Unser Versuch, die zweite Coronawelle in Konstanz aufzuhalten, beginnt mit dem Geruch nach Bratfett und Schweiß. Neun Hähnchen, Schenkel an Schenkel, brutzeln auf zwei Spießen. Die innerstädtische Imbissbude ist ungefähr so groß wie ein Buswartehäuschen.
Ohne Mundschutz, ohne Handschuhe – ein Einsatz für uns
Drei Mitarbeiter rufen sich über das Brutzeln des Fetts hinweg Bestellungen und Befehle zu, „zweimal Hähnchen mit Pommes“, „mehr Brot“. Sie nehmen das Geflügel ohne Mundschutz vom Spieß, ohne Mundschutz reichen sie die Ware den Kunden, die Münzen dafür wandern auf Handflächen ohne Handschuhe. Zeit für unseren Einsatz.
Ich bin unterwegs mit dem Coronapräventionsteam der Stadt Konstanz, das an diesem Samstag seine Feuertaufe hat. Zwölf Personen in weißen T-Shirts, auf denen in blauen, geschwungenen Lettern und umringt von einem gezeichneten Coronavirus steht: „Corona macht keine Sommerpause“.
Unser Mittel gegen Corona: Freundlichkeit
In Dreier- oder Vierergruppen laufen wir durch Konstanz, die meisten meiner Begleiter sind Studenten. Unsere Mission: Dabei helfen, eine zweite Coronawelle zu verhindern. Unsere Mittel: Freundlichkeit, Flyer und Fachinformation. Wir sagen: „Wussten Sie, dass Mundschutz Pflicht ist?“ oder „Mit Abstand am Besten“.
Die Augen müssen lächeln
Wir lächeln bei unseren Sprüchen. So sehr, dass über der Mund-Nasen-Schutzmaske die Augen lächeln. Das hat uns Daniel Schlatter eingeschärft. Zusammen mit seinem Kollegen Andreas Weigold koordiniert er uns. Der Experte für Sicherheit auf Großveranstaltungen hat das Konzept zum Präventionsteam gemacht. Die Idee kam vom Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt.
Bloß keinen Stress!
Wir gehen systematisch vor: Bloß keine Gäste ansprechen in der Gastro, bloß keine Mitarbeiter. Immer den Chef, unauffällig. Bloß keinen Stress verursachen, bloß nicht stören.
Doch die Hähnchenbude ist so eng, dass unauffällig schwer wird. Ich stelle mich an, warte. Nach ein paar Minuten quetsche ich mich nach vorne. Als ich nach dem Inhaber frage, tritt ein blonder Mann mit schwarzer Kochschürze heran.
Er lügt uns ins Gesicht
„Hallo, wir sind vom Coronapräventionsteam der Stadt“, sage ich, und: „Wussten Sie, dass Mundschutz Pflicht ist, wenn man Hähnchen über die Theke reicht?“ Er nickt und antwortet: „Ja, bei uns war das Gesundheitsamt: Wir haben hier drin bis zu 50 Grad, es ist zu heiß, wir müssen keine Masken tragen.“
Wir sind Vorbilder mit Maske, der Schweiß läuft
Wir ziehen weiter, wir sind zu dritt, Tamara, Tim und ich. Während der Rest der Truppe am Schänzle und am Hafen aufklärt, nehmen wir uns die Innenstadt vor. Die Kneipen und Geschäfte. Corona-Sünder notieren wir uns in meinem blassrosa Notizbuch. „Dann kann das Ordnungsamt nacharbeiten“, so Schlatter.
Er hatte auch gesagt, dass wir Vorbilder sein sollen. Deshalb die Maske, den ganzen Tag. Unter dem dünnen Stoff sammelt sich Schweiß auf der Oberlippe. Angesichts dessen, was wir erleben, fällt es immer schwerer zu lächeln: Jede zweite Eisdiele, Imbissbude oder Kneipe verstößt gegen die Regeln.
Dehoga warnte: Achtung, Kontrollen!
Obwohl sie gewarnt wurden. „Die Dehoga hat eine E-Mail herumgeschickt: ‚Achtung, Kontrollen‘“, erklärt uns Anja Risse, die Leiterin des Bürgeramts der Stadt, später. Wir sind bei der ersten von drei Besprechungen an diesem Tag. Auch der Konstanzer Oberbürgermeister ist dabei.

