Es ist mitten in der Nacht. Die meisten Konstanzer schlafen, manche tief, die anderen weniger. Zu letztgenannten gehört Clarissa Wölki, die zwei Etagen über dem Erker des Stadlerhauses wohnt. „Ich habe gehört, wie jemand auf der Straße telefoniert und sagt, aus dem ersten Obergeschoss komme Rauch“, erzählt sie.

Da war sie schlagartig hellwach. „Ich habe mich schnell angezogen, aus dem Fenster geschaut und nur Rauchschwaden gesehen“, berichtet sie, während sie vor dem Konzil steht – dem Aufenthaltsbereich für alle, die ihre Wohnung oder Unterkunft verlassen mussten. „Wir haben sofort alles mit Handtüchern abgedichtet, damit kein Rauch hineinzieht.“

Die Bewohner dieses Gebäudeteils haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit all ihr Hab und Gut verloren.
Die Bewohner dieses Gebäudeteils haben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit all ihr Hab und Gut verloren. | Bild: Scherrer, Aurelia

Großes Vertrauen in die Feuerwehr

Sie hat Ruhe bewahrt, in vollem Vertrauen auf die Feuerwehr, die schon bei einem Fehlalarm vor drei Wochen sehr schnell vor Ort gewesen sei. Auch in den frühen Morgenstunden am Donnerstag, 25. Juli, vertraute sie auf die Rettungskräfte.

Denn die Bewohnerin stand zunächst am Fenster, von der Drehleiter aus hätten Feuerwehrleute mit ihr gesprochen. Wohl mehr als eine Stunde, so schätzt sie, sei sie in der Wohnung geblieben, bis die Feuerwehr sie mittels Fluchthaube über das Treppenhaus ins Freie bringen konnten.

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Wenn man alles verliert...

Clarissa Wölki wirkt sehr gefasst. Sie geht davon aus, dass ihre Wohnung, die in Richtung der Gasse Vor der Halde liegt, wenig betroffen sei. Aber: „Ich bin in Gedanken bei meinen Nachbarn. Wenn man alles verliert… der absolute Horror. Das wünscht man keinem.“ Sie spricht einen kurzen Moment nicht weiter, dann sagt sie: „Gott sei Dank sind alle draußen.“

Die meisten seien privat untergekommen, sie selbst auch. Einer ihrer Freunde, der beim Rettungsdienst arbeitet und auch im Einsatz war, habe ihr einfach den Schlüssel für seine Wohnung in die Hand gedrückt. Wichtig ist Wölki vor allem eines: „Ein großes Dankeschön an alle Einsatzkräfte, dass sie so schnell da waren!“

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Großer Dank an die Einsatzkräfte

Neben ihr steht Lars Winter. Er kommt aus der Nähe von Braunschweig und hat im Hotel am Fischmarkt, das direkt neben dem Stadlerhaus liegt, genächtigt. „Meine Frau hat mich geweckt. Sie hat die Drehleiter gehört. Das war gegen 1.30 Uhr“, berichtet er dem SÜDKURIER. Schnell hätten sie sich angezogen. „Etwa um zwei Uhr sind Polizisten durch das Hotel gejagt und haben alle nach draußen gebracht“, schildert Winter.

Erst sei es zum Restaurant Chez Léon an den Fischmarkt gegangen, wo die Menschen auf den Stühlen Platz nehmen konnten. Bald darauf hätten die Malteser auf der Marktstätte Tische und Stühle aufgebaut und für Verpflegung gesorgt. Lars Winter sagt voller Dankbarkeit: „Die Einsatzkräfte sind alle superliebe Menschen. Wir haben uns wirklich gut betreut gefühlt.“

„Ein großer Dank an die Einsatzkräfte. Alles superliebe Menschen, Sie haben dafür gesorgt, dass es uns halbwegs gut geht“, sagt Lars ...
„Ein großer Dank an die Einsatzkräfte. Alles superliebe Menschen, Sie haben dafür gesorgt, dass es uns halbwegs gut geht“, sagt Lars Winter aus Braunschweig, der gemeinsam mit seiner Frau und Hund Fiete im Hotel am Fischmarkt, direkt neben dem Stadlerhaus, übernachtet hat. | Bild: Scherrer, Aurelia

Sebastian Unterwerner, Sohn und Mitarbeiter der Hotelbesitzerin Tamara Unterwerner, erlebte die Evakuierung von der anderen Seite mit. Als er nachts angerufen wurde, düste er mit dem Roller von seinem Wohnort Gottlieben nach Konstanz. „Schon bei der Anfahrt habe ich riesige Rauchwolken gesehen“, sagt er am Mittag danach – und viele schlaflose Stunden später.

„Fast alle Gäste lagen noch im Bett, also bin ich mit vier Polizeibeamten ins Haus gegangen und habe die Leute aus den Zimmern geholt.“ Auch er spricht anerkennend von den vielen Hilfskräften, die auf der Marktstätte und später im Konzil Sammelpunkte einrichteten, auch Seelsorger seien vor Ort gewesen.

Tamara und ihr Sohn Sebastian Unterwerner betreiben das Hotel am Fischmarkt. Das rote Gebäude befindet sich direkt neben dem betroffenen ...
Tamara und ihr Sohn Sebastian Unterwerner betreiben das Hotel am Fischmarkt. Das rote Gebäude befindet sich direkt neben dem betroffenen Jugendstilhaus und musste in der Nacht ebenfalls evakuiert werden. | Bild: Kirsten Astor

Im Konzil baute das THW Feldbetten auf, doch an Schlaf war kaum zu denken. Am Vormittag durften die Gäste nach und nach nochmal ins Hotel am Fischmarkt, um ihr Gepäck zu holen. Doch wie es mit dem Betrieb weitergeht, wissen die Unterwerners noch nicht.

