Frau Schudt, hier in Konstanz haben wir gerade eine bizarre Situation: Fasnacht in Zeiten des Ukraine-Kriegs. Sie leben in der Karneval-Hochburg Düsseldorf, wie fühlt sich das dort an?
Hier ist das genauso. Gestern waren wir in Köln, dort ist ja der Rosenmontagszug abgesagt worden, stattdessen wurde ein Friedenszug veranstaltet, bei dem wir auch waren.
Wie verarbeiten Sie diesen Krieg?
Ein Krieg in Europa – das kann man nicht verarbeiten, man will einfach nur noch die ganze Zeit laut schreien. Ich glaube uns geht es da allen so, dass wir vor Entsetzen starr auf die Nachrichten gucken. Man weiß gar nicht, was man machen soll, man kann nur spenden und hoffen, dass Putins Krieg schnell beendet wird.
Am Abend nach dem jüngsten Dortmund-Tatort, in der Ihre Figur Martina Bönisch stirbt, habe ich eine Whatsapp-Nachricht von einer Freundin bekommen, Anja heißt sie: „Hast du den Dortmund-Tatort gesehen? Menno!“ Dazu ein bitterlich weinender Smiley. Wie kann ich Anja jetzt trösten?
Gar nicht. (schmunzelt) Martina Bönisch ist tot, da kann man nicht trösten.
Das fürchte ich nämlich auch.
Aber Anja kann sich auf den nächsten Tatort freuen. Der wird trotzdem super.
Wie haben Sie die Reaktionen auf den Serientod von Martina Bönisch empfunden?
Ich war schon ganz schön überwältigt von den Reaktionen. Als Schauspielerin schaut man im Nachhinein auf die Quote und vermutet, dass einige das auch mögen, aber es gibt nicht so ein direktes Feedback vom Publikum, an dem man sieht, wie sehr sich die Leute an die Figur gewöhnt haben, wie sie mitgehen und sie sie auch persönlich mögen. Ich beschäftige mich ja nur damit, dass mir die Figur nahe kommt, manchmal sogar zu nahe und ich mich dann von ihr befreien möchte. Aber dass man in den Wohnzimmern der Menschen ein vertrauter Bekannter wird, das war mir so nicht bewusst. Das hat mich sehr berührt. Die Menschen, die mir geschrieben haben, waren alle unheimlich traurig, aber sie haben sich alle bedankt für zehn Jahre Martina Bönisch. Das fand ich wahnsinnig wertschätzend und hat mich ungeheuer gefreut.

Hat es auch etwas Beängstigendes, wenn da ein Millionenpublikum drauflos twittert, wie das ja beim Tatort gern gemacht wird?
Nö, das gucke ich gar nicht an, ich habe kein Twitter. Ich habe nicht so eine Beziehung zu diesen sozialen Medien, weil ich immer denke: Ich gucke ja nur auf so einen schwarzen Apparat. Ich bin da sehr old school, glaube ich. Ich bin bei Instagram und das reicht mir. Mein Mann hat mir an dem Abend ein paar Twitter-Kommentare vorgelesen und irgendwann habe ich gesagt: Das ist jetzt genug, ich kann jetzt nichts mehr aufnehmen.
Gab es spezielle Reaktionen aus Konstanz?
Nein, ich habe auch keine starken Verbindungen mehr nach Konstanz außer familiären zu meinen Eltern. Einige Bekannte, die dort noch wohnen, sind im Moment nicht in der Stadt. Und ich glaube, die gucken auch gar keinen Tatort. (lacht)
Sie sagten, manchmal kämen Ihnen Ihre Figuren zu nahe. Martina Bönisch auch?
Nicht falsch verstehen: Ich meine nicht, dass mir die Figuren innerlich zu nahe kommen. Bei Frau Bönisch war es so, dass ich irgendwann gemerkt habe, dass mein Wiedererkennungswert und meine Identität als Schauspielerin ganz stark mit dieser Figur verbunden werden. Und dass ich oft auf der Straße als Martina Bönisch angesprochen werde. Das ist zwar auf der einen Seite total schön; aber auf der anderen Seite möchte ich mich jeden Tag neu erfinden können. Und wenn man so stark verankert ist mit einer Figur, dann muss ich sie wieder loswerden. Das tut mir sonst als Schauspielerin, als kreativer Mensch, der den größten Spaß daran hat, sich zu verwandeln, nicht gut. Das schmälert meine Kreativität. Und das war der Punkt, wo ich gemerkt habe: Nee, das ist jetzt genug Martina Bönisch in meinem Leben gewesen, damit hören wir jetzt auf.
Sie haben also nicht aufgehört, weil Sie mehr Raum für andere Produktionen, sondern weil Sie eine kreative Veränderung möchten?
Ich möchte nicht mehr diese Rollenzuteilung. Ich habe ja immer viel anderes auch gespielt und will mich nicht beschweren, dass ich dafür nicht genug Raum und Zeit hatte. Dem war nie so. Ich habe zwei Tatorte im Jahr gemacht, das war wahnsinnig schön und ich habe das total gerne gemacht. Nur: Was mich mit der Zeit immer mehr irritiert hat in mir und in dem Bild, was auf mich zukam von außen, ist diese Zuordnung. Die wollte ich einfach nicht mehr. Und davon habe ich mich befreit. Und das ist gut so. Mal gucken, was jetzt passiert.
Sie wollen vermeiden, dass die Leute nur noch an Martina Bönisch denken, wenn sie Sie sehen?
Das tun sie sowieso, aber das werden sie irgendwann nicht mehr. Es ist wichtig, dass man sich irgendwann neue Rollenbilder sucht.
Sie haben in einem ARD-Interview gesagt: „Die Veränderung ist eine Konstante in meinem Leben“, und deshalb jetzt auch das Ende beim Tatort. Mit solch einer Maxime müssen Sie es doch sehr oft mit schmerzvollen Abschieden zu tun haben, oder?
Abschiede sind ja nur dann schmerzhaft, wenn man sie nicht will. Für mich ist das okay.

Die Sterbeszene von Martina Bönisch: Wie viele Takes haben Sie gebraucht, um so eindrucksvoll zu sterben und wie viele Takes hat Jörg Hartmann gebraucht, um so eindrucksvoll zu weinen?
Das, was ich im Film sehe, sieht aus wie der erste Take. Wir haben natürlich einige Einstellungen mit verschiedenen Kamerapositionen gemacht, aber wir haben nur ganz kurz gedreht. Es war nichts, was man länger hätte drehen können. Wir haben es auch nicht geprobt, weil wir sowieso die ganze Zeit kurz davor waren, in Tränen auszubrechen. Es haben sogar alle nur geflüstert, das war eine sehr erhabene Stimmung. Und dann haben sie einfach losgefilmt und wir waren relativ schnell damit fertig. Das war gut, aber nicht schön.
Aha: Also doch ein schmerzhafter Abschied.
Das war für uns Schauspieler sehr schmerzhaft, für die Figuren auch, und das fließt dann ineinander. Wir haben darauf hingezittert, das war dann schon sehr aufgeladen. Aber wenn man das einfach so runterspielen würde, wäre es ja auch doof. Das würde man beim Zuschauen spüren. Also: Das darf ruhig wehtun. Das hat dann ja auch Ihrer Freundin Anja wehgetan.
Ja, in der Tat. Ich weiß gar nicht, was ich da jetzt machen soll.
Grüßen Sie Anja schön und sagen Sie ihr: Es wird bestimmt auch danach super weitergehen. Und es gibt ja auch noch andere Dinge, die man angucken kann. (lacht)