Heiligabend macht Frieda Meier aus Egg, 82 Jahre alt, das, was sie seit vielen Jahren macht: Mit ihrer Familie um 14.30 Uhr vor der nahen Kapelle Nachbarn und Freunde treffen, gemeinsam Weihnachtslieder singen, den Egger Hornisten lauschen, ein Gläschen Glühwein trinken und den festlichen geschmückten Christbaum bestaunen. „Danach goht‘s hom“, sagt sie, mit Tochter und Enkeln in der guten Stube Weihnachten feiern.

Hier, wo das Christkind Geschenke unter den Baum legt, hängt neben der Wohnwand eine gerahmte, schwarz-weiße Postkarte. Ein junges Mädchen ist darauf zu sehen, offenbar die Fischerin vom Bodensee. Das freundlich lächelnde, sympathische Mädchen steht in einem Ruderboot und hält einen Fischkescher in den Händen. Im Hintergrund ist die Schweizer und Vorarlberger Bergkette der Alpen zu sehen. Bilderbuchidylle, die jeder Freund des Heimatfilmklassikers wiedererkennt.

Im Hintergrund die Alpen – sie wurden nachträglich ins Bild montiert, damit es an die Fischerin vom Bodensee erinnert.
Im Hintergrund die Alpen – sie wurden nachträglich ins Bild montiert, damit es an die Fischerin vom Bodensee erinnert. | Bild: privat

Im Internet werden diese Postkarten heute für ein paar Euro gehandelt, es existieren verschiedene Motive. Mehrere 1000 sollen davon im Umlauf sein. So genau weiß das heute niemand mehr. Frieda Meier besitzt ein paar.

Immerhin ist sie ja auch die junge Dame im Ruderboot. 1953 entstand das Bild ein paar Meter von ihrem Geburts- und Wohnhaus in Egg entfernt.

„I han des ja it welle“, erklärt sie grinsend. „Aber de Vater hot‘s halt welle. Immerhin 25 Mark hot‘s gebbe. E Menge damals.“ Heute ist sie durchaus ein wenig stolz darauf.

Stolz, dass sie es zum Postkartenmotiv geschafft hat und dass sie die inoffiziell erste Fischerin vom Bodensee ist. Zwei Jahre später kam der Film auf den Markt und machte Marianne Hold alias Maria Gassl zum Star des Heimatfilms.

Frieda Meier aus Egg jedoch blieb Frieda Meier aus Egg. „Des isch au guat so“, sagt sie lächelnd.

Fischer der siebten Generation

Eine Frau als Fischerin. In einer Männerdomäne mit strengen Sitten und harten Kerlen. Undenkbar in der damaligen Zeit. Doch im Hause Messmer in Konstanz-Egg war nichts normal. Vater Bernhard, einer von 16 Geschwistern einer Dingelsdorfer Großfamilie, war Berufsfischer aus Leidenschaft in der siebten Generation und nebenher Vorsitzender der Staader Fischergenossenschaft.

Auch die Mutter stammte aus einer Fischerfamilie. Sohn Alois sollte nach dem Krieg den Betrieb übernehmen, doch er wurde Opfer von Partisanen in der Tschechoslowakei. Der zweite Sohn kam wegen einer Behinderung ebenfalls nicht in Frage.

„Da hat der Vater 1950 einfach mich gefragt, ob ich nicht mit ihm raus auf den See wollte“, erzählt Frieda Meier. Sie war harte Arbeit gewöhnt: Noch vor der Schule kümmerte sie sich jeden Morgen um Vieh, Haus und Hof. Früh lernte sie hart anzupacken. Sieben Tage die Woche.

Schwarz auf weiß: Der Fischerschein von Frieda Meier, damals noch Frieda Messmer, aus dem Jahr 1956.
Schwarz auf weiß: Der Fischerschein von Frieda Meier, damals noch Frieda Messmer, aus dem Jahr 1956. | Bild: privat

Die Idee des Vaters elektrisierte die damals 15-Jährige sofort. Doch im Dorf wurde hinter vorgehaltener Hand geredet. Eine junge Frau solle besser daheim bleiben und darauf warten, dass sie geheiratet wird. „Ich wollte aber unbedingt alles lernen über die Fischerei“, sagt sie – und begann fortan ihren Tag um drei Uhr morgens mit den Vorbereitungen für die nächste Ausfahrt. Die frühe Fischerin fängt die meisten Fische. Die Mutter packte das Vesper ein und Frieda begleitete ihren Vater, der ihr das Einmaleins der Fischerkunst beibrachte. „Er war ein guter Lehrer“, wie sie heute bestätigt.

Reich wurde damals niemand mit diesem Beruf

Fischer lebten im wahrsten Sinne des Wortes von der Hand in den Mund. Die Messmers schlachteten dazu noch Schweine, verarbeiteten das Fleisch, räucherten Speck und backten Brot. Selbstversorgung war damals nichts Ungewöhnliches.

Vorwiegend im Obersee waren Vater und Tochter Messmer mit ihrem zwölf Mal vier Meter großen Boot unterwegs, hier fingen sie Blaufelchen, Hecht und Forelle. Rund 40 Mal legten sie das schwere Baumwollnetz und zogen es wieder an Bord. In die Stellnetze vor der Insel Mainau gingen Zander, Hecht und Braxen.

