Eine schöne Idee kann schnell an Schönheit verlieren, wenn sie konsequent umgesetzt wird. Manchmal kann sie auch wehtun. Diese Erfahrung mussten jetzt einige Stadträte und Mitarbeiter der Stadtverwaltung machen – als im Gemeinderat darüber abgestimmt wurde, ob die Bürgervereinigung Allmannsdorf-Staad, kurz BAS, beim neuen Wohnquartier an der Jungerhalde mitreden darf. Denn ja, sie darf. Und das ausgiebig.
Die gefürchteten „Verhinderer“
Die Köpfe der BAS sind in der Stadtverwaltung als „Verhinderer“, wie Oberbürgermeister Uli Burchardt sie einmal nannte, gefürchtet. BAS-Chef Sven Martin stellt die Frage, „ob es dieses Baugebiet vor dem Hintergrund der vielen anderen Gebiete, die viel weiter sind, braucht“. Bei der Diskussion um das geplante Areal mit mehrstöckigen Neubauten für Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen haben die Kritiker ein starkes Instrument: Es heißt erweiterte Bürgerbeteiligung, wurde vor vielen Jahren vom Oberbürgermeister selbst initiiert und von Stadträten und Konstanzern konstruiert.
Klar, dass die Allmansdorfer mehr wollten
Das Ganze funktioniert so: Man sammelt mindestens 200 Unterschriften, und dann wandert das Anliegen in den Gemeinderat. Der entscheidet, ob die erweiterte Bürgerbeteiligung stattfinden darf. Die hat mehrere Stufen, Stufe drei ist die höchste: Mitwirkung. „Das wären runde Tische, Workshops, fast auf Augenhöhe mit den Planern“, wie Martin Schröpel, der städtische Beauftragte für Bürgerbeteiligung, im Rat erklärte. Klar, dass sich die Allmannsdorfer nicht mit Stufe zwei zufriedengeben würden. Das wäre die Konsultation. Schröpel: „Da würden Meinungen kundgetan, und die Verwaltung hätte die Aufgabe, das mitzunehmen.“
Obwohl es die Option auf die erweiterte Bürgerbeteiligung seit einigen Jahren gibt, wurde sie noch nie genutzt. Dabei wirbt die Stadt doch auf ihrer Webseite mit dem Konzept: Bürgerbeteiligung, das passt zu der modernen, weltoffenen Kommune, als die Konstanz sich gern gibt. Bis die BAS kam und die Begeisterung bei einigen Räten und Verwaltungsangestellten abkühlen ließ.
Dass ausgerechnet diese Bürgervereinigung die erste sein und es dabei auch noch um eines der wenigen schnell umsetzbaren Neubauprojekte auf dem zum Zerreißen angespannten Konstanzer Wohnungsmarkt gehen würde, gefiel nicht jedem. Das wurde während der jüngsten Gemeinderatsitzung mehr als deutlich. Besonders im Amt von Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn soll der Ärger enorm gewesen sein, hieß es am Rande der Sitzung.
Im Gemeinderat verweigerte nur die Freie Grüne Liste (FGL) dem Projekt Jungerhalde-West die Zustimmung. Und so standen die Räte bei der Abstimmung vor einem Dilemma: Wenn sie den Antrag der BAS ablehnen, würden sie ihre eigenen Bürgerbeteiligungsrichtlinien konterkarieren. Wenn sie zustimmen, riskierten sie, dass das Projekt zumindest verzögert, wenn nicht gar verhindert wird.
Dieser Zwiespalt zeigte sich in Aussagen wie der von Zahide Sarikas (SPD): „Unsere Stadt wird für jüngere Familien unerschwinglich. Anders als die BAS haben diese Familien kein Sprachrohr. In Pandemie-Zeiten eine Präsenzveranstaltung zu fordern, grenzt allerdings an Unverantwortlichkeit. Aber natürlich ist den Sorgen der jetzigen Anlieger Sorge zu tragen.“
„Gut, wenn nicht nur Bürger von der BAS dabei wären“
Oder Daniel Groß (CDU): „Dass die Bürger ihre Belange einbringen können, bevor wir den Architektenwettbewerb starten, ist wichtig. Es wäre aber gut, wenn nicht nur Bürger von der BAS dabei wären.“
Jürgen Faden (Freie Wähler) meinte: „Wenn wir das Thema Wohnungsnot in Konstanz wirklich ernst nehmen, dann können wir nicht sagen, dass wir bei jedem Projekt noch einmal fünf Runden drehen. Und von hier und da Einwände kommen. Wir hatten klar beschlossen, dass wir das Gebiet bebauen wollen.“
„Projekt zu verhindern steht nicht zur Debatte“
Jürgen Ruff (SPD) betonte: „Das ganze Projekt zu kippen, steht nicht zur Debatte! Auch nicht über irgendwelche Beteiligungsverfahren, die nicht das Ziel der Mitwirkung haben, sondern den Fall oder die Verschleppung des Ganzen.“
Der Vorschlag der Verwaltung, der dem Gremium vorgelegt wurde, versuchte es mit einem Kompromiss. Nämlich „nur“ eine Konsultation der BAS, also keine Mitwirkung. Schröpel erklärte: „Wir hielten Beteiligung unter Corona-Bedingungen nicht für durchführbar. Ich kenne kein Online-Format, das in der Lage ist, 200 Bürger – und damit müssen wir rechnen – mit einzubeziehen.“
Es war ein Kompromiss, der von einigen als faul wahrgenommen wurde, weil es nicht dem entsprach, was die BAS gefordert hatte, nämlich Mitwirkung. Zudem fehlt jegliche Zeitschiene. „Sowas Dahingerotzes“, nannte es Dorothee Jakobs-Krahnen (FGL). „So ein Durcheinander“, schimpfte Susanne Heiß (Freie Wähler).
Christiane Kreitmeier (FGL) sagte: „Wir haben die Hürden für die Beteiligung relativ hoch gestellt, und die BAS hat sie mit über 400 Unterschriften locker übersprungen. Es geht darum, ernsthaft zu zeigen, dass wir das, was wir lange erarbeitet haben, nämlich diese Leitlinien für Bürgerengagement, auch einhalten!“
„Nicht durch die Hintertür!“
Anke Schwede (Linke Liste) sah es ähnlich: „Nun können wir zeigen, dass wir Bürgerbeteiligung wirklich ernst nehmen. Wir werden dem Beschlussvorschlag so nicht zustimmen: Wir wollen eine Mitwirkung, Stufe 3 – und nicht Stufe 2, Konsultation, durch die Hintertür.“
Die Appelle wirkten. Am Ende der Debatte änderte die Verwaltung ihren Vorschlag. Abgestimmt wurde nun über eine Mitwirkung der BAS, die höchste Form der Beteiligung. Alle stimmten zu, auch CDU, SPD und FDP. Jedoch nicht, ohne nochmals zu erwähnen, dass dies den Ablauf des Bauprojekts bloß nicht verlängern dürfe.
Noch lange nicht am Ziel
Der BAS sind diese Stimmen ein Dorn im Auge. Vorsitzender Sven Martin findet es „befremdlich“, wenn betont werde, über die Bebauung sei schon entschieden. Gemeinderatsbeschluss hin oder her. „Wenn von Anfang an gesagt wird, es braucht 250 Wohnungen mit Holzfassade, dann sehe ich nicht den Spielraum für Mitwirkung.“ Ziel sei es, mit den Planern auf Augenhöhe zu arbeiten. Also nein, ein Sieg sei der Beschluss nicht. „Ein erster Schritt.“