Die Kundgebung als Zeichen gegen den Krieg in der Ukraine soll am Samstag um 19 Uhr beginnen, 20 Minuten zuvor allerdings droht auf den Stufen zum Portal des Konstanzer Münsters die Eskalation eines verbalen Streits. Um was es geht, lässt sich nicht eindeutig feststellen, da die Kontrahenten in russischer beziehungsweise ukrainischer Sprache aneinander geraten.

Was zu sehen ist: Ein Mann, schätzungsweise 50 bis 60 Jahre alt, spricht die jungen Ukrainer an, die die Vorbereitungen für die Demonstration treffen. Wenig später sieht es ganz danach aus, als würde der Streit in Handgreiflichkeiten ausarten. Eine junge Ukrainerin zittert am ganzen Leib, eine andere schreit den Mann an. Der grinst und sagt etwas, was die Gruppe der Ukrainer noch mehr in Rage bringt.

Verzweiflung: Ukrainerinnen bei der Demo auf dem Konstanzer Münsterplatz.
Verzweiflung: Ukrainerinnen bei der Demo auf dem Konstanzer Münsterplatz. | Bild: Hanser, Oliver

Einer von ihnen bleibt cool. Auch er ist sichtbar emotional aufgebracht, aber noch kontrolliert genug, um die Kontrahenten auseinanderzubringen. Die Frauen drängt er mit Worten und mit dem rechten Arm ab, dem Mann hält er mit ausgestrecktem Arm und erhobener Hand auf Distanz. Er hat Erfolg. Der ältere Mann sagt noch etwas, dann schleicht er sich und verschwindet in dem sich peu à peu mit Menschen füllenden Platz.

Was ist passiert? Auf Nachfrage erklären sich die jungen Ukrainer. Der Mann habe sich auf Russisch höhnisch über die geplante Kundgebung ausgelassen und Wladimir Putin als Held bezeichnet.

Eine Rede, die unter die Haut geht

Eine 26-jährige Ukrainerin wird etwa eine Stunde später in einer unter die Haut gehenden Rede vor 1500 bis 2000 Teilnehmern der Demonstration sagen, worin dieses Heldentum besteht. Ihre Familie bangt ums Leben, ihr Vater verteidigt Kiew. Anastasia Azarenko – so heißt die 26-Jährige – weiß seit dem mit ihm am Donnerstag, 24. Februar, in der Früh geführten Telefonat nicht, ob er noch lebt.

Solidaritätsbekundung in Konstanz Video: Hanser, Oliver

Es gibt eine Reihe weiterer Redebeiträge, zum Beispiel den von Andrei Gorchkov. Auch er ringt um jedes Wort, äußert sich gleichwohl mit erstaunlicher Klarsicht. Er kommt aus der Ukraine, verständigt sich mit seinen Landsleuten aber auf russisch. Er brauche keine Hilfe von Wladimir Putin, weil die Ukraine offen für alle Menschen sei.

Deshalb dankt er allen Russen, die sich gegen diesen Krieg zur Wehr setzen. Er gibt seine Absicht zur Rückkehr in die Ukraine bekannt, wo es nach seiner Darstellung nicht um einen Krieg zwischen Russland und der Ukraine geht, sondern um die Verteidigung von Frieden und Freiheit in ganz Europa. Dafür will er kämpfen.

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Diese Position deckt sich mit der von Andreas Jung. „Es gab und gibt keine Bedrohung Russlands durch die Ukraine“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete, „es gab und gibt allenfalls eine Bedrohung durch die Freiheit – und in diesem Konflikt können wir nicht neutral sein.“

Er dürfte damit der überwiegenden Zahl der Demonstrationsteilnehmer aus dem Herzen sprechen. Als während der Kundgebung bekannt wird, dass die Sanktionen gegen Putin-Russland durch den Ausschluss aus dem internationalen Zahlungsverkehr verschärft werden, gibt es lauten und langen Beifall.

Andreas Jung, Bundestagsabgeordneter der CDU: „Es gab und gibt keine Bedrohung Russlands durch die Ukraine.“
Andreas Jung, Bundestagsabgeordneter der CDU: „Es gab und gibt keine Bedrohung Russlands durch die Ukraine.“ | Bild: Michael Kappeler

Für Alessia Invernizzi und Dirk Kirsten von Amnesty International handelt es sich mit Blick auf die Vorgeschichte wie etwa die Annektierung der Krim oder den Einmarsch in Georgien um einen längst überfälligen Schritt.

Wladimir Putin und seine Helfershelfer sind für sie Kriegsverbrecher, was sie mittels international geltenden Rechtsnormen an etlichen Beispielen darlegen. „Und Kriegsverbrecher gehören vor einen internationalen Strafgerichtshof“, sagt Dirk Kirsten.

Wut auf SPD-Genosse Gerhard Schröder

Wie aber geht man mit einem Freund und Unterstützer eines Kriegsverbrechers um? Konkret: Was macht man mit Gerhard Schröder? Lina Seitzl, Bundestagsabgeordnete der SPD, nimmt ebenfalls an der Kundgebung auf dem Münsterplatz teil und ist „richtig sauer“ auf den Obergenossen. „Beim Kriegsausbruch am Donnerstag hat Gerhard Schröder die letzte Gelegenheit verpasst, um seine Ämter als Lobbyist von Putins Russland niederzulegen.“

Lina Seitzl, Bundestagsabgeordnete der SPD: „Ich bin richtig sauer auf Gerhard Schröder.“
Lina Seitzl, Bundestagsabgeordnete der SPD: „Ich bin richtig sauer auf Gerhard Schröder.“ | Bild: SPD