Dieser junge Mann wirkt erstaunlich reif und erwachsen. Dabei ist er gerade mal 21 Jahre alt. Seine Ansichten zeugen von erstaunlicher Weitsicht, seine Meinungen haben berührenden Tiefgang. Das kommt nicht von ungefähr. Yasin Amin betreibt Karate, seit er aufrecht stehen kann. Vater Tarek war als gebürtiger Ägypter Mittelmeermeister und Militärweltmeister, bevor er vor rund 30 Jahren nach Deutschland zog. Heute hat er ein Dojo, eine Schule, in der auch Yasin als Lehrer arbeitet. Der Sohn versucht wie sein Vater, sein Leben nach den Regeln des Dojo-Kun zu leben, die da lauten: Strebe nach der Vervollkommnung deines Charakters; verteidige den Weg in Redlichkeit, Ehrlichkeit und Treue; pflege die Bemühungen um die richtige Geisteshaltung; lege größeres Gewicht auf Respekt, Anstand und Höflichkeit; zügele die Kampfbereitschaft und den ungestümten Mut. „Karate ist eine Lebenseinstellung“, sagt Yasin Amin, der den zweiten Dan, den zweiten Grad des Schwarzen Gürtels hat. „Das schult Disziplin und Charakter.“ Er wählt seine Worte mit Bedacht. Vorschnell passiert nicht viel im Leben des Yasin Amin. Wenn er sich für etwas entschieden hat, dann möchte er sich mit Leidenschaft und Akribie dieser Sache widmen.
Wie ernst er es meint mit seiner Philosophie, offenbart sich in anderen Bereichen seines Lebens. Beispiel Fasnacht. Morgen erlebt die Straßenfasnacht in Konstanz seinen Höhepunkt. Schmotziger Dunschtig. Tausende Mäschgerle werden in mehr oder weniger ausgefallenen Häsern ausgelassen feiernd durch die Gassen ziehen und ihre gute Laune mit den anderen Narren teilen. Yasin Amin liebt die Tradition dieser Tage. Nach eigener Aussage ist er von Donnerstag bis Mittwoch unterwegs. Mit Gleichgesinnten versucht er, so viel Fasnacht wie möglich zu erleben. Wenn er dann ansehen muss, wie einige wenige mit ihrem Verhalten die närrische Zeit für sich und andere ruinieren, verdunkeln sich seine Gesichtszüge. "Jeder sollte mit jedem feiern", sagt er entschlossen. "Aggressionen und zu viel Alkohol haben nichts zu suchen bei der traditionellen Fasnacht." Fakt sei aber, dass jedes Jahr etwas passiert, "und das stimmt mich traurig. Eltern sollten ihre Kinder an die Hand nehmen und ihnen erklären, um was es geht". Der Obrigkeit den Spiegel vorhalten, vor der Fastenzeit noch mal feiern.
Neben der Fasnacht und seiner Ausbildung zum Ergotherapeuten, die er schon bald nach den närrischen Tagen mit dem Staatsexamen abschließen möchte, gehört seine große Leidenschaft dem Hip Hop, jener Musikrichtung mit den Wurzeln in der afroamerikanischen Funk- und Soul-Musik. Hier verarbeitet er sein eigenes Leben, seine Wünsche, seine Nöte und seine Hoffnungen. So wie am Dienstag vergangener Woche, als er bei der Konzil-Fernseh-Fasnacht einem großen Publikum als Neuentdeckung aus der Hall of Fame 2016 seine Künste präsentieren durfte. An der Seite von Andreas Kaltenbach, der mit seinem Lied von der Konstanzer Fasnacht den traditionellen Part übernahm, riss er die Menschen zu Beifallsstürmen hin. Er beschrieb, wir er als Kind zur Fasnacht kam und was die fünfte Jahreszeit für ihn bedeutet. Das Zusammenspiel von Tradition und Moderne machte den Auftritt des kongenialen Duos zu einem, wenn nicht dem Höhepunkt des Abends.
Seine Mutter Monika war als Münsterhexe so etwas wie die Lehrmeisterin für Yasin und seinen Bruder Noah. "Sie hat uns den Sinn erklärt, und seither lieben wir diese tolle Tradition", sagt Yasin Amin, der ebenfalls Mitglied bei den Münsterhexen ist und die Nebelhexen gründete. Eine Gruppe, die sich zusammensetzt aus Münsterhexen und Frichtle. "Da unsere eigentlichen Vereine nicht immer unterwegs sind, haben wir die Nebelhexen gegründet, damit wir wirklich jeden Tag von morgens bis abends auf der Gass' sein können", sagt er lachend.
Wer das nicht glaubt, der sollte beim großen Umzug am Sonntag ganz genau hinschauen: Yasin Amin und seine Freunde sind zunächst als Nebelhexen unterwegs und später dann als Frichtle oder als Münsterhexen. "Zwischendrin rennen wir heim und ziehen uns schnell um", erzählt er. "Das ist zwar stressig, macht aber riesigen Spaß." Wer so etwas macht, der muss die Fasnacht wirklich lieben.
Und das übrigens ohne jeden Alkohol. "Ich habe noch nie in meinem Leben auch nur einen Schluck getrunken", versichert er glaubwürdig. Das hat auch etwas mit seinem Glauben zu tun. "Doch nicht nur. Ich hatte nie das Bedürfnis danach." Der 21-Jährige ist aber weit davon entfernt, Mitmenschen für den Konsum von Alkohol zu verurteilen. "Irgendwie gehört das doch auch zur Fasnacht dazu", sagt er. "Aber es sollte sich in Grenzen halten, damit die Menschen nicht die Kontrolle verlieren. Das ist fürchterlich." Was dann passieren kann, sieht man Jahr für Jahr auf der Marktstätte am frühen Nachmittag und bis tief in die Nacht hinein. "Ich gehe da gar nicht mehr hin, weil es mir im Herzen weh tut, wenn ich 14-jährige Mädels sehe, die dort besoffen am Boden herumliegen." Er meide bewusst schlimme Orte, an denen bewusstlose oder aggressive Jugendliche anzutreffen seien. "Ich bedaure es, dass die Stadt nichts mehr für die Jugend macht."
Im untenstehenden Video sehen Sie Yasin Amins Auftritt beim Hall of Fame 2017 in der Spiegelhalle: