Catalina Lochow sitzt vor ihrem Mathebuch und soll bei f(x) die Funktionswerte berechnen. Ihr gegenüber beschäftigt sich Raffael Pelherbe mit Sinus und Cosinus. Beide sind froh, nicht allein im Raum zu sein: Mit all ihren Fragen wenden sie sich an Laura Redlich, Inhaberin der Konstanzer Matheschule.

„Hier bekomme ich noch mal eine andere Erklärung als in der Schule und sitze nicht mit 26 anderen im Zimmer“, sagt der 15-jährige Raffael, der bald am Marianum Hegne die Mittlere Reife ablegt. Catalina, 16-jährige Schülerin der Gemeinschaftsschule Gebhard, löst in der Matheschule vor allem komplexere Aufgaben, für die die Zeit in der Schule nicht reichte.

Alleine zu büffeln, finden einige Schüler schwer

Nachhilfe gewinnt durch die Schulschließungen im Frühjahr, lange Perioden des Fernlernens und verpassten Stoff an Bedeutung. So berichtet Laura Redlich: „Bei uns gab es nach dem Lockdown einen großen Einbruch bei Neuanmeldungen. Doch zum neuen Schuljahr zog die Nachfrage deutlich an, und zwar früher als sonst. Die Begründung war immer Corona.“ Nachhilfelehrerin Dunja Niedermüller bestätigt: „Viele meiner Schüler hatten im Frühling das Gefühl, beim Lernen allein gelassen zu werden.“

Biologin und Nachhilfelehrerin Dunja Niedermüller möchte Schülerinnen wie der 14-jährigen Philippa Zierold helfen.
Biologin und Nachhilfelehrerin Dunja Niedermüller möchte Schülerinnen wie der 14-jährigen Philippa Zierold helfen. | Bild: Kirsten Astor

Wie es während der Schulschließungen um den Nachhilfebedarf stand, erforschte eine Agentur im Auftrag der Schülerhilfe, eines der professionellen Nachhilfe-Institute. Dabei kam heraus: Rund jeder fünfte Schüler hatte während der Zeit des Fernlernens Nachhilfe, so viele wie auch vor dem Lockdown.

Allerdings veränderte sich die Art der Hilfe: Durch die Pandemie explodierte die Nutzung von Online-Angeboten. Am meisten zulegen konnten laut der Studie kostenlose Nachhilfevideos. Aber auch Online-Nachhilfe durch einen Lehrer gewann an Bedeutung, ebenso kostenpflichtige Lernsoftware mit Übungen sowie die Unterstützung innerhalb der Familie.

Zahlen und Fakten zur Nachhilfe

„Acht von zehn Eltern waren besorgt um die schulische Entwicklung ihres Kindes“, heißt es in der Studie. Und sie sind es immer noch. Dies bestätigt Claudia Schubärth-Pulla, Inhaberin der Konstanzer Schülerhilfe: „Viele Eltern und Großeltern sorgen sich und fragen uns um Rat“, sagt sie.

Vor allem Erklärvideos sind beliebt

Dass während des Lockdowns vor allem kostenlose Lernvideos beliebt waren, erstaunt Laura Redlich nicht. „Ich bin ein Fan von Youtube-Videos“, sagt sie. Allerdings könne dieses Format fast nichts davon bieten, was professionelle Nachhilfelehrer leisten: das Eingehen auf individuelle Schwierigkeiten, persönlichen Kontakt und eine Atmosphäre, in der die Schüler gerne lernen.

Ihr Fazit: „Grundsätzlich sind diese Videos für Schüler sinnvoll, die nur vereinzelt Fragen haben und ansonsten selbstständig lernen. Denjenigen, die in einem Fach große Probleme haben, hilft kein Erklärvideo. Da geht es oft um Panik vor dem Fach.“

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Ähnlich sieht es Dmitri Solodenko, Inhaber des Konstanzer Lernstudios Barbarossa: „Die professionelle Nachhilfe punktet mit Interaktivität.“ Außerdem erkenne der Nachhilfelehrer, ob ein Schüler ein visueller, auditiver, kommunikativer oder motorischer Lerntyp ist. Claudia Schubärth-Pulla bringt es so auf den Punkt: „Es steht ein individueller Mensch im Mittelpunkt, und der braucht auch beim Lernen Sozialkontakt.“

Nicht jeder kann sich Nachhilfe leisten

Doch die individuelle Förderung hat ihren Preis. Auch vor Corona konnten sich nicht alle Familien Nachhilfe leisten. Die Pandemie verstärkt diesen Effekt offenbar. So berichtet Laura Redlich: „Aktuelle Verträge liefen nach dem Lockdown weiter, wurden aber zum Teil monatsweise stillgelegt, weil die Familien keinen Bedarf sahen oder sich die Nachhilfe nicht mehr leisten konnten.“

Dmitri Solodenko stellt sogar im aktuellen Schuljahr fest, dass die Familien sich zurückhalten. „Vielleicht liegt es daran, dass die Gegenwart allgemein von Unsicherheit geprägt ist. Viele Familien haben durch die Kurzarbeit weniger Geld und auf der anderen Seite eventuell mehr Zeit, um die Kinder beim Lernen zu unterstützen“, vermutet er. Biologin Dunja Niedermüller bedauert: „Ich kann allein keine Bildungsgerechtigkeit herstellen. Ich kann nur Einzelnen anbieten, mit meiner Kompetenz zu helfen.“

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Laura Redlich findet es sogar „entsetzlich, dass ich als privates Unternehmen Privatmenschen Geld für Bildung berechnen muss“. Die 31-Jährige absolviert derzeit einen Master „Integrative Lerntherapie“. So kann sie künftig Schüler mit Lernschwächen unterstützen, die eine Therapie bei ihr von der Krankenkasse bezahlt bekommen.