Mit solchen Steinen wurden die Fischernetze beschwert, damit sie sinken.
Mit solchen Steinen wurden die Fischernetze beschwert, damit sie sinken. | Bild: Oliver Hanser

150 Tiere durften sie pro Lizenz und pro Tag maximal fangen, also zusammen 300. Damals war es eher ein Problem, weniger nach Hause zu bringen.

Ohne Schifferpatent durfte auch in den 50er-Jahren niemand mit dem Boot auf den See.
Ohne Schifferpatent durfte auch in den 50er-Jahren niemand mit dem Boot auf den See. | Bild: privat

Und dann kam der Tag, an dem die Postkarte entstand

„Ich war an einem Samstag unten am Wasser mit meinem Vater dabei, die Netze zu trocknen und zu flicken“, erinnert sich Frieda Meier. „Plötzlich standen da zwei Männer und haben gefragt: Wissen sie, wer die Fischerin vom Bodensee ist?“

Sie selbst hatte keine Ahnung, was die Herren wollten, doch der Vater zeigte sofort auf die Tochter und sagte: „Des isch se!“ Zusammen gingen sie ins nahe Wirtshaus Mainaublick, das heute längst geschlossen ist. Frieda verdiente als Servicekraft ein paar Mark für die Familienkasse hinzu. Vater Bernhard und die Gebrüder Metz aus Tübingen verhandelten über die Gage.

Als der Vater irgendwann am späten Abend heimging, übernahm das Mädchen die Gespräche. „Da hond se 25 Mark bote.“ Als sie noch in der Nacht dem Vater davon erzählte, war die Entscheidung gefallen.

Die Idylle der Postkarte hatte mit der harten Realität des Fischerlebens nichts zu tun

Wenn sie heute das Bild betrachtet, muss sie schmunzeln. „A weng affig isches ja scho wie i do steh mit meinere Sonntagsblus in dem normale Ruderbötle.“

Die Idylle, die von der Postkarte ausgeht, hatte nichts mit der harten Realität zu tun. Als junge Frau hatte sie beim Fischerstammtisch im Gasthaus Zum Guten Glas in Sipplingen schon Mal mit übergriffigen Kollegen zu kämpfen. „I konnt mi scho wehre, denn i hab mi it abfülle lasse“, erzählt Frieda Meier.

Heute kann sie darüber lachen. Es ist dann schonmal vorgekommen, dass allzu aufdringliche, handgreifliche und volltrunkene Fischer im See landeten.

1958 fährt sie zum letzten Mal auf den See hinaus

1954 begann Frieda Müller einen weiteren Job – als Näherin bei Firma Straehl. Wie so viele Konstanzer Frauen. Da der See immer unreiner wurde, lief das Geschäft mit dem Fischen nicht mehr. Ein Jahr später starb der Vater.

Frieda ging noch bis 1958 hinaus auf den See. Letztmals an dem Tag, in dessen folgender Nacht das teure und neuwertige Perlonnetz gestohlen wurde. So mancher Fischer gönnte seinem Nächsten nicht die Schuppen auf dem Fisch. Frieda Meier war spätestens jetzt klar, dass hier keine Zukunft sein würde.

Im Garten des Hauses liegt die Boje, an der das Fischerboot des Messmers einst im Egger Hafen festgemacht wurde.
Im Garten des Hauses liegt die Boje, an der das Fischerboot des Messmers einst im Egger Hafen festgemacht wurde. | Bild: Oliver Hanser

Zwei Jahre zuvor traf sie den Mann ihres Lebens: Der Schmied Helmut Meier kam ursprünglich aus Waldshut und zog zu seinem Bruder nach Egg.

Frieda Messmer forderte den attraktiven Handwerker heraus und wettete, dass er es nicht schaffen würde, das 15-Meter-Netz mit dem beschwerenden Sack in der Mitte und den Steinen richtig zu legen. „Das war aus dem Boot mit laufendem Motor gar nicht so einfach“, wie sich Frieda Meier erinnert. „Er hat es nicht geschafft und war erstmal ziemlich beleidigt. Aber das hat sich bald schon gelegt.“

Die Kinder der beiden haben in jungen Jahren zwar ganz gerne geangelt – doch die professionelle Fischerei war 1958 in der Familie endgültig beendet. 2010 starb Helmut Meier.

Die Räucherkammer, in der die Messmers Fische räucherten.
Die Räucherkammer, in der die Messmers Fische räucherten. | Bild: Oliver Hanser

Ach ja, der überraschende Alpen-Hintergrund auf der historischen Postkarte...

Frieda Müller stand damals für das Bild im Ruderboot im kleinen Egger Hafen – und zu sehen sind in der Ferne Vorarlberger und Appenzeller Alpen, nicht die Insel Mainau. „Des hond se hinterher eifach reibaut“, erklärt Frieda Meier lächelnd. „Des hot halt wie bei dere andere Fischerin vum Bodesee aussehe solle.“ #

„Dere andere“. Die aus dem Film. Die, die erst nach Frieda Meier kam.