Das Mitgefühl mit den Menschen in der Ukraine ist überwältigend, und wie an den vergangenen Wochenenden ist an diesem Samstag erneut mit einer beeindruckenden Teilnehmerzahl bei einer um 15.30 Uhr auf dem Münsterplatz beginnenden Friedenskundgebung zu rechnen. Bereits vor 14 Tagen waren zwei Tage nach dem Überfall auf die Ukraine durch Putin-Russland etwa 1500 bis 2000 Menschen zu einer Demonstration auf den Münsterplatz gekommen, eine Woche später protestierten 3000 bis 3500 Menschen im Stadtgarten.
Nicht sichtbar, aber deswegen nicht weniger beeindruckend sind die Aktivitäten im Hintergrund. Bürgermeister Andreas Osner, zuständig für die Bereiche Soziales, Kultur und Sport, gab im Rahmen einer Ausschusssitzung des Gemeinderats einen Einblick, was sich derzeit im Rathaus abspielt. Demnach gibt es kein Halten mehr, die Mitarbeiter schieben Überstunden ohne Ende und trotzdem gibt es kein Klagen. Dabei geht es neben Hilfen für die Flüchtlinge um die Unterstützung von Konstanzern, die sich auf privater Basis engagieren wollen.
Laut Andreas Osner ändert sich die Situation fast im Stundentakt. Am Donnerstag, 11 Uhr, zog er deshalb einen Strich und stellte die Lage der Dinge zu dieser Stunde fest, um am Abend den Stadträten einen Eindruck vom Krisenmanagement vermitteln zu können. Die Zahl der registrierten Kriegsflüchtlinge belief sich zum besagten Zeitpunkt auf 67, tatsächlich sei aber von zwei bis drei Mal so vielen Menschen auszugehen. Die meisten sind nach seiner Einschätzung bei Verwandten, Freunden oder Bekannten unterkommen. Von den 67 Flüchtlingen, die bei Stadtverwaltung registriert wurden, konnten 49 in privaten Wohnungen untergebracht werden.

Bei der Schilderung in der Ausschusssitzung erlebten die Stadträte einen sichtlich bewegten Bürgermeister, der gar nicht zu wissen schien, wohin mit seinem Lob und seiner Anerkennung. Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung zeige sich in „tollen Angeboten“ und die Mitarbeiter in der Stadtverwaltung leisteten Unglaubliches angesichts der „wahnsinnigen Dynamik“. Die Leistung von Privatpersonen, Mitarbeitern von Hilfsorganisationen und der Stadtverwaltung sieht er dabei längst nicht nur beim zeitlichen und organisatorischen Aufwand, die Folgen des Kriegs seien zugleich eine emotionale Belastung. Das Grauen packe die Menschen allein durch die Verzweiflung der Flüchtlinge, aber auch durch die Flut an Nachrichten und Bildern auf allen Kanälen.
Nach Einschätzung von Andreas Osner benötigen die Flüchtlinge jetzt vor allem Ruhe, medizinische Versorgung und psychologische Betreuung – wobei Letztere nicht unbedingt professionell sein müsse. Es gehe um den sensiblen Umgang mit vielfach entkräfteten und kranken Menschen, wobei sich die hilfsbereiten Konstanzer selbst der Gefahr der Überforderung aussetzen könnten. Nach Ansicht des Bürgermeisters werde man über kurz oder lang um die Organisation der Hilfen nicht herumkommen, weshalb er zum Beispiel um Meldung auch der Flüchtlinge bittet, die privat untergekommen sind. Das sei notwendig, um eine allgemeine Infrastruktur etwa für die Kinderbetreuung oder Sprachkurse vorzubereiten.
Warnung vor einem Blindflug
Andernfalls befürchtet Andreas Osner einen „Blindflug, bei dem wir viele Menschen verlieren“. Um das zu vermeiden, sollte bei Bedarf beziehungsweise bei Mangel an örtlichen Unterbringungsmöglichkeiten vom Angebot der zentralen Unterbringung in Sigmaringen Gebrauch gemacht werden. Generell geht er davon aus, dass das derzeitige Engagement auf längere Sicht nicht ausreichen werde, um die Folgen des Krieges bewältigen zu können.

Oberbürgermeister Uli Burchardt teilt diese Einschätzung, er geht von einem mit der Zeit zäh werdenden Prozess aus. Im Moment jedoch kann und möchte er sich der Stimmung der außergewöhnlichen Solidarität nicht entziehen, die er zu einer Art Liebeserklärung an die Menschen in der Stadt machte. Die Hilfsbereitschaft für die traumatisierten Menschen aus der Ukraine, für die es nicht nur um eine Wohnung gehe, empfinde er als beruhigend und sei ein Zeichen für die Offenheit von Konstanz. „Das hat trotz des Krieges auch etwas Schönes“, so der OB.