Eine See- oder Meerlandschaft, Holzhütten auf Pfählen, romantische Stimmung weht durchs Plakat. „Tahiti? Nö, Baden-Württemberg„, steht darauf. Genauer gesagt ist es das Pfahlbaumuseum am Bodensee, für das das Tourismus Marketing Baden-Württemberg und die Bahn im ganzen Land werben. So schön lässt es sich daheim im Südwesten urlauben, soll das Bild vermitteln – völlig zu recht, wie alle wissen, die hier am südlichen Rand Baden-Württembergs zuhause sind.

Parkchaos in der Nähe des Freizeitgeländes Manzell. So sieht es aus, wenn alles zum See strömt.
Parkchaos in der Nähe des Freizeitgeländes Manzell. So sieht es aus, wenn alles zum See strömt. | Bild: Lena Reiner

Die Tourismusbetriebe in der Region können die Werbung brauchen, denn die laufende Saison bleibt noch hinter den Erwartungen zurück: „Die Zahlen reichen nicht ans Vorjahr heran“, sagt Christopher Pape, Pressesprecher der Bodensee-Schiffsbetriebe (BSB). Noch immer dürfen die BSB nur eine beschränkte Anzahl von Passagieren auf ihre Schiffe lassen. Im Frühjahr war man durch Corona ausgebremst, der Juni brachte etwa die Hälfte der Passagierzahlen, die sonst üblich sind, die Juli-Bilanz steht noch aus. „Wir hoffen auf gutes Wetter, nicht zu heiß, sonst gehen die Leute lieber baden“, sagt Pape mit Blick auf die beginnenden Ferien. „Jede Woche zählt.“ Doch egal wie gut das Geschäft noch laufen wird, schon jetzt steht fest: „Das Corona-Defizit ist nicht aufholbar.“

Sipplingen schließt wegen Andrangs von Badegästen

Samstagnachmittag am Freizeitgelände von Friedrichshafen-Manzell: die Anzahl der wild parkenden Autos lässt in etwa erahnen, was sich am Strand abspielt. Auch die Strandbäder rundum am östlichen Teil des Sees sind gut gefüllt, Eriskirch muss um 15.30 Uhr wegen Überfüllung schließen, in Sipplingen wird wenige Tage später der öffentliche Strand an Wochenenden zwischen 11 und 17 Uhr sogar ganz gesperrt. Mancherorts kommt einem die Bodensee-Region in diesem Sommer noch voller vor als sonst. Dicht gepackte Bodenseeufer, Staus in den Innenstädten, lange Schlangen vor den Eisdielen – aber sind sie wirklich länger als sonst?

Ist die Corona-Brille schuld?

Möglicherweise kommt uns das nur so vor. Durch die Corona-Brille wirken Abstände tendenziell zu gering. Menschenmengen werden in Zeiten der Pandemie lieber gemieden. Eine gut belebte Fußgängerzone wird da schnell zum unangenehmen Menschenknäuel.

Uferpromenade und Stadt sind gut gefüllt in Überlingen.
Uferpromenade und Stadt sind gut gefüllt in Überlingen. | Bild: Achim Mende

Das Gefühl, dass viel los sei, hätten viele, bestätigt Ute Stegmann, Geschäftsführerin der Deutschen Bodensee-Tourismus GmbH (DBT). „Es ist auch viel los, aber im Juli und August ist immer viel los am See.“ Der Tourismus-Expertin fallen gute Gründe ein, weshalb das Empfinden in diesem Jahr ein anderes ist. „Im Vergleich zum April und Mai fühlt es sich einfach viel an. Viele verbinden Menschenmassen inzwischen mit Angst, man sucht die Distanz.“ Dazu kommt eine weitere Vermutung: mehr Tagestouristen. Das stellt man auch im für Tourismus mit zuständigen Justizministerium fest. „Auch bedingt durch die Einschränkungen sozialer Kontakte der vergangenen Monate unternehmen mehr Menschen (zusätzlich) Tagesausflüge zu Freiluftzielen, zu denen auch der Bodensee gehört. Anders als bei Übernachtungen oder Ankünften bei Gastgebern ist dies jedoch statistisch nicht registrierbar, der Trend wird uns jedoch, wie beschrieben, landesweit gemeldet“, berichtet Pressesprecher Robin Schray.

