Einen der berührendsten Momente seines Berufslebens als Gemeinschaftskunde- und Geschichtslehrer am Humboldt-Gymnasium erlebte Ulf Göpfrich im fernen Berlin: Als Begleiter mehrerer Oberstufenklassen wurden Lehrer und Schüler im Frühjahr 1990 Augenzeugen, als am Brandenburger Tor frühmorgens der Abbruch der Berliner Mauer begann.

In diesem Augenblick fühlte sich der überzeugte Pädagoge in seiner Mission bestätigt: Schülerinnen und Schülern ein Berufsleben lang den besonderen Geschmack der Freiheit und die Liebe zum Rechtsstaat näherzubringen.

Vom SÜDKURIER einmal befragt, weshalb er Lehrer geworden sei, antwortete Göpfrich: „Weil wir in Deutschland ein Defizit an Zivilcourage haben.“ Seine Frau Anni, über deren frühen Verlust Göpfrich nie hinwegkam, ergänzte damals: „Du wolltest den Schülern Kritikfähigkeit beibringen.“ Dieser Tage ist Ulf Göpfrich 86-jährig in Konstanz gestorben.

Das könnte Sie auch interessieren

An dieser Tugend hat es dem langjährigen Stadtrat der Freien Wähler selbst nie gefehlt. Im Gemeinderat und auf der Verwaltungsbank gefürchtet waren seine bildungsbürgerlich grundierten Zwischenrufe. Wer historische Zusammenhänge nicht präsent hatte oder schiefe geschichtliche Vergleiche anstellte, bekam seinen donnernden Groll ebenso zu spüren, wie Verwaltungsmitarbeitende, die auf Göpfrichs Anfragen nur flaue Ausreden statt klarer Fakten präsentierten.

Er hatte als Kommunalpolitiker ein heute aus der Mode gekommenes Selbstverständnis: Ihm lagen Zustand und Sauberkeit von öffentlichen Gebäuden, Straßen und Gärten, der Erhalt des Friedhofs, die Würdigung historischer Denkmäler und die Erinnerung an bedeutende Daten der Stadtgeschichte oft etwas mehr am Herzen als visionäre Großprojekte in Glas und Stahl. Insofern war Göpfrich, der bis 2004 fast ein Vierteljahrhundert im Gemeinderat wirkte, ein Konservativer.

Das könnte Sie auch interessieren

Doch ging es um die europäische Einigungsidee, um das deutsche Bemühen um Aussöhnung mit den von Deutschland ab 1939 überfallenen Ländern, war er ein progressiver Europäer. Als einer der Ersten fuhr er schon 1983 mit einer Schulklasse in die damalige Tschechoslowakei und nach Tabor, um persönliche Kontakte zu knüpfen.

Schülerinnen und Schüler hielt er streng dazu an, sich einzumischen. Sie sollten viel lesen, ihre Muttersprache gut beherrschen, sicher schreiben und sprechen können. Seine Klassen führte er in die Kämmerei, zur Kläranlage, oder er lud die damals noch frisch amtierende „Frauenbeauftragte“ ein.

Das könnte Sie auch interessieren

Hier zeigte sich der Konservative als liberaler Verfechter einer Demokratie, die von informierten Bürgerinnen und Bürgern mitgestaltet werden muss, um zu überleben. Als er 2004 aus dem Rat ausschied, wurde dem verdienten Demokraten denn auch der Ehrenring der Stadt verliehen.