„Der Marek ist so ein sympathischer Kerl. Einfach Gold wert“, sagt Florian Fuchs. Da gebe es diese Geschichte von vor fünf Jahren. Als sie Marek Mielewczyk vom Äpfel- und Beerenpflücker zum Vorarbeiter des Familienbetriebs Fuchshof befördern wollten. Vom Feld hatten sie ihn geholt. Im Besprechungsraum wartete mit Junior-Chef Florian schon die Dolmetscherin, weil Marek nicht so gut deutsch spricht und Familie Fuchs nur wenig polnisch.
Marek befürchtete das Schlimmste
Marek jedenfalls habe ängstlich dreingeschaut. „Er dachte, wir wollten ihn rausschmeißen“, sagt Florian Fuchs und lacht. So sei Marek: bescheiden, einer, der sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern einfach anpackt. Und loyal. Deshalb sei er auch 2020 nach Dingelsdorf gekommen, Corona hin oder her.
Es ist ein Vormittag im Mai, 18 Grad Celsius und blauer Himmel – perfektes Ernte-Wetter. Florian Fuchs steigt am Feldrand vom tuckernden Quad. Er hält inne und blickt auf einen Hektar voller frischer, saftiger Erdbeeren. Es riecht nach warmer Erde. Der Junior-Chef bückt sich, zupft eine ab und stellt die Diagnose: Verbrannt. Der Rücken der Beere ist uneben, hell und leicht bräunlich.
Reif sind die Früchte zehn Tage früher als sonst. Bei Erdbeeren eine Welt. Das ist das einzige größere Problem. Im landwirtschaftlichen Bereich rechnet der Familienbetrieb mit einer guten Ernte und ebenso gutem Umsatz.
Stimmt da was nicht?
Moment! Verfaulte Erdbeeren, Umsätze im Keller und infizierte Erntehelfer– ist nicht das der Stoff, aus dem die Geschichten über deutsche Obst- und Gemüsebauern im Corona-Jahr 2020 gemacht sind? Betriebe in ganz Deutschland klagen, dass Erntehelfer aus dem Ausland fehlen, weil die Grenzen dicht sind.
Obstbauern warten auf Charterflüge mit Erntehelfern
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat im April und Mai Helfer vor allem aus Rumänien einfliegen lassen. Der Zentralverband Gartenbau fordert die Agrarminister der Länder dringend auf, „die Versorgung mit Saisonarbeitskräften auch für den Juni sicherzustellen“.
Auf dem Fuchshof sind die polnischen Mitarbeiter schon da
Auf dem Fuchshof jedoch sind 23 polnische Helfer bereits vor Ort, neun Saisonarbeiter werden noch erwartet. Wobei: Das Wort Saisonarbeiter mag Florian Fuchs nicht. „Das sind unsere Mitarbeiter, sie gehören zu uns, viele seit Jahrzehnten“, sagt er.
Er ist 35 Jahre alt und mit seinen gemächlichen Gesten und dem freundlichen runden Gesicht unter der praktischen Kurzhaarfrisur die Anti-These zum Erntehelfer herumscheuchenden Gutsherren. Seine Mitarbeiter, erklärt er, hätten mit denen, die Seehofer einfliegen lies, nichts zu tun. Sie seien als EU-Bürger mit Arbeitsvertrag über den Landweg eingereist. Polen hat die Grenze zu Deutschland zwar geschlossen, auch Ausreisen dürfen die Bürger nur mit triftigem Grund. Saisonarbeit zählt dazu.
Vom Erdbeerfeld her nähert sich jetzt eine Frau mit weißem Anglerhut, sie schleppt eine grüne Kiste mit frischer Ernte. Zehn Schälchen Erdbeeren, insgesamt fünf Kilogramm. „Das ist Irena, eine unserer besten Pflückerinnen“, sagt Fuchs so laut, dass Irena Kuzma es hört. Sie schafft 15 bis 20 Kilo die Stunde, ab zehn ist es für den Betrieb rentabel. Sie lächelt und strafft stolz die Schultern.
Polnische Mitarbeiter fühlen sich auf dem Fuchshof wohl
Dass die Bezahlung gut sei, wird sie später sagen. Sie wird auch sagen, dass sie sehr gerne auf dem Obsthof arbeitet. Um das Verhältnis zu den Arbeitgebern zu beschreiben, wählt sie genau ein Wort: „Familie“. Rund 2000 Euro netto bekommen Irena Kuzma und die anderen Arbeiter im Monat raus – da ist die Miete für die Unterkunft vor Ort schon abgezogen.