Als Tim von der Imbissbude berichtet, die laut Gesundheitsamt ohne Maske arbeiten darf, schüttelt Anja Risse nur den Kopf und stößt ein erstauntes Lachen aus. Schnell wird der Bereich Gastro als Corona-Sorgenkind identifiziert: Kneipen mit Bedienungen ohne Mund-Nasen-Schutz, Tische, die viel zu eng zusammenstehen, Bedienungen mit Alltagsmaske, die am Kinn hängt – all das haben wir dutzendfach gesehen.
Ja, wir ändern etwas. Wirklich?
Nur ein Ladeninhaber wird sauer, er schreit, er wolle den Virologen sehen, der Corona erfunden hätte. Alle anderen sagen: Ja, wir ändern das. Tun sie es? Das Präventionsteam soll die gesamte kommende Woche patrouillieren. Genug Zeit, um es in Erfahrung zu bringen.
Auch gute Nachrichten
Dazwischen gibt es gute Erlebnisse: Die Passanten, Urlauber und Einheimischen sind größtenteils vorbildlich. Sie reagieren freundlich auf unsere Freundlichkeit. Sie ziehen die Masken auf, wenn wir sie erinnern, sie greifen nach unseren Flyern.
„Das überrascht mich wirklich positiv“, sagt Daniel Schlatter beim nächsten Treff. „Ich habe einen Testlauf gemacht, und so einige reagierten aggressiv auf mich.“ Allerdings war das, bevor die Coronafälle wieder angestiegen sind.
Wenn die Stadt ein Landkreis wäre, dann ...
Mittlerweile gibt es 44 aktive, mit Test verifizierte Coronainfektionen im Kreis, 42 davon in der Stadt Konstanz. Wäre die Stadt Konstanz ein eigener Landkreis, wäre der Zeitpunkt für die Verschärfung der Regeln nicht mehr weit: Laut Robert-Koch-Institut tritt der ein, wenn 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche vorliegen. Heruntergerechnet auf Konstanz mit seinen etwas mehr als 85.000 Menschen würden 43 Neuinfektionen ausreichen. Momentan sind es 26, die Woche zuvor waren es 20.
Einstimmung am Morgen
Die Zahlen machen mir Angst. Ich erinnere mich an den Morgen, als Daniel Schlatter uns alle eingestimmt hatte: „Eure Aufgabe ist wichtig.“ Alle hatten genickt.
Ich bin die einzige Freiwillige im Team. Die meisten anderen sind Studenten. Sie sind über eine Marketingfirma an den Job gelangt. Normalerweise verteilen sie für die Flyer in der Fußgängerzone oder helfen auf Messen. Wie Tim, der heute mitmacht, weil sein Handy kaputt gegangen ist. Er braucht ein neues, und 15 Euro die Stunde sind ein guter Lohn. Oder Tamara, die in Kurzarbeit ist. Ihre Hauptmotivation ist das Geld.
Bewusst Marketingprofis ausgewählt
Daniel Schlatter hat bewusst Marketingprofis und noch ein paar Sicherheitsleute ausgewählt: „Sie haben Erfahrung im Ansprechen von Leuten, im Grunde machen wir hier nichts anderes als zu werben. Für die Einhaltung der Regeln. Denn wir sind keine Hilfspolizisten“, stellt er klar. Wir kämpfen mit Freundlichkeit gegen Corona, nicht mit Verboten.
Und so lächeln wir unter der Maske auch, als wir zur Runde zwei starten. Unser Ziel diesmal: die Menschen an den Bushaltestellen. Sie sollen wissen, dass sie schon beim Warten auf den Bus Maske tragen müssen. „Ach, das wusste ich gar nicht, danke euch“, sagt eine Frau. Sofort spannt sie sich ihre blaue Alltagsmaske über Mund und Nase und macht eine Daumen-Hoch-Geste in unsere Richtung.