„Wir waren ausgebucht und sind es eigentlich auch in der kommenden Nacht, aber wir werden sehen, wann wir wieder ins Haus dürfen“, sagt der 29-Jährige und schiebt hinterher: „Und selbst wenn, riecht es überall nach Feuer.“ Ganz ungefährlich ist es in den Räumen eventuell auch nicht.

Um 10.45 Uhr ist es soweit: Alle 16 Gäste des Hotels am Fischmarkt haben ihr Gepäck aus dem Haus geholt. Hier begleitet ein Mitarbeiter ...
Um 10.45 Uhr ist es soweit: Alle 16 Gäste des Hotels am Fischmarkt haben ihr Gepäck aus dem Haus geholt. Hier begleitet ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes die letzten beiden Damen in die Sammelstelle im Konzil. | Bild: Kirsten Astor

Laut Feuerwehr können giftige Gase selbst durch Betonwände diffundieren. Vor einer Freigabe müssten daher Messungen stattfinden. Ansonsten hatten die Unterwerners Glück. „Die Feuerwehr musste unsere Tür gewaltsam öffnen und durch Löscharbeiten ist unsere Terrasse ein bisschen verwüstet“, sagt Sebastian Unterwerner. Die Zimmer aber seien in Ordnung.

Seiner Mutter Tamara Unterwerner, die lange den „Guten Hirten“ im Erdgeschoss führte, fällt ein Stein vom Herzen. „Beim nächtlichen Anruf hatte ich Herzrasen und habe nur gehofft, dass niemand zu Schaden kommt. Geld kann man wieder verdienen, aber Menschenleben sind wichtiger.“

Die erschöpften Rettungskräfte ruhen sich zwischendurch immer mal wieder aus, auch Bürgerinnen und Bürger bringen ihnen Essen und Getränke.
Die erschöpften Rettungskräfte ruhen sich zwischendurch immer mal wieder aus, auch Bürgerinnen und Bürger bringen ihnen Essen und Getränke. | Bild: Kirsten Astor

Schade um das schöne Haus

Peter Schuck wohnt in der Kanzleistraße. Auch wenn er nicht direkt betroffen ist, geht ihm das schreckliche Ereignis sehr nahe; der Brand des Schuhhauses Haug, das er als Nachbar sehr direkt miterlebt hat, ist ihm unvergessen. Und genau daran fühlt er sich nun erinnert – so wie viele andere Menschen, deren Gesprächsfetzen überall in der Stadt zu hören sind.

„Gegen 5 Uhr wurde ich durch den Funkverkehr wach“, schildert Schuck. „Ich habe aus dem Fenster geschaut und das, was ich sah, hat mich umgehauen. Feuer, Flammen, Rauch bis in den Himmel hoch.“ Auch er ist erleichtert, dass es alle Bewohner nach draußen schafften. Und doch: „Das tut in der Seele weh. Das schöne Haus. Jeder Brand in der Innenstadt mit der historischen Bausubstanz ist ein Jammer.“

Auch am Tag nach der Brandnacht qualmt es aus dem Haus an der Zollernstraße 10, was viele Bürger und Touristen mit dem Handy festhalten.
Auch am Tag nach der Brandnacht qualmt es aus dem Haus an der Zollernstraße 10, was viele Bürger und Touristen mit dem Handy festhalten. | Bild: Kirsten Astor

Ähnlich äußert sich die 90-jährige Erika Hess, die 50 Jahre lang die gleichnamige Reinigung an der Hofhalde betrieb und über dem Geschäft wohnt. „Ich wurde wach, weil die Lichter der Feuerwehr in mein Zimmer reinblinkten“, erzählt sie. „Ich bin total erschrocken und im Bademantel auf die Straße gegangen, da standen schon lauter Leute.“

„Ich bin total erschrocken und im Bademantel auf die Straße gegangen, da standen schon lauter Leute“, sagt Erika Hess, die unweit der ...
„Ich bin total erschrocken und im Bademantel auf die Straße gegangen, da standen schon lauter Leute“, sagt Erika Hess, die unweit der Zollernstraße wohnt. | Bild: Kirsten Astor

Auch Passantin Helga König ist fassungslos. „Das tut so weh“, sagt sie, als sie auf die Fassade des Jugendstilhauses blickt, aus dem es noch immer qualmt. „Ich war oft im Einrichtungshaus Bent Sörensen.“ Zwei der drei Geschäftsführerinnen des Möbelhauses stehen ein paar Schritte weiter, am Fischmarkt, und besprechen das weitere Vorgehen mit der Polizei.

„Das Verlagshaus ist typischer Städtebau des frühen 20. Jahrhunderts. Auch das Hinterhaus gehört dazu. Mal sehen, was noch davon übrig ...
„Das Verlagshaus ist typischer Städtebau des frühen 20. Jahrhunderts. Auch das Hinterhaus gehört dazu. Mal sehen, was noch davon übrig ist“, sagt der städtische Denkmalpfleger Frank Mienhardt. | Bild: Kirsten Astor

Zum Reden über das Geschehene ist ihnen nicht zumute, sie müssen erst Wichtiges mit Anwalt und Versicherung klären. „Ich habe keine Worte“, sagt eine der beiden traurig. Die drei Damen hatten das Geschäft erst vor einem Jahr übernommen. Auch Christian Stadler als Mitglied der Eigentümerfamilie des betroffenen Hauses ist vor Ort. Er zeigt sich bestürzt, will sich aber erst öffentlich äußern, wenn er das Geschehen für sich einigermaßen verarbeitet hat.