Herr Reuter, die Stadtwerke haben dieser Tage Post an diverse Unternehmen verschickt. Der Inhalt: Bei einem Stopp des Gasimports aus Russland müssen die Firmen mit Einschränkungen bei der Energieversorgung rechnen. Wer genau wäre davon betroffen?
Norbert Reuter: Generell wird unterschieden zwischen geschützten und ungeschützten Kunden. Ganz grob lässt sich sagen, dass die privaten Haushalte oder öffentliche Einrichtungen wie Kliniken, Altenpflegeheime oder die Polizei zu den geschützten Kunden zählen. Hier bleibt es bei Engpässen also erst einmal bei der normalen Versorgung. Als ungeschützt gelten dagegen Abnehmer aus der Wirtschaft, aber zum Beispiel auch die Uni. Die Hochschule ist übrigens der größte Abnehmer von Gas in Konstanz.

Michael Müller: Die Unterscheidung ist allerdings nicht immer einfach. Wie beispielsweise stuft man eine Wäscherei ein, die im Auftrag des Krankenhauses die Reinigung übernimmt? Muss man diese im Zweifel auch schon zum geschützten Kundenkreis zählen? Solche und ähnliche Fragestellungen werden aktuell auch in den Verbänden mit den Behörden bundesweit diskutiert.
Wie groß sind die Gas-Anteile bei den geschützten und ungeschützten Kunden in Konstanz?
Michael Müller: Das lässt sich so einfach nicht sagen und hängt vor allem von der Außentemperatur ab. Bei einer Minustemperatur von 5 Grad ergibt sich für die Stadtwerke ein Bedarf von bis zu 6,5 Millionen Kilowattstunden am Tag, bei 20 Grad sinkt er auf etwa eine Million. Der Anteil der ungeschützten Kunden ist dabei unabhängig von der Außentemperatur relativ konstant und bewegt sich während des gesamten Jahres unter einer Million Kilowattstunden.
Das heißt, dass in Konstanz im Grunde bei den ungeschützten Kunden und insbesondere der Wirtschaft relativ wenig bei der Energieeinsparung zu holen ist, sondern der Verbrauch vor allem im privaten beziehungsweise geschützten Bereich liegt?
Norbert Reuter: Ja.
In anderen Städten wie zum Beispiel in Singen mit seinem hohen Anteil an Unternehmen sieht die Verteilung anders aus?
Norbert Reuter: Davon ist auszugehen.
Ist das jetzt gut oder schlecht aus Konstanzer Sicht?
Norbert Reuter (zögert): Also wenn man will, kann man das als eher gut für Konstanz bezeichnen. Denn da der geschützte Bereich hier relativ groß ist, bekommt der Einzelne die Rationierung bei der Gasversorgung nicht so sehr zu spüren. Das aber ändert ja nichts an den explodierenden Preisen für Energie. Und die Auswirkungen von Unternehmen, die wegen eines Lieferstopps ihre Produktion zurückfahren oder sogar stilllegen müssten, bekommt natürlich auch jeder zu spüren.
Wann erreicht die Rechnung die Haushalte?
Norbert Reuter: Die bestehenden Verträge gelten und daran ändert sich nichts. Wenn die Verträge auslaufen, wird das Ganze auf der Basis des veränderten Markts neu berechnet. Wie das im Einzelfall aussehen wird, lässt sich nicht sagen, aber alles in allem halte ich eine Verdoppelung der Kosten für die Haushalte für realistisch.
Wozu raten Sie?
Norbert Reuter: Es geht in erster Linie darum, die Abhängigkeit vom Gas zu reduzieren – und das heißt, möglichst wenig Gas zu verbrauchen. Im Moment sind zwar genügend Reserven vorhanden, sodass wir in Deutschland selbst bei einer entsprechenden Sanktion gegenüber Russland bis in den Herbst wohl ganz gut über die Runden kämen. Die Frage ist, ob wir die Speicher bis dahin so voll bekommen, dass es im Winter möglichst lange reicht. Und darüber hinaus muss ein Umdenken stattfinden zu mehr Photovoltaik, Pelletheizungen – eben einfach Alternativen. Auch den Gesetzgeber sehe ich da in der Verantwortung. Die Regelungsfreiheit bei allem, was Energie bringt, könnte deutlich erweitert werden.

