Für einen Neujahrsempfang ist es eigentlich zu spät im Jahr, für die Bundestagswahl ist die letzte Runde im Kampf um Stimmen eingeläutet, für die Landtagswahl ist es noch zu früh, um Stimmen zu werben. So richtig passt bei diesem Termin in Konstanz nichts zusammen – und passt deshalb gerade in eine politisch-emotional aufgeladene Zeit.

Gemeinsam haben der CDU-Stadt- und Kreisverband den Empfang im Hedicke‘s Terracotta in Konstanz organisiert, der mit zwei Protagonisten aufwartet: Andreas Jung, der nach Wunsch der CDU bei der Bundestagswahl am 23. Februar das Direktmandat holen soll, und Manuel Hagel, der Spitzenkandidat der CDU für die Landtagswahl in Baden-Württemberg im Jahr 2026.

Neujahrsempfänge sind heimelige Veranstaltungen, geeignet, die eigenen Mitglieder aufs neue Jahr einzustimmen, einen hoffnungsvollen Blick auf die Aufgaben, die im noch fast unberührten Kalenderjahr auf alle warten, zu richten. Eine gemächliche Herangehensweise aber kann sich die wahlkämpfende CDU nicht leisten, nicht mehr jetzt, auch nicht im äußersten südlichen Zipfel der Republik.

Jung gibt sich in seiner Rede kämpferisch

Das weiß Andreas Jung. Und so arbeitet er sich an den Themen ab, die für Land und Wahlkreis relevant sind: Es geht ihm um die B33, bei der der Lückenschluss erfolgen müsse, um die Gäubahn – der Kreis Konstanz dürfe nicht von der Landeshauptstadt Stuttgart abgehängt werden. „Es ist inakzeptabel, dass es über viele Jahre eine Kappung geben soll und wir keine direkte Verbindung nach Stuttgart mehr haben.“

Engagiert und kämpferisch: Andreas Jung bei seiner Rede beim Neujahrsempfang der CDU in Konstanz
Engagiert und kämpferisch: Andreas Jung bei seiner Rede beim Neujahrsempfang der CDU in Konstanz | Bild: Hanser, Oliver

Ohne nennenswerten Übergang geht Jung über zum Wasserstoffnetz, das er als „Infrastruktur der Zukunft“ bezeichnet. Auch dabei sieht Jung den Süden gegenüber dem Norden benachteiligt, das Netz sei im Norden engmaschig geplant, habe in Niedersachsen viermal so viele Leitungen wie im Süden. „Das werden wir nicht akzeptieren“, sagt Jung kämpferisch, schließlich handele es sich um die Lebensadern der Zukunft.

Vor eigenem Publikum könnte der Bundestagsabgeordnete auch weniger Kampfgeist zeigen, hier muss er kaum jemanden überzeugen, die meisten der etwa 150 Zuhörer besitzen einen CDU-Mitgliedsausweis. Dennoch, diese Rede ist Wahlkampf und es geht längst nicht nur um Problemlösungen. Selten fällt in einer Rede Jungs so häufig das Wort „Mitte“, ist so oft von Demokratie die Rede.

Der Fanfarenzug der Blätzlebueben zieht in den Vortragssaal im Hedicke‘s Terracotta ein.
Der Fanfarenzug der Blätzlebueben zieht in den Vortragssaal im Hedicke‘s Terracotta ein. | Bild: Hanser, Oliver

Selten auch wäre es nötig gewesen, die eigene Teilnahme an einer Demo gegen Rechtsextremismus so explizit zu betonen. Aber Andreas Jung arbeitet sich jetzt an der AfD ab. Er warnt vor der Stigmatisierung von Migranten durch den AfD-Kandidaten, der pauschal behauptete, alle Muslime seien Antisemiten. Europa sei zu stärken, auch darin unterscheide sich die CDU von der AfD. „Deshalb müssen wir den Kurs der AfD klar bekämpfen.“

Es ist leicht erkennbar: Die Woche, in der Spitzenkandidat Friedrich Merz seine Fraktion im Bundestag für seinen Fünf-Punkte-Plan und dann für einen Gesetzentwurf mit der AfD stimmen ließ, hat tiefe Spuren hinterlassen. Jetzt versucht die CDU aufzuräumen – zumindest hier im Süden. Und all das wirkt fast wie eine kleine Entschuldigung für den Sündenfall der Kooperation.