Camping ist beliebt: Was in Wahlwies bei Stockach Ende Mai zu lesen war, dürfte aktuell für etliche Plätze gelten.
Camping ist beliebt: Was in Wahlwies bei Stockach Ende Mai zu lesen war, dürfte aktuell für etliche Plätze gelten. | Bild: Felix Kästle

Tagesausflügler übernachten nicht, bei den Übernachtungen allerdings verzeichnet die DBT im Juni Rückgänge zwischen zehn und 20 Prozent – also keineswegs ein Mehr an Gästen. Die Juli-Zahlen stehen noch aus, die aktuelle Belegung sei gut. Besonders begehrt sind derzeit Ferienwohnungen und Campingplätze. Das Geschäft der Hotels – mit Schwimmbad, Sauna und Frühstücksraum, alle von Corona außer Gefecht gesetzt und infragegestellt – pendele sich erst allmählich wieder ein. „Wenn es im Moment noch Kapazitäten gibt, dann im Hotelbereich“, sagt Stegmann. „Bei den Ferienwohnungen gibt es nicht mehr viel Auswahl.“

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Insgesamt aber bleibt wohl auch bei den Übernachtungsbetrieben aller Art ein Verlust. Die DTB rechnet mit 30 Prozent Einbußen zu den Vorjahren. Vorausgesetzt, dass nichts Gravierendes mehr passiert. Die berühmte zweite Welle, oder eine Massenansteckung wie gerade am österreichischen Wolfgangsee kann man jedenfalls nicht gebrauchen.

Tourismus kam fast zum Erliegen

Deutlich sind auch die Verluste, von denen die Internationale Bodensee Tourismus GmbH berichtet. Für die gesamte Vierländerregion liegen erst die Zahlen bis Mai vor. Noch voll im Lockdown war der Tourismus fast zum Erliegen gekommen: minus 77 Prozent bei den Übernachtungen, minus 80 Prozent bei den Ankünften. Inzwischen geht Pressesprecher Markus Böhm davon aus, dass die Region wieder gut ausgelastet ist. „Aber man findet immer noch ruhige Plätzchen, vor allem in der zweiten Reihe um den See. Und die Schweiz ist generell ein bisschen ruhiger als das deutsche Ufer“, sagt Böhm.

Der Mainau fehlen zehn Millionen Euro Umsatz

Mindestens so sehr wie die Übernachtungsbetriebe leiden die touristischen Highlights rund um den See. Der Blumeninsel Mainau fehlten und fehlen immer noch viele Gäste: Die Busreisen seien weggebrochen, dazu verhalte sich die ältere Zielgruppe – eine Hauptklientel der Mainau – weiterhin sehr zurückhaltend, sagt Pressesprecherin Andrea von Maur. Corona-bedingt dürfen derzeit nur 4000 Gäste gleichzeitig auf die Insel. 5000 bis 6000 Gäste täglich sind da schon gut – normal aber sind zur Hochsaison laut von Maur aber zwischen 7000 und 10 000 Besucher. Wie Gräfin Bettina Bernadotte, Geschäftsführerin der Mainau GmbH gerade bei einem „Meet and Greet“ der Konstanzer Wirtschaftsförderung verriet, hatte die Insel bis Ende Juni 300 000 Besucher weniger als üblich. Was den Umsatz angehe, sei man 73 Prozent unter dem Plan, es fehlten zehn Millionen Euro.

