An die Bluttat, die vor rund einem halben Jahrhundert die Bevölkerung weit über die Konstanzer Stadtgrenzen hinaus schockierte, erinnert seit dem Frühjahr 2021 eine Gedenktafel. Was passierte damals auf dem Konstanzer Blätzleplatz? Eine Rekonstruktion der Ereignisse anhand der Berichterstattung von damals.

Der Tatort. Der Blätzleplatz liegt direkt neben dem Konstanzer Karstadt (damals noch Hertie). Es war ein beliebter Treffpunkt.
Der Tatort. Der Blätzleplatz liegt direkt neben dem Konstanzer Karstadt (damals noch Hertie). Es war ein beliebter Treffpunkt. | Bild: Lukas Ondreka

Der Mann, der am 29. August 1970 zum Täter wurde, hatte sich angeblich seit Längerem darüber geärgert, dass der Platz zu einem Treffpunkt von Leuten geworden war, die damals verächtlich als „Gammler“ und „Hippies“ bezeichnet wurden. Durch die deutsche Presse wurde die Tat als „Gammlermord“ bekannt, wobei der 17-jährige Katschker nicht diesem Milieu zuzuordnen war.

Wie der SÜDKURIER im Jahr 1970 berichtete

An jenem Samstagabend beschloss der damals 38-jährige Täter, die jungen Leute zu verjagen. Beim späteren Verhör gab er zu Protokoll, er habe ihnen nur drohen wollen. Als er diesen Entschluss fasste, soll der Mann alkoholisiert gewesen sein. Zwischen 16 und 18 Uhr wurde der Mann in einer Gaststätte gesehen, wo er etwa eineinhalb Liter Rotwein getrunken habe, wie dem Artikel aus dem Jahr 1970 zu entnehmen ist.

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Danach ging er zurück zu seiner Wohnung, von deren Fenster aus er auf die Gruppe junger Leute, die sich immer wieder auf dem Blätzleplatz versammelte, herabblickte. Den geladenen „Hasentöter“ trug der 38-Jährige laut eigener Aussage bereits seit dem Nachmittag bei sich. Bei der späteren Vernehmung gab der Täter an, er habe am Samstagnachmittag bei Bekannten Hasen töten wollen.

Die Tatwaffe. Der sogenannte „Hasentöter“ ist nur 20 Zentimeter groß. Die Aufnahme von 1970 zeigt das Bolzenschussgerät im ...
Die Tatwaffe. Der sogenannte „Hasentöter“ ist nur 20 Zentimeter groß. Die Aufnahme von 1970 zeigt das Bolzenschussgerät im Vergleich mit einer Zigarette. | Bild: SK-Archiv

Mit dem Bolzenschussgerät in der Jackentasche verließ der Mann seine Wohnung. „Unheil ahnend folgte der zehnjährige Sohn dem Vater zum Blätzleplatz. Bei den Jugendlichen angekommen, flehte der Zehnjährige seinen Vater an, doch von den Jugendlichen abzulassen“, ist in dem Artikel von 1970 zu lesen, den der damalige Leiter der Konstanzer Lokalredaktion, Günter Oberst, verfasste.

„Ich bin von der Bürgerwehr und zähle bis drei...“

Mit dem geladenen „Hasentöter“ in der Hand näherte sich der Konstanzer den jungen Leuten. Im Artikel heißt es weiter: „Das Kind wandte sich in seiner Angst an die bedrohten Jugendlichen, zu denen es sagte: ‚Seid bitte so gut und geht von der Bank.‘ Auf die Bitten des Knaben hin rutschten die jungen Männer von den Lehnen der Bank.“

Bild 3: Die Bluttat vom Konstanzer Blätzleplatz: Am 29. August 1970 starb Martin Katschker durch ein Bolzenschussgerät
Bild: SK-Archiv

Mit den Worten „Ich bin von der Bürgerwehr und zähle bis drei, dann seid ihr verschwunden oder es passiert etwas!“ stoppte der Täter vor Martin Katschker und hielt ihm den Hasentöter auf die Brust. Laut Zeugenaussagen habe der Vater des Jungen dann gezählt. Eins, zwei, ... Der Bolzen traf den Auszubildenden auf Höhe des Herzens. Tatzeitpunkt 19.10 Uhr.

