In Konstanz ist das Thema immer wieder zur Sprache gekommen, in Radolfzell ist das Stadtbus-Fahren für nur einen Euro ein riesiger Erfolg, Kreuzlingen will Nägel mit Köpfen machen: Ein Gratis-Stadtbus soll zumindest eine Chance erhalten. So entschied der Gemeinderat. Kreuzlingen würde sich damit zum schweizweiten Vorreiter machen in Sachen Öffentlicher Verkehr (ÖV, wie in der Schweiz die gängige Abkürzung lautet).

Ein Fahrgast betritt den Radolfzeller Stadtbus. Während in Konstanz die Einzelfahrt 2,60 Euro kostet, ist man in der Nachbarstadt für ...
Ein Fahrgast betritt den Radolfzeller Stadtbus. Während in Konstanz die Einzelfahrt 2,60 Euro kostet, ist man in der Nachbarstadt für einen Euro unterwegs. | Bild: Jarausch, Gerald

Der Impuls kam in Kreuzlingen aus dem Gemeinderat, als sich auch die bürgerlichen Parteien hinter einen entsprechenden Vorstoß stellen. Der Stadtrat der Nachbarstadt, also gewissermaßen die Regierung, hatte die Idee dagegen abgelehnt. Doch der zuständige Stadtrat Ernst Zülle, betont nun: „Wir stehen dem sicher nicht im Weg.“ Denn das Kernanliegen, die Förderung des Umstiegs vom Auto auf den Bus, teile man voll und ganz. Gemeinsam mit Sandro Nöthiger, Leiter Tiefbau, und Martin Troll, dem Verantwortlichen für den Stadtbus bei der Stadtverwaltung, erklärt Zülle, welche Hürden es aber gibt.

Was ist mit Postauto und Rotem Arnold?

Als Erstes müssten sie nun einen Punkt vertieft abklären. „Wollen wir einen Gratis-Stadtbus oder wollen wir einen Gratis-ÖV in Kreuzlingen?“ Sollten nämlich nur die weißen Stadtbusse mit den grün-blauen Wellenlinien vom Ticketzwang befreit werden, entstünde eine Ungleichbehandlung im Busnetz. Für Postauto und den Konstanzer Roten Arnold müsste weiterhin bezahlt werden. Allerdings bedienen diese die Hauptverkehrsachsen in der Stadt und das Stadtbusnetz ist quasi darum herumgelegt. Und wenn die Stadt Kreuzlingen gleich das ganze städtische ÖV-Netz – inklusive Bahn – gratis machen will, liegt das erstens nicht in ihren eigenen Händen und zweitens müsste sie den Unternehmern die entgangenen Einnahmen vergüten.

Der Busbahnhof am Kreuzlinger Bärenplatz. Zwei weiße Kreuzlinger Stadtbusse und ein Konstanzer „Roter Arnold“ warten auf ...
Der Busbahnhof am Kreuzlinger Bärenplatz. Zwei weiße Kreuzlinger Stadtbusse und ein Konstanzer „Roter Arnold“ warten auf Passagiere. | Bild: Mario Testa

Ist den Nachbarn ein Gratis-Stadtbus fünf Millionen jährlich wert?

Die finanziellen Auswirkungen seien ganz schwierig zu errechnen. Stand heute gibt die Stadt jährlich nicht ganz drei Millionen Franken aus für ihren eigenen Busbetrieb. „Wenn die Einnahmen wegfallen, dürfte es gegen vier Millionen gehen“, sagt Zülle. Und wenn die anderen Transportunternehmen auf Stadtgebiet auch entschädigt werden müssten, könnten gemäß einer groben Schätzung jährliche Ausgaben um die fünf Millionen Franken für den öffentlichen Verkehr anfallen.