Schild an Bushaltestelle wäre gut
Wir stellen fest, dass ein Schild an den Bushaltestellen, auf dem die Regel zu lesen ist, angebracht wäre. In den Bussen selbst ist die Disziplin sehr gut. Vom Hafen melden unsere Kollegen: „Die Schlange am Katamaran – Katastrophe!“
Richtig gespannt bin ich auf Runde drei, die letzte. Um 19 Uhr geht es in den Herosépark. Dort, wo am Wochenende hunderte, wenn nicht tausende junge Leute feiern – und die Anwohner damit zunehmend in den Wahnsinn treiben.
„Anton aus Tirol„ auf der Partymeile
Die Musik ist so laut, dass man sie auch in den Häusern in zweiter, dritter oder vierter Seereihe und auf der anderen Seeseite hören kann. Die Frage ist nur, ob „Anton aus Tirol„, das an diesem Abend tatsächlich gespielt wird, jedem gefällt. Ballermann-Hits. Es passt. Herosé und Seestraße sind eine Partymeile geworden.
Ist es schlimmer als die Jahre zuvor?
Als Neu-Konstanzerin weiß ich nicht, ob es schlimmer ist als die Jahre zuvor. So erklärt es mir ein Freund: „Früher tranken die Jugendlichen am Herosé vorm Discobesuch.“ Wegen Corona sind die Clubs geschlossen, also bleiben sie am Seeufer und drehen dort die Boxen auf.
Unterwegs bin ich diesmal mit vier Studierenden. Eine davon ist Barbara, die schon bei der Vorbesprechung sagte: „Ist es so schlau, Gleichaltrige dorthin zu schicken? Ob sie uns ernst nehmen?“ Man hatte abgewunken. Das sei genau gut so – und auf Augenhöhe.
Keine Lust am Herosé
Doch nun stehen wir am Herosé – und dieselben Leute, die Stunden zuvor einen nach dem anderen angesprochen hatten, wollen nicht so recht.
Barbara sagt: „Sie nehmen uns nicht ernst, sie sind angetrunken und wollen feiern. Ich sitze selbst manchmal hier. Ich glaube, hier müssten Sozialarbeiter her. Wir sind keine Sozialarbeiter.“
Ich stresse
Ich will motivieren, sage „lasst es uns doch wenigstens versuchen.“ Tatsächlich – sie kommt mit. Ein Teamkollege hingegen wendet sich ab und flüstert seinem Kumpel zu: „Jetzt stresst die.“ Mit „die“ bin ich gemeint, er denkt, ich höre ihn nicht. Seitdem seine Kumpels ihn vor 20 Minuten entdeckt und ob seiner Kleidung mit Mundschutz ausgelacht hatten, wirkt er weniger enthusiastisch.
Barbara und ich haben eine Gruppe erspäht, die zu 22. im Park lümmelt. Laut Coronaverordnung dürfen sich nur 20 Leute zusammentun. Wir gehen auf sie zu. Ich sage: „Hallo, wir sind vom Coronapräventionsteam.“
Nur ein Mann würdigt mich eines Blickes. Er hört kurz zu und meint dann: „Es ist ja nicht so, dass ihr Unrecht hättet.“ Aber? Er zuckt die Schultern.
„Prost – und nun weg mit dir!“
Hinter ihm dreht sich ein Junge mit Bierflasche schwerfällig um. Er blickt aus alkoholroten Augen zu mir und lallt: „Prost – und nun weg mit dir!“ Barbara spricht unterdessen mit einem Altenpfleger. Er wisse, wovon sie rede, sagte er. Er hätte selbst erst Corona gehabt. Warum hier so viele um ihn herum sitzen, wisse er nicht. Er kenne die anderen nicht. Wir gehen.
„Sofort aufhören, wenn Aggressionspotenzial da ist“, hatte uns Daniel Schlatter gewarnt. Er sagte auch: „Unsere Grenze ist dort, wo die Ignoranz anfängt.“
Die Grenze ist erreicht
Das Konzept freundliches Präventionsteam mit Werbetouch, es funktioniert gut bei nüchternen, aufgeklärten Fußgängern und vielleicht bei Gastronomen. Bei den Jugendlichen am Herosé mit ihrer von Alkohol und Marihuana verstärkten Gruppendynamik, da ist diese Grenze. Wir fühlen sie jetzt, denn wir fühlen uns zunehmend unwohl.
Anmerkung der Redaktion: Die Namen der Studenten wurden geändert