Lärmschutz, die Neuorganisation des Straßennetzes und grundsätzliche Gedanken: Drei Gründe sind es, warum in Konstanz derzeit wieder verstärkt über Tempo 30 auf den Straßen diskutiert wird. Für einige Strecken hat der Technische und Umweltausschuss bereits die Geschwindigkeitsbegrenzung beschlossen – weitere sind aber noch in der Diskussion. Hier der Überblick, was auf Auto- und Motorradfahrer zukommt und was sich für Fußgänger und Radfahrer ändert.

  • Wo gilt eigentlich schon jetzt Tempo 30? Innerstädtisch mit 50 Kilometern pro Stunde unterwegs – das ist in Konstanz auf weiten Teilen des Straßennetzes schon lange untersagt. So sind fast alle Wohngebiete bereits vor Jahrzehnten zu Tempo-30-Zonen erklärt worden, dort gilt neben dem Geschwindigkeitslimit auch die Vorfahrtsregel Rechts vor Links. Im Herbst 2017 tauchten plötzlich weitere 30er-Schilder auf: Eine Neuerung in der Straßenverkehrsordnung ermöglicht es Gemeinden, vor besonders schutzwürdigen Einrichtungen zur Vermeidung von Lärm ebenfalls eine Beschränkung auf 30 Stundenkilometer zu erlassen. Vor Schulen und Kindergärten gilt das nur von Montag bis Freitag zwischen 7 und 18 Uhr, während der Ferien werden die Schilder zugeklappt. Vor Kliniken und Pflegeheimen gilt Tempo 30 rund um die Uhr. Wie verwirrend das ist ist, zeigt die Eichhhonstraße: Vor dem Suso-Gymnasium gilt tagsüber Tempo 30, ein paar hundert Meter weiter vor der Rosenau immer. Dazwischen darf man 50 fahren.
  • Welche Strecken erhalten als nächstes das 30er-Limit? Die Grundlage für die jetzt kommenden neuen Tempolimits ist der Lärmaktionsplan. Denn genau genommen hat der Technische und Umweltausschuss diesen beschlossen und nicht die Geschwindigkeitsbegrenzung selbst. Die Kommunen müssen solche Pläne für alle Bundes- und Landesstraßen aufstellen, auf denen mehr als 8200 Fahrzeuge pro 24 Stunden unterwegs sind. Der Lärmschutz ist der Grund für die neuen Limits in Allmannsdorf (Mainaustraße zwischen Bettengasse/Staader Straße und Egger Straße/Zur Allmannshöhe); in Wollmatingen (Radolfzeller Straße zwischen Riedstraße und Dettinger Straße), auf dem Altstadtring (Rheinsteig, Obere und Unter Laube sowie Bodanstraße) und in Petershausen (Spanierstraße/Reichenaustraße zwischen Ebertplatz und Bodenseeforum – hier aber nur von 22 bis 6 Uhr). Die Schilder dürften bereits in der nächsten Wochen aufgestellt werden.
  • Welche Straßen kämen ebenfalls für eine Bremse in Frage? Für Tempo 30 auf Innenstadt-Straßen gibt es neben dem Lärmschutz einen weiteren Hebel, und zwar die Organisation des Straßennetzes. Vereinfacht gesagt, legt die Stadt ein Grundgerüst fest, über das der meiste Verkehr abgewickelt werden soll (so genanntes Vorbehaltsnetz). Dort gilt, wenn nicht der Lärmschutz greift, Tempo 50. Strecken, die nicht im Vorbehaltsnetz enthalten sind, können ein 30er-Limit erhalten. Der Technische und Umweltausschuss hat auch dazu einen Beschluss gefasst – allerdings zunächst nur den, dass es eine Bürgerbeteiligung gibt. Zur Debatte steht Tempo 30 unter anderem auf der Riedstraße, der Kindlebildstraße, der Schwaketenstraße zwischen Grundschule Wollmatingen und Geschwister-Scholl-Schule (wo jetzt schon das strenge Limit gilt) und auf der Friedrichstraße. Die Bürgerbeteiligung soll nach den Sommerferien laufen, dann entscheidet die Politik endgültig. Das könnte noch dieses Jahr der Fall sein.
  • Kann es sein, dass man bald überall nur noch 30 fahren darf? Auf den allerwichtigsten Durchgangsstraßen wird es wohl zunächst bei Tempo 50 oder sogar 60 (vierspurige B 33 von der Schweizer Grenze bis zum Flugplatz) bleiben – es sei denn, die Bundespolitik legt etwas anderes fest. Nicht auszuschließen ist aber, dass auf allen anderen Strecken wirklich irgendwann Tempo 30 gilt. Im Technischen und Umweltausschuss sprachen sich Politiker mehrere Gruppierungen von der Freien Grünen Liste bis zu den Freien Wählern für eine solche Regelung aus, wie sie auch in anderen europäischen Ländern üblich ist. CDU und SPD zeigten sich dagegen eher skeptisch. Zu erwarten ist, dass das Thema auch im Wahlkampf vor der Neubesetzung des Gemeinderats 2019 eine Rolle spielen wird.
  • Müssen wir damit rechnen, dass jetzt öfters geblitzt wird? Als die neuen 30er-Bereiche vor Schulen oder Heimen eingeführt wurden, war das Bürgeramt mit seinem mobilen Blitzer ziemlich schnell vor Ort. In den ersten Wochen wurden hunderte Autofahrer erwischt, die die Limits nicht beachteten. Um weitere Langsamfahr-Stellen durchzusetzen, ist mit verstärkten Kontrollen zu rechnen. Stadträte forderten die dies sogar ausdrücklich. Auch der Ruf nach weiteren stationären Blitzern wurde laut. Martin Wichmann, Vize-Chef des Amts für Stadtplanung und Umwelt, sprach davon, dass die bisherigen Kontrollen bereits zu einer Beruhigung geführt hätten. Das lässt auf weitere Blitzer-Einsätze schließen.
  • Gibt es nicht auch andere Möglichkeiten, Lärmschutz und Sicherheit zu verbessern? Ob Tempo 30 tatsächlichen oder nur gefühlten Lärmschutz bringt, ist umstritten, das räumt auch der von der Stadt eingesetzte Gutachter Michael Koch ein. Ebenso unklar ist aber, ob bei niedrigen Geschwindigkeiten so genannter Flüsterasphalt etwas bringt. Was hingegen hilft, ist ein möglichst stetiger Verkehrsfluss ohne ständiges Anhalten an rotem Ampeln oder hinter Bussen – dann muss man nicht mehr so oft beschleunigen, was Lärm und Abgase reduziert. Die Forderung nach einer Grünen Welle auf Routen wie der Laube wurde dann auch prompt im Technischen und Umweltausschuss wieder laut. Stadtplaner Martin Wichmann ist aber überzeugt: "Tempo 30 wird zur Vergleichmäßigung und Versteigung des Verkehrs führen." Unumstritten ist, ist dass der Anhalteweg bei Tempo 30 deutlich kürzer ist als bei Tempo 50, was Unfälle verhindert oder deren Folgen eindämmt.
  • Welche Gründe sprechen gegen Tempo 30 innerorts? SÜDKURIER-Leser Elias Pfeffer fasst in einer langen Stellungnahme an die Stadtverwaltung (liegt der Redaktion vor) zahlreiche Argumente gegen Tempo 30 zusammen. Zum Beispiel sei ein Motor im zweiten Gang bei Tempo 30 in Wirklichkeit lauter und verbrauche mehr als im dritten oder vierten Gang bei Tempo 50. Außerdem sei es schwierig, Radfahrer bei Tempo 30 zügig zu überholen. Entweder der Vorgang dauere dann sehr lange und werde dadurch gefährlich, oder der Autofahrer werde noch stärker ausgebremst.

