Es ist windig am Seeufer an der EU-Außengrenze auf Klein-Venedig. Ab und zu fallen ein paar Tropfen, doch das hält einige Interessierte nicht ab. In einem kleinen Kreis stehen Bürger der Grenzstädte Konstanz und Kreuzlingen mit dem Leiter der Lokalredaktion Konstanz, Jörg-Peter Rau, zusammen und erzählen, wie sie die Grenze erleben und wie viel Grenzzaun in den Köpfen noch existiert.

Die Runde wird schnell sehr gesprächig, auch weil sich nicht nur Konstanzer an dem Gespräch beteiligen. So ist der ehemalige Kreuzlinger Stadtrat des Baudepartments und damit Mitglied der Stadtregierung, Christian Witzig, rege mit dabei. Witzigs Leben spielt sich regelrecht über die Grenze hinweg ab. Stets hatte er viel Kontakt zu Deutschen und schätzt diese auch in vielen Punkten sehr.

Der Kreuzlinger Christian Witzig berichtet, wie er als Kind mit der Grenze groß wurde.
Der Kreuzlinger Christian Witzig berichtet, wie er als Kind mit der Grenze groß wurde. | Bild: Hanser, Oliver

Ihm war es immer ein Anliegen, dass die Gemeinde Kreuzlingen die Grundstücke an der Grenze besitzt, unter anderem um dort neue Möglichkeiten wie die Bodensee-Arena zu schaffen, die er als verbindendes Element betrachtet. „Für mich war die Grenze immer ein Spiel“, sagt Witzig mit Blick auf seine Kindheit. Spielzeug, das man in Konstanz kaufte, wurde nach Gewicht bemessen. Gerade mal 300 Gramm waren zollfrei.

Ein Geben und Nehmen

Dass das Einkaufen in der jeweils anderen Stadt für Deutsche und für Schweizer eine große Rolle spielt, zeigt sich schnell. „Konstanz erfüllt für Kreuzlingen auch eine Zentrumsfunktion“, so der CDU-Stadtrat Joachim Filleböck. Daher seien viele junge Kreuzlinger in der Konstanzer Innenstadt unterwegs.

„Konstanz erfüllt für Kreuzlingen auch eine Zentrumsfunktion“, so der CDU-Stadtrat Joachim Filleböck.
„Konstanz erfüllt für Kreuzlingen auch eine Zentrumsfunktion“, so der CDU-Stadtrat Joachim Filleböck. | Bild: Hanser, Oliver

Gleichzeitig gibt es laut Filleböck durchaus auch Deutsche, die für ein ruhiges Einkaufserlebnis in die Schweizer Nachbarstadt gehen. Das alles sei für die Menschen auf beiden Seiten normal. Früher habe er ein ungutes Gefühl gehabt, wenn er nach Mitternacht die Grenze überqueren musste. Dass dem nicht mehr so ist und auch keine Grenzwächter mit Maschinengewehren an der Grenze stehen, freut ihn.

Wunsch nach mehr gemeinsamen Projekten

Dennoch gehört für ihn als geborenen Konstanzer alles zu der Erfahrung, an der Grenze groß zu werden. „Man wächst über die Grenze hinweg auf“, sagt Filleböck. Dem können sich viele Beteiligte anschließen. Dabei geht es nicht nur darum, die Grenze für Einkäufe oder Barbesuche zu überqueren, sondern auch um das Zusammenleben beider Städte.

Gabriele Weiner, Stadträtin des Jungen Forums, denkt insbesondere an die Schulen. „Wir haben viele Austauschprogramme, aber keines mit der Schweiz.“ In den 1950ern habe es große grenzübergreifende Sportveranstaltungen gegeben, sagt Weiner und bedauert, dass davon nicht viel übrig geblieben sei.

Auch Fabio Crivellari von der Universität Konstanz hat Erfahrung mit grenzüberschreitender Zusammenarbeit. Seit 2016 gebe es eine enge Kooperation der Universität mit dem Nachbarland. Bei dieser Kooperation fällt ihm immer wieder eines auf: „Die Grenze hat nicht nur etwas Trennendes“, so Crivellari. „Die Grenze selbst ist nicht bereichernd, aber der Wille zur Überwindung“, führt er aus.