Michael Müller: Aber vorerst ist es nicht damit getan, dass anstelle der Gasheizung ein Elektroheizgerät angestellt wird. Die gesamte Energieversorgung greift so ineinander, dass dadurch eventuell die Stromnetze überlastet werden, weil sie hierfür nicht ausgelegt sind. So gesehen nützt es nichts, wenn ein Problem durch ein anderes ersetzt wird.
An den absehbar höheren Preisen ändert das aber kaum etwas. Was kann man tun?
Michael Müller: Ich habe den Eindruck, dass der Ernst der Lage bei den Leuten noch nicht angekommen ist. In Deutschland ist man die Versorgungssicherheit gewohnt, aber mit dem Krieg in der Ukraine droht ein abrupter Wandel.
Noch mal zur Preisentwicklung und den konkreten Ratschlägen. Sollte zum Beispiel beim Urlaub etwas kürzer getreten werden, damit gegen Ende des Jahres die Rechnung für die Energie bezahlt werden kann?
Norbert Reuter: Jedenfalls ist das kein schlechter Gedanke.
Und wenn jemand nicht zahlen kann? Drehen die Stadtwerke dann den Hahn ab?
Norbert Reuter: Es ist absehbar, dass wir beim Thema Abschaltung etwas machen müssen. Wir reagieren immer angemessen, das ist auch bisher nicht anders. Aber klar, wir rechnen mit einer Zunahme von Fällen, in denen die Menschen Probleme bekommen. Mit dem Entlastungspaket der Bundesregierung ist es nach unsrer Einschätzung nicht getan. Wir gehen von einem erhöhten Beratungsbedarf aus und fordern unsere Kunden gleichzeitig auf, diese Angebote auch zu nutzen.
Wir haben bislang nur von der Energieversorgung, den Engpässen und die Folgen für die Kunden geredet. Nicht aber über die Befindlichkeiten der Geschäftsführung. Können Sie noch ruhig schlafen?
Norbert Reuter: Was gerade abläuft, erlebt man wirklich nicht alle Tage. Die Energieversorgung besteht zum großen Teil aus dem Tagesgeschäft, und wenn das Gas bei einem Verkaufspreis von 2 Cent pro Einheit für 14 Cent eingekauft werden muss, dann ist das ein Schlag ins Kontor. So ein Tag schlägt dann mit einem Minus 100.000 Euro zu Buche. Aber daran lässt sich auf die Schnelle eben auch nichts ändern.
Letzte Frage, die bis vor dem Krieg in der Ukraine in Konstanz sehr umstritten war: Die zweite Gasleitung – ist die Investition vom Tisch?
Norbert Reuter: Ich gehe nicht davon aus, dass wir diese zweite Einspeisung bauen müssen. Die gesetzlichen Verpflichtungen zu den Leistungskapazitäten bestehen zwar noch immer, allerdings konnten wir mit dem Vorlieferanten und der Regulierungsbehörde zwischenzeitlich Vereinbarungen treffen, die die Versorgungssicherheit weitgehend absichern. An zusätzlich erforderlichen Kundenvertragsregelungen arbeiten wir derzeit. Aber früher oder später kommt aus Russland kein Gas mehr, und das Thema dürfte sich auch unter der Maßgabe der neuen Bundesregierung zum Ausbau regenerativer Energien erledigt haben. Ich gehe zudem davon aus, dass dazu aus Berlin verstärkt wirtschaftliche Anreize geschaffen werden.
Herr Reuter, Herr Müller – haben Sie vielen Dank für das Gespräch.