Die Polen, mit ihnen steht und fällt die Ernte – besonders in diesem Jahr. 2020 ist es ein Vorteil, dass Familie Fuchs nie auf die zeitweise günstigeren rumänischen Helfer umgestellt hat. In den 2000-ern stiegen Löhne und Lebensstandard in Polen. „Die Arbeiter wollten mehr Geld. Wir haben das gezahlt, wir wollten unsere Leute, die wir seit Jahren kennen“, sagt Florian Fuchs. Viele Großbetriebe aber setzten bevorzugt Rumänen auf den Feldern ein. Nicht nur des Geldes wegen.
Seitdem Polen die EU-Freizügigkeit genießt und polnische Staatsbürger im Ausland in der häuslichen Pflege oder auf dem Bau arbeiten können, wird es schwerer, sie für die Ernte zu begeistern. Fuchs: „Woanders verdient man besser und es ist nicht so anstrengend.“ 2014 zog Rumänien nach. Seither dürfen auch die rumänischen Bürger in Deutschland arbeiten, wo sie möchten. Saisonarbeitskräfte sind ein rares Gut geworden, nicht erst seit Corona. Doch Corona verschärft die Lage. Und könnte dem Fuchshof in diesem Jahr einen höheren Gewinn bescheren. „Weil die anderen ihre Erntehelfer nicht kriegen, ist die Nachfrage bei uns größer“, sagt Florian Fuchs.
Florian Fuchs will nicht pauschal urteilen
Der 23 Hektar große Familienbetrieb setzt auf Direktvermarktung und ist nicht abhängig von Supermarktpreisen. Wer auf dem Fuchshof arbeitet, bekommt mehr als den Mindestlohn. Es gibt Boni für besonders gute Pflücker, Wasser satt, Hygieneprodukte, einen Neunsitzer zur freien Verfügung. Florian Fuchs will die Großbetriebe, die nur den Mindestlohn zahlen, nicht pauschal verurteilen. „Der Preisdruck ist enorm! Wer für Discounter produziert, der kann keine großen Sperenzchen machen.“
Die geschlossenen Grenzen zu Rumänien oder Ungarn sind nur ein Grund für den akuten Erntehelfer-Mangel auf deutschen Obstbauernhöfen. Die Menschen aus Osteuropa haben Angst, sich in Deutschland mit dem Coronavirus anzustecken. Auf dem Hof um die Ecke, der ähnlich wie die Familie Fuchs arbeitet, sind zwei polnische Helfer einfach wieder heimgefahren. Andere reisten gar nicht erst an.
Die Angst, sich in Deutschland anzustecken, ist groß
Auch bei Familie Fuchs hagelte es Absagen.
„In Polen gilt Süddeutschland als Corona-Hotspot“, sagt Florian Fuchs. Vom Rande des Feldes tritt ein Mann heran. Er hat das wettergegerbte Gesicht eines Menschen, der viel im Freien arbeitet. Er trägt ein rotes Fuchshof-T-Shirt zu passender erdbeerroter Schildkappe. Es ist Vorarbeiter Marek Mielewczyk.
Hat Marek keine Angst vor einer Infektion mit Covid-19? Immerhin ist die Lage in Polen mit 425 Krankheitsfällen pro einer Million Einwohner unter dem weltweiten Schnitt von derzeit 537 Kranken. Und – zumindest, wenn man den offiziellen Zahlen Glauben schenkt – deutlich sicherer als Deutschland. In der Bundesrepublik kommen 2035 Infizierten auf eine Million Bürger. Betrachtet man nur Baden-Württemberg, steigt diese Zahl gar auf 3026.
Marek ist da, Josef nicht
Der 49-Jährige schüttelt den Kopf, zeigt auf sich: „Ich no Problem.“ Andere schon. Josef zum Beispiel. Ein Rentner. Fünfmal, sagt Florian Fuchs, habe Josef hin- und herüberlegt. Sagte zu, sagte ab, sagte zu. Das endgültige Nein erreichte Familie Fuchs über eine Botin, Josefs Tochter. Josef selbst, vermutet Obstbauer Florian Fuchs, hat sich nicht getraut.
Leute kommen auch aus Pflichtgefühl
„Die Leute bei uns kommen auch, weil sie sich verpflichtet fühlen“, ist sich der Junior-Chef sicher. Das Prinzip Familie. Besonders beliebt bei den Arbeitern ist Heinrich Fuchs, das hört man überall auf dem Hof. Er wisse, was in den Familien so los sei, er habe immer ein gutes Wort für sie und einige schon in Polen besucht. Er ließ hier für sie im Jahr 2012 den Anbau statt der Wohn-Container bauen. In diese Fußstapfen treten die Söhne Florian und Benny Fuchs.