Im Pfahlbaumuseum tragen die Museumsführer Cihangir Erol (links) und Gérard Hantschel Corona-Visiere.
Im Pfahlbaumuseum tragen die Museumsführer Cihangir Erol (links) und Gérard Hantschel Corona-Visiere. | Bild: Pfahlbaumuseum

Auch im Pfahlbbaumuseum Unteruhldingen hat das Virus Spuren hinterlassen. „Inzwischen haben wir uns schon ein bisschen stabilisiert“, sagt Museumsleiter Gunter Schöbel. 45 Prozent Minus gegenüber dem Vorjahr verzeichnet das Museum, dem zuletzt auch ganze Zielgruppen abhanden gekommen sind: Allein bei den Schulklassen hagelte es laut Schöbel Tausende von Absagen, dazu die ausbleibende Reisebusgruppen. Genug zu tun hatten Schöbel und seine Mitarbeiter trotzdem: „Ab März haben wir das ganze Museum auf den Kopf gestellt.“ Jetzt kommt der Besucher im Einbahnverkehr berührungsfrei durch den Rundweg, statt persönlicher Führungen gibt es Stationen, an denen informiert wird. „Eigentlich müssen sich die Museen neu erfinden“, sagt der Archäologe. Und dabei ist er mit seinem Freilichtmuseum im Vergleich zum klassischen Innenraum-Museum noch einigermaßen gut dran.

Die Vierländerregion rund um den Bodensee profitiert stark vom Tourismus – in den vergangenen Jahren zunehmend

Auf dem Campingplatz Gohren bei Kressbronn werden zu Ferienbeginn etliche Neuankömmlinge erwartet. Wobei, sie seien auch jetzt schon so gut wie voll, berichtet Wolfram Prasser von der Geschäftsführung des mit 1300 Stellplätzen größten Campingplatzes in der Region. Für die Jahreszeit sei das allerdings typisch, meint Prasser. Die Besonderheit im Corona-Jahr: Bereits den gesamten Juli hindurch seien sie sehr gut ausgebucht gewesen. Seine Erklärung dafür: „Die Menschen haben Nachholbedarf. Es war höchste Zeit für Urlaub.“

Blick von oben aufs Strandbad Friedrichshafen: Gut besucht, aber nicht überfüllt.
Blick von oben aufs Strandbad Friedrichshafen: Gut besucht, aber nicht überfüllt. | Bild: Jean-Paul Mende

Dazu kommt, dass im Corona-Sommer 2020 viele Urlauber nach Privatsphäre im eigenen Wohnwagen, Wohnmobil oder Zelt suchen. In Kressbronn sei die Zahl der Nachfragen sprunghaft gestiegen: „Wir hätten doppelt so viel Plätze vergeben können, als wir zur Verfügung haben“, sagt Prasser. Nicht befriedigen konnte man insbesondere die Nachfrage ausländischer Gäste: „Die Deutschen haben früher die Weichen gestellt und sich für den Urlaub im Inland entschieden.“ Der verspätete Saisonstart schlägt trotzdem ins Kontor: Statt vor Ostern, am 27. März, war der Platz erst vor Pfingsten, am 29. Mai, für alle Gäste geöffnet – und ab dem 18. Mai für autarke Fahrzeuge mit eigenem Klo und Nasszelle. Prasser: „Die ersten beiden Monate des Umsatzes sind verloren, die lassen sich nicht mehr reinholen.“

Im Herbst sind die Einheimischen gefragt

Noch ist längst nicht das letzte Wort gesprochen. Immer wieder ist zu hören, dass man die Saison gerne noch ein bisschen verlängern würde. Der Campingplatz Gohren will statt im Oktober erst im November winterfest machen – um die Dauercamper zu entschädigen, aber auch weil man hofft, im goldenen Herbst noch Gäste an den See zu locken, und so um die finanziellen Einbußen des Frühjahrs etwas abzumildern. Beim Tourismusverband ITB setzt man auf den Herbst und die Nachsaison und darauf, dass die Menschen aus der Region sich selbst mal etwas gönnen. Die Einheimischen-Kampagne #UrlaubZuhause und Übernachtungspreise zu Sonderkonditionen sollen dafür sorgen, dass die Herbstsaison belebter ausfällt.