Greifvögel wie Bussarde und Milane ziehen häufig ihre Kreise über den Konstanzer Weinbergen und halten Ausschau nach Mäusen. Immer häufiger segelt aber auch der Graureiher über das Sierenmoos, um in einem Garten mit Teich zu landen. Der 1000 bis 2000 Gramm schwere Vogel war im vergangenen Jahrhundert fast ausgerottet. Mitte des 19. Jahrhunderts bejagten Fischer den Graureiher in Deutschland, da auch Fische auf seinem Speiseplan stehen, und er daher als Nahrungskonkurrent angesehen wurde.
Ihn ereilte ein „ähnliches Schicksal wie den Biber“, sagt Lisa Maier, Expertin für Avifaunistik (Gesamtheit in einer Region vorkommender Vogelarten) beim Bodenseezentrum vom Naturschutzbund (Nabu). Als der Graureiher Anfang der 1970er Jahre bundesweit unter Naturschutz gestellt wurde, habe es nur noch 200 Brutpaare in Baden-Württemberg gegeben.
„Nachdem die Bejagung gestoppt wurde, hat sich der Bestand erholt“, so Lisa Maier. Inzwischen gebe es wieder etwa 2400 Brutpaare in Baden-Württemberg. „Im Landkreis Konstanz sind es derzeit mindestens 70 Brutpaare.“ Im Raum Konstanz gebe es auf der Reichenau eine größere Graureiher-Kolonie. Auch in Allensbach oder im Kreuzlinger Seeburgpark brüteten diese Vögel.
Bei Berufsfischer Hans Leib nachgefragt, stellt sich heraus, dass die Fischer heutzutage anders auf den Graureiher blickten: „Unter den Fisch fressenden Vögeln am See stellt der Graureiher die kleinste Gefahr für die Fischerei, den Fischbestand und die Artenvielfalt dar. Schäden verursacht er in erster Linie in Fischzuchten und Teichwirtschaften, da er hier auch viele Fische verletzt“, erklärt Fischer Leib.
Warum fischen Graureiher den Gartenteich leer?
In Teichen anstatt im freien Gewässer auf Fischfang zu gehen, bringt für den eleganten Vogel viele Vorteile mit sich: Seine Beute kann nicht so leicht entwischen. Sie ist teils sogar gesünder als in der Wildnis. Gewässer und Wiesen sind häufig durch landwirtschaftliche Nutzung mit Pestiziden, Insektiziden oder Gülle belastet, als in Privatgärten oder in der Fischzucht. Dass sich der Graureiher zunehmend ins Siedlungsgebiet vorwagt, hänge mitunter auch damit zusammen, dass er seine Nahrungsquelle, die neben Fischen aus Fröschen, Lurchen, Molchen, Reptilien, Würmern und Kleinsäugern besteht, in der Natur nicht mehr ausreichend vorfindet.
Wie andere Wildtiere auch, und dadurch, dass er unter Schutz gestellt ist, verliere der Graureiher zunehmend seine Scheu vor den Menschen. Eine Anwohnerin in der Sierenmoosstraße hat den Graureiher regelmäßig als Gast an ihrem Teich. Da sich ihre Goldfische ohnehin schnell vermehren, stört sie sein Jagdverhalten nicht weiter – sie sieht es als natürliche Regulierung an.
Bei der Naturschutzbehörde des Landkreises Konstanz seien bisher auch keinerlei Beschwerden über Graureiher eingegangen, die in Teichen jagen. Pressesprecherin Marlene Pellhammer bestätigt lediglich, dass er nach dem Bundesnaturschutzgesetz besonders geschützt ist und nicht gejagt werden darf.
Ausbreitung stagniert – auch wegen einer eingeschleppten Art
Kleinere Kolonien im Stadtgebiet hat Heiko Hörster, Vogelexperte aus Kreuzlingen, im Büdingen Park mit drei Nestern und beim Inselhotel mit zwei Nestern gesichtet. Er führte kürzlich im Auftrag des Bodensee-Naturmuseums durch den Kreuzlinger Seeburgpark, wo die Teilnehmer durchs Fernglas die Graureiher in ihren Nestern beobachten konnten. „Wir hatten so die Möglichkeit, den Eltern beim Füttern der Jungvögel zuzuschauen“, sagt Heiko Hörster.
Obwohl sich der Graureiher im Seeburgpark sehr wohlfühle und mit 41 Nestern dort gut vertreten sei, glaubt er, dass sich der Bestand natürlich reguliere: Wenn es zu viele Nester in den Bäumen gebe, wären sie nicht mehr stabil genug, um darin zu brüten. Lisa Maier sagt, dass die Ausbreitung des Graureihers aktuell stagniere. „Vielleicht bedingt durch das Nahrungsangebot, aber auch der Waschbär spielt hier eine Rolle. Er richtet bei Koloniebrütern einiges an.“