„Die Grenze hat nicht nur etwas Trennendes“, so Fabio Crivellari.
„Die Grenze hat nicht nur etwas Trennendes“, so Fabio Crivellari. | Bild: Hanser, Oliver

Die schulischen Grenzgänger sorgen für Gesprächsstoff. Dabei zeigt sich auch, wie unterschiedlich manche Dinge in den beiden Staaten laufen. Deutsche Familien, die in der Schweiz leben, schicken ihre Kinder oft nach Deutschland, wo sie als Bundesbürger zum Schulbesuch berechtigt sind, während die Familien in der Schweiz sogar Schulsteuern zahlen.

Konstanz könne die Schüler rechtlich nur abweisen, wenn man für diese einen neuen Raum brauchen würde, erklärt Oberbürgermeister Uli Burchardt. Bei den Kindergärten ist es umgekehrt, dort geben deutsche Eltern ihre Kinder in die Schweiz, da dort die Kapazitäten vorhanden sind.

Die Grenze schien verschwunden

Für den bei Allensbach aufgewachsenen Burchardt war die Beziehung zu Kreuzlingen immer eine enge Freundschaft und Nachbarschaft. „In meinen Grußworten habe ich immer die Besonderheit hervorgehoben“, so der Oberbürgermeister.

Konstanz Oberbürgermeister Uli Burchardt berichtet, wie es zur Schließung der Grenze während der Corona-Pandemie kam.
Konstanz Oberbürgermeister Uli Burchardt berichtet, wie es zur Schließung der Grenze während der Corona-Pandemie kam. | Bild: Hanser, Oliver

Die zwei Städte seien eigentlich eine Stadt, mit enger Zusammenarbeit der Verwaltung. „Wir planen viel zusammen“, so Burchardt. Das sei auch notwendig bei Themen wie Kanalisation oder Energieversorgung. In seinem Büro habe er ein Stück des Grenzzauns in Acryl eingegossen stehen. Das sei für ihn mehr als nur ein Symbol.

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„Es hatte sich lange so angefühlt, als wäre die Grenze verschwunden“, meint Burchardt. Doch dann kam sie wieder. Die Schließung der Grenze während der Corona-Pandemie war für alle Teilnehmer eine schmerzhafte Erfahrung. Dass die Grenze noch einmal mit Militärpatrouillen und Helikopter überwacht wird, konnte sich keiner vorstellen. Der Oberbürgermeister erinnert sich, dass die Grenzschließung von Baden-Württemberg ausging. „Die Leute hatten Panik vor Ansteckungen“, erinnert er sich.

Die Schweiz hatte damals eine höhere Sterblichkeit durch das Virus. „Plötzlich hieß es, da tut sich was in Stuttgart.“ Uli Burchardt ging davon aus, dass die Autobahn stärker kontrolliert werde – aber nicht, dass die grüne Grenze abgeriegelt wird.

Die Grenze bewegt die Menschen

Jetzt steht die Runde genau dort, wo sich vor vier Jahren die Zäune befanden. Heute können Spaziergänger auf Klein-Venedig einfach wieder über die Grenze schlendern, ohne den Pass zu zeigen. Für Erika Korn ist das beruhigend. „Für mich ist das Thema Grenze ein Lebensthema“, sagt sie.

Für Erika Korn war der Abbau des Grenzzauns emotional.
Für Erika Korn war der Abbau des Grenzzauns emotional. | Bild: Hanser, Oliver

Korn hat 40 Jahre in der DDR gelebt und war erstaunt, wie einfach sich die Grenze zur Schweiz mit ihrem Mann passieren ließ. „Direkt nach der Grenze musste ich erstmal stehen bleiben“, erinnert sie sich. Ein besonderer Moment war für sie, als die Grenzanlagen dann abgebaut wurden. „Da habe ich geheult, plötzlich ist der Zaun einfach weg. So kann es doch auch gehen.“

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