Der Krieg macht was mit den Menschen, worauf Zeno Danner gut verzichten könnte. Der Landrat steht am Samstagnachmittag auf den Stufen des Konstanzer Münster und legt vor rund 350 Menschen eine Beichte ab. Seit dem Überfall von Putin-Russland auf die Ukraine, sagt er, tobt eine Mordswut in ihm, und er entdeckt an sich eine Seite, die er vor ein paar Wochen so für nicht möglich gehalten hätte. Zeno Danner verfolgt die Abschussstatistiken des Krieges und freut sich über tote Soldaten auf Seiten der Angreifer.

Verspürt eine „Mordswut“: Landrat Zeno Danner.
Verspürt eine „Mordswut“: Landrat Zeno Danner. | Bild: Hanser, Oliver

Seele und Gemüt folgen damit einer ebenso perfiden wie grausamen Logik. Das Bekenntnis in der Öffentlichkeit zeugt von Aufrichtigkeit, und spiegelt zugleich die allgemeine Verfasstheit. Denn Zeno Danner ist mit der Bestie in seiner Brust gewiss nicht allein, die meisten Zuhörern dürften in den vergangenen zweieinhalb Wochen ganz ähnliche Entdeckungen an sich wahrgenommen haben. Gleichwohl will sich hier niemand der Mordswut ausliefern, und so spricht der Landrat den Zuhörern mit seinem Appell an Vernunft und Mitgefühl ebenfalls aus der Seele.

Was das anbelangt, besteht für Zeno Danner kein Zweifel daran, dass Wladimir Putin und die Seinen nicht nur das Nachbarland, sondern auch das eigene Volk angreifen. Er ist überzeugt, dass der überwiegende Zahl der Menschen in Russland den Krieg nicht will und kein Interesse an der weltweiten Isolation hat. Überhaupt verläuft für ihn die Kampflinie nicht zwischen den Russland und der Ukraine, sondern zwischen den Machtstreben Putins und den Werten der Europäischen Union. In der Ukraine werden Letztere seiner Ansicht nach gerade verteidigt. Was man hierzulande derzeit tun könne, sei die Botschaft des Zusammenhalts.

Das könnte Sie auch interessieren

Diese Solidarität übernimmt an diesem Nachmittag die Süddeutsche Philharmonie in Form eines Benefizkonzertes, das nach den Ansprachen im Münster zu erleben ist. Die Intendantin Insa Pijanka entwirft dazu in der Vorrede eigens eine Welt des friedlichen Miteinanders, in der Nationalitäten keine Rolle spielen. Franzosen, Russen, Japaner, Amerikaner, Rumänen – in ihrem Orchester vereint die Musik Menschen aus aller Welt. Sie möchte, dass das so bleibt, und warnt deshalb vor der Gefahr eines „Jargons der Polarisierung“. Gleichzeitig benennt sie, was ihrerseits falsch gelaufen ist im Vorfeld des Krieges. Denn Anzeichen dafür habe es gegeben und für einen Fehler hält sie, dass sie aus Gründen der kommoden Verdrängung nicht wahrgenommen wurden. Der Appell der Intendantin: „Lassen Sie uns nicht mehr wegschauen.“

Entrüstung als Antwort auf den Krieg

Was zu tun ist, sagt Andreas Osner. Entsetzen, Trauer und Wut sorgen für den Bürgermeister, der in der Stadtverwaltung für Soziales, Kultur und Sport zuständig ist, einerseits für Fassungslosigkeit. Gleichzeitig erlebe man einen Sturm der Entrüstung – und tatenlos sei man schon gar nicht. Die Welle der Hilfsbereitschaft für die aus der Ukraine geflüchteten Menschen sei überwältigend, und damit eine unmissverständliche Antwort auf den Krieg. Andreas Osner ist sich allerdings bewusst, dass man sich derzeit im Sprintmodus befindet, zu bewältigen aber sei ein Marathon.

Bürgermeister Andreas Osner bei seiner Rede auf dem Münsterplatz: „Die Spaltung spielt den Verursachern des Krieges in die Hände. ...
Bürgermeister Andreas Osner bei seiner Rede auf dem Münsterplatz: „Die Spaltung spielt den Verursachern des Krieges in die Hände. Diesen Gefallen werden wir Putin nicht machen!“ | Bild: Hanser, Oliver

Notwendig dafür sind nach seiner Darstellung eine gute Kondition und ein klarer Kopf. Ganz im Sinne von Zeno Danner und Insa Pijanka mahnt er, dem Krieg und seinen Machenschaften nicht auf den Leim zu gehen. Für den Bürgermeister bedeutet das zum Beispiel der Verzicht auf Vorurteile gegenüber in Konstanz lebenden Menschen mit russischen Wurzeln. Ausgrenzungen seien genau das, was Wladimir Putin mit seinem Krieg bezwecke. „Putin will spalten“, so ist Andreas Osner überzeugt, „mit unserem Zusammenhalt aber setzen wir dagegen ein starkes politisches Signal.“

Ankündigung eines Marathons

Auf der Langstrecke wird sich die Bestie aber vermutlich noch mehrmals bemerkbar machen. Der Bürgermeister kündigt den Teilnehmern während seiner Rede auf dem Münsterplatz an, dass man angesichts der bevorstehenden Herausforderungen Fehler machen werde. Er setzt darauf, dass man sich dennoch nicht auseinander bringen lässt – und bekommt Beifall, als er an die „alten Geflüchteten“ erinnert, um die man sich ebenfalls weiterhin kümmern müsse. Für ihn spielt alles, was zur Spaltung beitrage, den Verursachern des Krieges in die Hände. Gegen Ende seiner Rede macht der Bürgermeister die Hoffnung zur Feststellung: „Diesen Gefallen werden wir Putin nicht machen!“

Bewegende Stimme der Jugend

Die Worte haben Kraft, besonders eindringlich aber vermittelt der Gesang die Wirkkraft des Zusammenhalts. Sasha Berchenko – eine 15-Jährige aus Kiew, die sich kurz vor dem Überfall zu Verwandten nach Deutschland in Sicherheit bringen kann – trägt die ukrainische Nationalhymne vor. Es ist der bewegendste Moment dieses Nachmittags.

Ukrainische Nationalhymne bei Friedensdemo in Konstanz Video: Hanser, Oliver