Damit zeigt sich ein ähnliches Bild wie in der Nachbarstadt Konstanz. Auch hier betonen die Stadtwerke, sie seien auf die Einnahmen aus dem Busbetrieb angewiesen. Vor zwei Jahren kursierte die Zahl von 14 Millionen Euro Kosten für einen Gratis-Bus durch die politische Debatte. Beriets vor Corona lag das Defizit des Konstanzer Stadtbusses bei über drei Millionen Euro pro Jahr. Fielen die Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf weg, würde sich dieses vervielfachen.

Der Bus 908 beim Durchfahren der Grenze zwischen Kreuzlingen und Konstanz beim Lago. Die grenzüberschreitende Linie wird betrieben von ...
Der Bus 908 beim Durchfahren der Grenze zwischen Kreuzlingen und Konstanz beim Lago. Die grenzüberschreitende Linie wird betrieben von den Stadtwerken Konstanz – auch etwas, das die Kreuzlinger bei ihrer Gratisbus-Idee bedenken müssen. | Bild: Hanser, Oliver

Nöthiger sagt, Kreuzlingen sei auch nicht die erste Schweizer Stadt, welche das angedacht habe. Die Stadt Zürich habe einmal errechnet, dass Gratis-ÖV sie 315 Millionen Franken kosten würde. Danach sei es kein Thema mehr gewesen.

Die Frage wirkt bizarr: Könnten am Ende zu viele Leute Bus fahren?

Probleme sehen die Stadtbus-Verantwortlichen auch nach wie vor in einer drohenden Überlastung der Stadtbusse bei einem Gratisangebot – zumindest zu Spitzenzeiten. Auch wenn eine hohe Nutzung eigentlich in ihrem Interesse liegt. „Es ist ein schmaler Grat“, sagt Nöthiger. Die Pendler und regelmäßigen Nutzer wolle man auch nicht verärgern. Er verweist auf die aktuelle Situation in Deutschland mit dem 9-Euro-Ticket. Schon zuvor hatten auch die Konstanzer Stadtwerke ähnlich argumentiert: Wenn das Busfahren gratis oder sehr billig sei, könnte der Ansturm zu groß werden – das hatte in der Konstanzer Politik allerdings teils Kopfschütteln ausgelöst.

So geht‘s in der Schweiz: Die Verwaltung hat ein halbes Jahr für einen Vorschlag

Von der Euphorie im Kreuzlinger Gemeinderat hat man sich in der dortigen Bauverwaltung nicht anstecken lassen: Dort ist man eher für eine weitere Absenkung der Tarife. Doch die Aufgabe der Verwaltung ist es nun, für die Politik belastbare Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Konstanzer dürften aufhorchen, wenn sie vom Zeitplan hören. Genau ein halbes Jahr haben die Kreuzlinger Ämter nun Zeit für einen Bericht an den dortigen Gemeinderat, ein auch für die Schweizer Verwaltung äußerst sportliches Unterfangen, wie sie betonen.

Am Stadtrat ist es danach zu entscheiden, wie es weitergehen soll. Soll ein Gratis-Bus-Versuch gestartet werden? Will man sich gar den kostenlosen Öffentlichen Verkehr auf Stadtgebiet leisten? Und wie viel Geld aus dem heute rund 20 Millionen Franken schweren Topf mit den Gebühren und Bußgeldern aus dem Parken sollen künftig in den ÖV fließen?

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Mit diesem Geld gelte es, auch noch Parkhäuser zu bauen, erinnert Zülle. Der Stadtbusbetrieb werde sowieso in Zukunft teurer, etwa durch die Elektrifizierung der Flotte und die geplante Aufwertung der Infrastruktur. Zülle sagt: „Es ist schön, wenn der politische Wille für die Förderung des Busses da ist. Aber es wird auch etwas kosten.“ Vorgreifen, welchen Weg der Stadtrat nach Vorliegen der nötigen Informationen einschlagen werde, will Zülle verständlicherweise nicht. Klar scheint derzeit vor allem eins: In den nächsten Monaten wird man auch in der Vielleicht-Vorreiterstadt Kreuzlingen noch ein Ticket lösen müssen für die Stadtbusfahrt.