Martin Katschker. Am Samstagmittag war der 17-Jährige noch bei seiner Arbeit in einer Kreuzlinger Tankstelle. Danach traf er sich mit ...
Martin Katschker. Am Samstagmittag war der 17-Jährige noch bei seiner Arbeit in einer Kreuzlinger Tankstelle. Danach traf er sich mit Freunden. | Bild: SK-Archiv

„Unmittelbar nach dem Schuss, der – wie Zeugen sagten – ‚nicht sehr laut geknallt‘ habe, ist Katschker zusammengesunken, ohne etwas gesagt zu haben. Der Tod muss eingetreten sein, noch bevor der Getroffene ins Krankenhaus gebracht worden war.“ Das steht im SÜDKURIER-Bericht vom 31. August 1970.

Augenzeugen überwältigen den Täter

Kurz nachdem Katschker zusammenbrach, kam es am Blätzleplatz zu tumultartigen Szenen. Die jungen Konstanzer, die alles gesehen hatten, Freunde und Bekannte des Jugendlichen, überwältigten den Schützen, rangen ihn zu Boden und schlugen auf ihn ein. Als die Polizei eintraf, habe der Täter blutüberströmt neben seinem Opfer auf dem Boden gelegen.

Der Täter. Erkennbar gezeichnet vom Tumult nach dem tödlichen Schuss. Die Aufnahme stammt vom Abend des 29. August 1970.
Der Täter. Erkennbar gezeichnet vom Tumult nach dem tödlichen Schuss. Die Aufnahme stammt vom Abend des 29. August 1970. | Bild: SK-Archiv

Das 17-jährige Opfer trug wie auch die anderen in seiner Umgebung weder Merkmale von „Hippies“ noch „Gammlern“, nicht einmal besonders lange Haare. Dass der Schütze sich als Mitglied einer Bürgerwehr ausgab, lenkte die öffentliche Aufmerksamkeit auf die politischen Auseinandersetzungen in der Stadt, wie mit den Jugendlichen umzugehen sei.

Freunde von Martin Katschker. Viele junge Leute trauerten kurz nach der Tat auf dem Blätzeplatz um den getöteten 17-Jährigen.
Freunde von Martin Katschker. Viele junge Leute trauerten kurz nach der Tat auf dem Blätzeplatz um den getöteten 17-Jährigen. | Bild: SK-Archiv

Wie man sich auch bei der Linken Liste erinnert, galt damals vor allem der NPD-Mann Walter Eyermann als Scharfmacher eines Teils der Konstanzer Bürgerschaft gegen die jungen Leute. Er hatte den Angaben zufolge gegen „Gammler“ und „asoziales Gesindel“ gehetzt und sogar angeboten, „Säuberungsaktionen“ selbst durchzuführen. Dafür würden sich sofort 40 Bürger der Stadt finden.

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Am Morgen nach dem Tod von Katschker äußerte sich auch der damalige Oberbürgermeister. Im Artikel von 1970 heißt es: „Dr. Helmle äußerte seine Empörung über die Bluttat, die vor dem Hintergrund mangelhafter Toleranz gegenüber den Jugendlichen gesehen werden müsse. Eine ‚Konstanzer Bürgerwehr‘ existiere nicht.“

So kommentierte Günter Oberst, der damalige Leiter der Konstanzer Lokalredaktion, die Bluttat vom Blätzleplatz.
So kommentierte Günter Oberst, der damalige Leiter der Konstanzer Lokalredaktion, die Bluttat vom Blätzleplatz. | Bild: SK-Archiv

Das Konstanzer Landgericht verurteilte den Täter schließlich am 20. März 1972 zu drei Jahren Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung. Der Angeklagte hatte sich darauf berufen, es habe sich um eine Art Unfall gehandelt, ausgelöst durch seinen Sohn, der ihn am Ärmel gezogen habe.