Die Arbeiter rekrutierten sich über die Jahre selbst. Mundpropaganda. Sie brachten Verwandte und Freunde mit auf den Fuchshof. Aus einem loyalen Stamm von 70 Mitarbeitern konnten die Dingelsdorfer Obstbauern bisher wählen. Doch: „In diesem Jahr haben viele der Guten abgesagt“, sagt Fuchs. Aber Marek und Co. rührten die Werbetrommel in Polen, sodass am Ende fast so viele Helfer wie sonst bereitstanden. Dazu acht Deutsche, die sich wegen der aktuellen Gehaltseinbußen etwas dazuverdienen wollen und aus 50 Bewerbern ausgewählt wurden: „Die Deutschen nehmen wir nur, wenn wir darauf angewiesen sind.“ Die langjährigen Mitarbeiter hätten Vorrang, außerdem seien die Deutschen langsamer.
Nun lernt Marek Mielewczky die deutschen Helfer an. „Zwei Tage reden, dann ist gut“, sagt er. In Polen lebt er bei Danzig auf dem Dorf. Sieben Monate im Jahr verbringt er auf dem Fuchshof, länger als zu Hause. Der Hof, die Fuchs‚, Florian, Benny und Heinrich, seien wie eine „zweite Familie“. Er lächelt und sieht dabei dennoch ein wenig traurig aus. Es gibt ein Foto von ihm aus dem Jahr 2018, als der SÜDKURIER 24 Stunden auf dem Fuchshof verbrachte. Auf dem Bild hat er den Arm um seine Frau gelegt und lacht ganz anders. Sorgenfrei, so als habe unter seinem Herzen die ganze Welt Platz. Von den sieben Monaten, die Marek pro Jahr in Dingelsdorf ist, ist Ehefrau Donata mindestens vier Wochen an seiner Seite. Diese Saison wahrscheinlich nicht.
„Marek trägt das Herz nicht auf der Zunge“, wird Florian Fuchs später sagen, als er auf dem Hof herumführt. „Seine Mutter ist wohl schwer krank, und Donata pflegt sie.“
Was dem Junior-Chef Angst macht
Was macht ihm eigentlich Angst? Er macht jetzt vor dem Anbau Halt, in dem die polnischen Arbeiter leben. Wegen Corona nur 17 statt 32, aufgeteilt in zwei Gruppen,die sich nicht vermischen sollen. Mit jeweils einer eigenen Küche, einem Sanitärbereich, einem Aufenthaltsraum.
Zusätzlich hat Familie Fuchs Wohnungen auf dem Nachbarhof gemietet und zwei eigentlich noch im Rohbau befindliche Anliegerwohnungen im Rekordtempo fertiggestellt. „Dort kann zur Not ein Krankenzimmer eingerichtet werden“, sagt Florian Fuchs. Irena Kuzma wurde ausgewählt, ab Nachmittags alles zu desinfizieren, sie ist die Hygiene-Beauftragte. „Marek wollte sie erst gar nicht hergeben, weil sie seine beste Pflückerin ist“, sagt Florian Fuchs. Aber sie sei nun mal auch die reinlichste Putzerin, sogar in ihrer Freizeit sei sie beim Kehren des Aufenthaltsraums beobachtet worden.
Fuchs‚ größte Angst sei ein Coronafall auf dem Hof, sagt er. „Das wäre der Super-Gau.“ Aber nein, er schüttelt den Kopf, alle wirken gesund.
Ist er denn zufrieden mit dem Abstand, den die Arbeiter zueinander halten? „Marek hat das im Griff. Selbst wenn sie einen Ticken weniger nah beieinander sein könnten, wer bin ich denn, das einzufordern? Die Wohnungen hier haben sie angemietet, es sind ihre Privaträume. Und sie kennen die Vorschriften sehr gut.“
Wie die Feldwebel zur Kontrolle zu rufen – das ist nicht der Stil von Familie Fuchs. Außerdem: „Ich bin mir sicher, wenn Marek merkt, dass sich einer krank fühlt, sagt er es uns.“
Bald soll es einen Coronatest für alle geben. „Zu unserer Absicherung.“ Ob sie ihn machen, entscheiden die Mitarbeiter selbst.