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Aufbruchstimmung beim Oberschwaben

Als Manuel Hagel ans Rednerpult tritt, ein drahtiger 37-Jähriger in dunkelblauem Anzug, wechselt die Tonlage. Von der Dramatik ins Heiter-Beschwingte. Der Oberschwabe, der die Sparsamkeit, die man seiner Herkunft nachsagt, gern bespöttelt, plaudert locker über alles Mögliche: Kommt von der Fasnacht und darüber, wo sie am schönsten ist (natürlich in Konstanz! Das mehrfache Kompliment kommt auch beim Fanfarenzug der Blätzlebuebe an, der den Abend musikalisch gestaltet), auf eine 100-Jährige zu sprechen.

Diese sei gerade neu in die CDU eingetreten und habe ihn am Telefon streng unter die Lupe genommen. Wird dann ernst und mahnt, dass man „mit der AfD nicht fingern“ dürfe. Um dann von einer historischen Anekdote zur nächsten zu gelangen, vom Gründungsvater der CDU, Andreas Hermes, zu erzählen, der beinahe von den Nazis ermordet worden wäre bis hin zu einer regional verorteten Geschichte von Graf Zeppelin.

Mal heiter, mal kämpferisch: Manuel Hagel, der das Amt des Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg anstrebt, ist beim Neujahrsempfang ...
Mal heiter, mal kämpferisch: Manuel Hagel, der das Amt des Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg anstrebt, ist beim Neujahrsempfang in Konstanz, um den Wahlkampf seines Parteifreunds Andreas Jung zu unterstützen. | Bild: Hanser, Oliver

Die passt gut zu den Ideen, die Manuel Hagel bedienen will: Die Erzählung von dem verschrobenen Erfinder aus dem Süden Deutschlands, der alles versuchte, Rückschläge in Kauf nahm, bis sein Projekt endlich gelang. Dranbleiben – das will er seinen Zuhörern mitgeben, das ist nun das Gebot der Stunde.

Wer noch dranbleiben sollte, das flicht Hagel im letzten Drittel seiner Rede ein: Er kommt auf das veränderte Wahlrecht zu sprechen und dass es theoretisch möglich ist, dass der Kandidat, der am meisten Erststimmen in einem Wahlkreis bekommt, trotzdem nicht in den Bundestag einzieht.

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Dass er diese Veränderung nicht schätzt, daran lässt er keinen Zweifel, wichtiger ist ihm aber, dass jeder Wähler seinen Auftrag versteht: Es gelte noch viel mehr als zuvor, dranzubleiben und die CDU zu unterstützen. Sonst käme im schlimmsten Fall Andreas Jung nicht in den Bundestag und möglicherweise bliebe der Wahlkreis Konstanz ohne Vertretung im Parlament.

In all diesen Passagen und dringlichen Appellen spürt jeder Zuhörer die Nervosität, die die CDU auf jedem Schritt dieses Wahlkampfs begleitet. Es geht um viel und da will der Mann, der 2026 gern Ministerpräsident in Baden-Württemberg werden will, seinen Parteifreund jetzt und in jeder Hinsicht stützen und unterstützen.

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Vor dem Abschluss seiner Rede dann noch historische Anpacker-Rhetorik: Wenn es Graf Zeppelin gelungen sei, dass Schiffe fliegen, „dann wird es uns auch gelingen, den Staat wieder flott zu kriegen.“ Im Saal kommt das alles, die Leichtigkeit, die regionale Verbundenheit und der dringliche Appell, gut an: Die Zuhörer belohnen den Redner mit rhythmischem Klatschen.

Zum Ausklang des Abends gibt es das, was es bei Neujahrsempfängen immer gibt: Häppchen und Schnittchen bei gutem badischen Wein mit Gesprächen über Politik und über Großes und Kleines in der Stadt. Das ist auch an diesem Abend nicht anders – ein wenig ernster nur dürften sie ausgefallen sein, die Smalltalkrunden, immer mit einem bangen Blick auf den 23. Februar dieses Jahres.