Die Debatte: Wie Konstanzer Politiker argumentieren

Zwei Stunden lang tauschten die Stadträte im Technischen und Umweltausschuss ihre Meinungen zum Thema Tempo 30 aus. Einige Argumente und Aussagen:

  • Gisela Kusche, FGL: Die Rettungsdienste seien nicht an Tempolimits gebunden und dürften auch schneller fahren, so lange sie Vorsicht walten lassen. Dass schon jetzt viele Anfahrten zu lange dauern, zeige nur, dass das Problem nicht bei der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegen.
  • Jürgen Ruff, SPD: Tempo 30 werde "nur funktionieren, wenn dauerhaft kontrolliert wird und nicht nur stichprobenartig". Die Stadt müsse gut darauf achten, dass sich nicht ein gewaltiger Ausweichverkehr entwickle, zum Beispiel über die Gartenstraße.
  • Anselm Venedey, Freie Wähler: Er werde nur "zähneknirschend zustimmen, weil es nicht weit genug geht." Und weiter: "Was wird brauchen, ist eine Basisgeschwindigkeit Tempo 30 mi einigen wenigen Ausnahmen."
  • Thomas Buck, Junges Forum: Damit der Verkehr besser fließe, brauche Konstanz dringend Grüne Wellen, zum Beispiel auf der Laube. Lärm lasse sich auch vermeiden, wenn Ampeln um 20 statt erst um 22 Uhr ausgeschaltet würden.
  • Johannes Hartwich, FDP: Der Flickenteppich auf manchen Strecken wie der Schwaketen- oder der Eichhornstraße sei verwirrend, er wünscht sich eine eine einheitliche Regelung. Außerdem werde der Straßenverkehr durch Elektrofahrzeuge leiser.
  • Alfred Reichle, SPD: Die Kritik vor allem von Seiten der Feuerwehr müsse absolut ernst genommen werden. Er glaube, dass es "nicht der richtige Weg ist, überall Tempo 30 einzurichten. In vielen Straßen seien Menschen in Häuser gezogen, obwohl der Lärm schon da gewesen sei.
  • Heinrich Fuchs, CDU: Einwänder von Feuerwehr und Polizei seien schwerwiegend, man solle "nichts über Ziel hinausschießen" und Tempo 30 nur "Stück für Stück" einführen.