Eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen am Rand der Stadt Konstanz wird schon bald gekappt. Die Schließung der Landesstraße 220 nördlich der Reichenauer Waldsiedlung ist für Juli geplant. Wer aus Richtung Radolfzell zum Beispiel zur Fähre fahren möchte, soll dann die Westtangente nehmen.
Das bedeutet einen Umweg, den zum Beispiel Roland Ballier als 'Schildbürgerstreich' scharf kritisiert. Der Litzelstetter Ortschaftsrat spricht von einer unnötigen Mehrbelastung für die Geldbeutel der Autofahrer wie auch für das Klima.

Niels Christian Geib, der ebenfalls in Litzelstetten wohnt, wirft aber noch eine andere Frage auf: Wird die Westtangente den zusätzlichen Verkehr von bis zu 10.000 Autos pro Tag überhaupt verkraften? Droht ein weiträumiges Verkehrschaos, wenn auf der vergleichsweise kurvigen und schon jetzt recht dicht befahrenen Trasse ein Unfall passiert?
Es „müsste also strenggenommen die Westtangente erst baulich entsprechend erweitert werden, bevor die L 220 überhaupt zurückgebaut werden kann, zumal mit dem noch zu erschließenden Wohnquartier am Hafner das Verkehrsaufkommen in diesem Bereich weiter zunehmen wird“, folgert Geib.
Folgt auf den vermeintlichen Schildbürgerstreich schon in wenigen Wochen also das Verkehrschaos mit Ansage? Was sagt die Polizei Konstanz dazu?
- Innerhalb von fünf Jahren sind auf der Strecke 20 Unfälle passiert. Doch wie gefährlich ist die Strecke? Immer wieder ist von schweren Unfällen auf dem vergleichsweise kurzen Stück zwischen B33 und Abzweig nach Dettingen die Rede. Laut Polizeipräsidium Konstanz haben sich in den fünf Jahren zwischen 2017 und 2021 im Schnitt vier statistisch meldepflichtige Unfälle im Jahr auf der Strecke ereignet, in Summe sind das 20. Auch wenn es also anders wirken mag: Eine krasse Häufung von Unfällen auf der Westtangente gibt es nicht.

- Wenn es auf der Westtangente staut, dann so richtig. Wenn es dann kracht, befürchtet Niels Christian Geib vor allem, dass Einsatzfahrzeuge kaum durchkommen: Teils ist die Westtangente durch Schutzplanken begrenzt, und auch an anderer Stelle können Autos nur begrenzt zur Seite fahren. Das haben in der Vergangenheit schon schon viele Autofahrer erlebt. Und auch, dass eine Umleitung nur schwer einzurichten ist. So hatten Unfälle im Bereich L220/Westtangente schon mehrfach zu Rückstaus bis ins Konstanzer Stadtgebiet und in Richtung Bodanrück geführt.

- Obwohl die Straße schmal und kurvig ist – Tempo 70 ist derzeit keine Option. Ob die Kapazität der Straße für den zusätzlichen Verkehr ausreicht, dazu gibt die Polizei keine Einschätzung ab, denn sie ist nicht zuständig. Was sie aber sicher beantworten kann: Ein Tempolimit zum Beispiel von 70 Kilometern pro Stunde ist im Moment nicht angezeigt. Denn von den 20 Unfällen der vergangenen fünf Jahre ereignete sich nur ein Bruchteil wegen zu hoher Geschwindigkeit oder zu geringen Abstandes.

- Tempo 100 ist auf der Strecke eher in der Theorie möglich. Die Polizei gibt, mit den Worten einer Sprecherin, auch noch zu bedenken: „Aufgrund des Verkehrsaufkommens und des Schwerverkehrs sowie der Kurven und gefühlt schmalen Fahrbahn kann bereits heute häufig nicht mit den maximal zulässigen 100 km/h gefahren werden.“ Gefolgt von dem Hinweis, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit laut Straßenverkehrsordnung ohnehin nur „unter den günstigsten Umständen“ gilt.

- Es gibt zumindest derzeit keinen Beleg dafür, dass die Westtangente bald überlastet ist. Das Regierungspräsidium Freiburg hat bereits vor einigen Wochen mitgeteilt, dass es an der Abzweigung der Westtangente von der Bundesstraße 33, aus Fahrtrichtung Radolfzell also an der Ampel kurz vor dem Konstanzer Flugplatz, kein Kapazitätsproblem sieht. Auch war bei der Planung der Westtangente schon bekannt, dass sie irgendwann fast den ganzen Verkehr in Richtung Bodanrück-Stadtteile, Mainau und Fähre aufnehmen müssen wird.
Ab Juli beginnt der große Praxistest
Wird Niels Christian Geib also mit seiner Prognose Recht behalten, zumal zusätzlicher Verkehr auf der Westtangente nach aller Erfahrung auch zu zusätzlichen Unfällen führen könnte? Für die Polizei ist die bald einzige Strecke zwischen Hegne und Ortseingang Wollmatingen oder Abzweig in Richtung Dettingen bisher kein besonders kritischer Straßenabschnitt.
Eine Verbreiterung oder Erweiterung der Westtangente ist bisher in keiner Form geplant, und sie wäre wohl auch schwer hinzubekommen. Schon der Bau der bestehenden Straße war nur schwer mit dem Naturschutz vereinbar, woher übrigens auch der kurvige Verlauf kommt. So wird es wohl noch auf lange Zeit eine nicht besonders breite Landesstraße bleiben, auch wenn das Verkehrsaufkommen eher dem vier Bundesstraßen entsprechen wird.
Welche Folgen all das hat, wird sich bald zeigen. Ab Juli beginnt der Praxistest, mit einer fünfstelligen Anzahl von Autofahrern als Versuchsteilnehmern. Denn bei der Sperrung der Landesstraße 220 nahe der Waldsiedlung bleibt es. Schon, weil nach Eröffnung des neuen Tunnels gar keine Abzweig-Möglichkeit mehr besteht.