramt untersagte damals eine Klimakundgebung, die eine Blockade von Parkraum bedeutet hätte. Ein Teil der Begründung: An einem Samstag, immerhin Haupteinkaufstag, könne ein Innenstadt-Parkplatz nicht für eine Handvoll Umweltschützer gesperrt werden. Auch hier zeigt sich: Das, was die Stadt sein möchte, und das, was die Stadt ist, findet in der Realität noch nicht zusammen.

Nicht alle Bürger stehen hinter dem Klimanotstand – das macht es für die Verwaltung nicht einfacher

Teilen der Konstanzer Bürgerschaft scheint es nicht anders zu gehen, das zeigen die jüngsten Ergebnisse der Seenachtfest-Umfrage. Darin sprach sich die Mehrheit der 5800 Befragten, nämlich rund 60 Prozent, für das von Umweltaktivisten kritisierte deutsch-schweizerische Feuerwerk aus – den Besuchermagneten schlechthin, der dem Fest auch überregionale Bedeutung verleiht.

Das könnte Sie auch interessieren

Das zeigt: Die Stadt hat nicht alle Bürger im Boot, was ihre künftige Ausrichtung in der Klimapolitik betrifft.

Und das ist nicht nur in Konstanz so. In den sozialen Netzwerken formieren sich die Gegner der Umweltbewegung. Fridays for Hubraum heißt da etwa eine deutschlandweite Facebook-Gruppe, die dem Verbrennungsmotor huldigt und den menschengemachten Klimawandel leugnet. Knapp 384 000 Mitglieder hatte sie zwischendurch. Sie wehren sich gegen eine angebliche Bevormundung. Auch viele Konstanzer Bürger fühlen so.

Die Stadt sollte aufhören, sich als Klimavorreiter feiern zu lassen – das sind andere

Was also kann die Stadtverwaltung tun, um der Zwickmühle zu entkommen, die sich aus den Gegensätzen zwischen Einkaufstadt und Umweltstadt ergibt?

Zunächst sollte sie aufhören, sich weiterhin als Vorreiter für das Klima feiern zu lassen, denn das sind in der Realität andere. Die Erwartungen an Konstanz aber werden hierdurch nicht kleiner, die ohnehin schwere Aufgabe nicht einfacher.

Der eingeschlagene Weg benötigt vor allem eines: viel Fingerspitzengefühl. Autos raus aus der Innenstadt? Wenn möglich, ja – aber nicht ohne die nötigen Alternativen für Urlaubs- und Einkaufstouristen zu schaffen, um Konstanz nicht der so wichtigen Wirtschaftskraft zu berauben. Seenachtfest-Feuerwerk abschaffen? Nicht zwingend, nein – aber die Veranstaltung so anpassen, dass sie sich in einem ökologischen und überschaubaren Rahmen bewegt.

Zuletzt sollte die Stadtverwaltung stärker transparent machen, dass dieser Transformationsprozess vor allem eines bedeutet: Kompromissbereitschaft – und zwar von allen Seiten.